Kuhnerts Jägerei ist ein zweiter kritischer Aspekt: Der Maler hatte seine Großwildjagd mit seinem Bedürfnis nach Nahaufnahmen der Tiere für seine Kunst begründet. Allerdings verurteilte er die Großwildjagd als reines Hobby um der Trophäenjagd. Das zeigt, dass er diese Form der Jagd keinesfalls unkritisch sah.
Kolonialismus und Großwildjagd sind Themen, zu denen es heute grundlegend andere Ein- und Ansichten gibt, als um 1920. Kolonialismus ist an sich ein Verbrechen, unter seinem Deckmäntelchen sind noch viele weitere Gewalttaten und Verbrechen verübt worden, das ist heute unzweifelhaft. Selbst die Großwildjagd auf Trophäen ist heute weitestgehend verpönt.
Beides war für mich in der Ausstellung ausreichend thematisiert, an mehren Stellen.
Ein anderer zu kritisierender Aspekt ist die vermenschlichende, idealisierte Darstellung der Tiere. Löwen dominieren die Ölgemälde des Berliners, von majestätisch bis fürsorglich. Allerdings hat er den König der Wildnis in natura so selten zu sehen bekommen, so dass er seine Gemälde mit Studien aus dem Berliner Zoo ergänzte. Löwen dominieren seine Ölgemälde und Skizzen, von majestätisch bis fürsorglich. Löwenfamilien vom Mama-Papa-Löwenkind zeigen eine Löwenidylle, die so nie existiert hat: Majestätisch stehende männliche Löwen schauen mit schwarzer wallender Mähne und edlem Profil über ihre Jagdgründe. Die fürsorgliche Löwenmutter gibt ihrem Nachwuchs zwischen ihren Tatzen Geborgenheit und schaut mit weichem Gesichtsausdruck auf den Betrachter. Diese Familienbilder sind natürlich hoffnungslos idealisiert bis an die Kitschgrenze.
Kitschige Familienidylle im Disney-Stil
Kuhnert war nicht nur ein genialer und hoch produktiver Maler, sondern auch ein Marketing-Genie: Neben den Monumentalgemälden hat er auch Unmengen kleinerer Illustrationen etwa für Sammelbilder auf Schokoladentafeln produziert, über Dekaden hinweg Brehms Tierleben illustriert und bebilderte Bücher seiner Reisen herausgegeben. Seine geschönte Sicht auf und von Afrika galt als familientauglich und politisch verträglich, so dass er flächendeckend die Vorstellungen von Afrika in den Köpfen der Deutschen, anderer Europäer und sogar Nordamerikaner geprägt hat. Der koloniale Cat-Content, der Disneys Naturkitsch vorwegnimmt, suggeriert eine Idylle, die es so nie gegeben hat.
Mich haben die Löwenfamilienbilder zum Schmunzeln gebracht. Spätestens seit „Serengeti darf nicht sterben“ wissen die meisten Leute, dass Löwenmännchen gern auf der faulen Haut liegen, während ihre Jungen mit ihrer Schwanzquaste spielen. Und die Weibchen indessen jagen und die blutverschmierten Schnauze tief in die erlegte Beute versenken.
Eine sehr interessante Ausstellung – gerade wegen des Spannungsbogens der hervorragenden Gemälde und Tierstudien bis zum dunklen Kapitel des Kolonialismus und des sich wandelnden Bildes von Afrika im Allgemeinen und Wildtieren im Besonderen. Nicht zuletzt auch deswegen interessant, weil eine Marketing-Masche – Kuhnerts heiles Afrika-Bild -, die bis heute Auswirkungen hat, offengelegt wird.
Wer mehr darüber lesen möchte: Die ausgezeichneten Wandtexte der Ausstellung sind auf der SCHIRN-Homepage zum Lesen und Download.
Zusammenfassend habe ich aus der Ausstellung mitgenommen:
– Kuhnert war ein exzellenter Maler
– Kuhnert hat ein traumhaftes Bild der menschenleeren Wildnis Afrikas und der Wildtiere erschaffen und flächendeckend vermarktet, dass das Bild von Afrika in den Köpfen vieler Europäer bis heute prägt
– Kuhnert hat sich kolonialer Infrastrukturen (zunächst kritiklos) bedient und wurde sich erst später der Unrechtmäßigkeit des Kolonialismus bewusst.
Die Wildnis in der modernen Kunst
Als Ergänzung unbedingt empfehlenswert ist auch die zweite Ausstellung „Wildnis“, die den Blick von Künstlern auf die Wildnis dokumentiert.
Dabei wird die Projektionsfläche „Wildnis“ unter politischen und zeitgeschichtlichen Aspekten vorgestellt, von der ersten Nationalpark-Bewegung bis zum aktuellen Kampf um die Erhaltung Europas letzten Urwald, dem Białowieża-Nationalpark in Polen.
Darin geht es nochmals um die Kraft der Bilder und wie künstlerische Darstellungen die Wildnis auch in der breiten Bevölkerung bekannt gemacht hat. Was in manchen Fällen nachweislich zur Einrichtung von Nationalparks oder Schutzgebieten geführt hat.
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