Abgemagerte Eisbären werden, getrieben vom Hunger, zu Kannibalen. Die Routen der Dolganen und ihrer Rentierherden auf der sibirischen Halbinsel Taimyr werden durch Ölpipelines zerteilt, arktische Seen verschwinden unter schillernden Ölschlieren. An entlegenen Stränden menschenleerer Gegenden der Arktis liegt Wohlstandsmüll, Fischereigeschirre und Plastikbänder erwürgen Meerestiere und Seevögel. Angetauter Schnee lässt in der arktischen Tundra ganze Rentierherden hungern und traditionell lebende Sami verzweifeln.
Zurzeit reden alle übers Klima. Auf der 24. Weltklimakonferenz (COP24 – Conference of the Parties 24) in Katowice geht es gerade um unsere Zukunft.
Mal wieder.
Heute ist das Problem drängender denn je, aber die ambitionierten Vereinbarungen und Versprechungen der Vergangenheit wie das Kyoto-Protokoll und die Paris-Vereinbarung platzen wie Seifenblasen.
Manche Staaten verabschieden sich aus den multilateralen Verträgen, um ihre neu erstarkenden Nationalgefühle und -befindlichkeiten zu pflegen. Andere Staaten schaffen es nun doch nicht, ihre ambitionierten Klimaziele umzusetzen, weil die Rettung der Autoindustrie jetzt doch dringender ist als die Rettung des Klimas.
Am Wochenende fand im Kontext mit dem Weitsicht-Festival in Darmstadt die Präsentation „Weitsicht Special: Welche Zukunft hat die Arktis?“ statt, eine Mischung aus multimedialen Impulsvorträgen und interdisziplinärer Diskussionsrunde.
Der Photograph Norbert Rosing stellte vor allem Eisbären und ihre Situation im weichenden Arktis-Eis vor. Der Ethnologe, Journalist, Photograph und Arktis-Reisende Bernd Römmelt gab einen Überblick über amerikanische und sibirische Polargebiete, wo er Rentierzüchter begleitete, die Schrecken der Ölindustrie erlebte und im Kajak an der tauenden Eiskante paddelte – vor 10 Jahren hatte Greenpeace ihn beauftragt, die Arktis noch einmal zu umfassend zu dokumentieren, bevor das Eis noch weiter zurückweicht und die Vermüllung noch weiter vorangeschritten ist. Die erfahrene Ethnologin Jana Steingässer hat Sami und andere indigene Völker u. a. auf Grönland in einem sich durch Klimawandel und Bergbau schnell verändernden Lebensraum begleitet und ihre Erwartungen für die Zukunft erfragt. Meeresbiologin und Arktis-Tourguide Julia Hager stellte ihr Projekt mountain2ocean zur Eindämmung der Plastik-Flut der Arktis vor, das durch den Klimawandel noch angeheizt wird.
Die Vorträge haben mich nachhaltig beeindruckt, vor allem die beiden Ethnologen Jana Steingässer und Bernd Römmelt haben für mich noch einmal vollständig neue Sachverhalte vorgestellt. Im Anschluss an die Impulsvorträge leitete Prof. Dr. Torsten Schäfer die Diskussionsrunde zur Zukunft der Region über dem nördlichen Polarkreis und ihrer Gefährdung.
Einig sind sich alle: Es muss etwas passieren.
Ich werde im Folgenden immer wieder auf diese Vorträge und Diskussion zurückkommen, aber weder alle Vorträge wiedergeben noch auf die Themen beschränken.
Dieser Abend hat mich jedenfalls sehr nachdenklich gemacht, darum ist es jetzt Zeit für diesen Text. Es geht um die Folgen des Klimawandels in der Arktis und dessen Auswirkungen auf Nordwesteuropa. Um Kommunikation komplexer Inhalte, das Ausbrechen aus der Filterblase und den Sprung vom Denken zum Tun.
Noch einmal zur Erinnerung: Wetter, Klima und Klimawandel
„Wetter” beschreibt einen kurzfristigen Zustand der Atmosphäre zu einer spezifischen Zeit an einem spezifischen Ort. Niederschläge wie Regen und Schnee sowie Sonnenschein sind Wetterelemente. Das Wetter lässt sich beschreiben mit messbare Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchte, Luftdruck und Windstärke.
“Klima” beschreibt einen langfristiger Zustand der Atmosphäre in einer spezifischen Region. Um Klima zu beschreiben, wird der Verlauf des Wetters über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren gemessen und dokumentiert. Aufgrund dieser Daten werden verschiedene Klimazonen definiert, Deutschland befindet sich in der kühl gemäßigten Klimazone.
Das Klima ist also im Gegensatz zum Wetter nicht direkt messbar, sondern eine Statistik, die auf vielen Messungen über einen langen Zeitraum hinweg basiert.
Mehr dazu ist etwa beim Deutschen Wetterdienst und dem Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung nachzulesen.
Eine Klimaveränderung kann also nur über einen langen oder sehr langen Zeitraum abgebildet werden. Die Daten zur Klimakunde (Klimageschichte) setzen sich zusammen aus
– direkten Wetter- und Klimaaufzeichnungen auf See und an Land, die bis zurück ins 18. Jahrhundert gehen.
– Klimaarchive wie Eis- und Sedimentbohrkerne, Bäume und andere natürliche Archive, die Zehntausende von Jahren abdecken, dazu kommen noch Isotopenanalysen und steinerne Klimazeugen.
Klimaschwankungen sind natürlich. Die letzte Eiszeit in unseren Breiten dauerte bis ca vor 11.000 Jahren. Heute leben wir in einer Zwischeneiszeit, dem Holozän.
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