Hier ist die Fortsetzung zu “Neues vom Urwal Basilosaurus – ein Mageninhalt gibt Einblick in eine 37 Millionen alte Lagune (1)“.
Eine Einführung in die bewegte Geschichte beiden Urwale und der außergewöhnlichen Fossil-Lagerstätte Wadi Al Hitan in der Fayyoum-Oase steht im 1. Teil.
WH 10001 – Ein neues Skelett und ein Mageninhalt
2010 war bei einem Survey im geschützten Gebiet von Wadi al Hitan, dem Tal der Wale, ein neues Basilosaurus-Fossil gefunden worden: Das Fossil WH 10001. Es lag in einer offenen Ebene aus Glaukonit-Schluffstein. Schluffsttein (Siltstone) und Glaukonit sind Sedimentgesteine, die unter Verwitterungseinflüssen wie dem sandhaltigen Wüstenwind verwittern und erodieren, so werden immer wieder neue Fossilien freigelegt, Glaukonit ist eine typische marine Ablagerung.
Schon im Feld wurde die besondere ökologische Rolle von Basilosaurus und Dorudon im eozänen Meer noch einmal deutlich:
- Alle Basilosaurus isis-Skelette in Wadi Al Hitan haben die Zähne und ausgeformten Wirbel von erwachsenen Tieren
- Etwa die Hälfte der Dorudon atrox-Skelette in Wadi Al Hitan haben die Zähne und Wirbel von erwachsenen Tieren, die andere Hälfte hat aber noch die Bezahnung und Wirbel von Jungtieren. Ihre Gebisse haben noch nicht alle Zähne und ihre Wirbel zeigen noch offene Wachstumsfugen.
- Einige der Dorudon atrox-Schädel der Altersgruppen von neonatal (gerade erst geboren) bis zum Jungtier tragen Spuren von großen Zähnen im Schädeldach: Das spricht für einen Tötungsbiss durch einen größeren Angreifer!
Alle weiteren umfangreichen Untersuchungen bis hin zur Vermessung jedes einzelnen Zahns und des Vergleichs mit dem bereits vorhandenen Material und den Wachstumsparametern haben diese Annahmen bestätigt.
Die Knochen des Basilosaurus WH 10001 sind nahezu vollständig, aber nicht artikuliert, ein typischer Whale fall!
Das bedeutet, das Tier ist nach seinem Tod auf den Boden gesunken, lag dort offen und verweste. Nur die Hinterbeine fehlten wahrscheinlich schon, möglicherweise sind sie von Aasfressern sehr schnell abgefressen worden. Der restliche tote Urwal sank nach unten.
Die Gasentwicklung in den Eingeweiden lüpfte den hinteren Körperabschnitt des schlangenartig langen Wales nach oben, so kommt es zur typischen S-förmigen Ablagerung der Basilosaurus-Wirbelsäule.
Im Zuge der Verwesung und des Skelett-Zerfalls sind die Knochen auf dem Boden dann von den Wellen verdriftet worden und ihrer Größe und ihrem Gewicht entsprechend von der Strömung eingeregelt, also sortiert worden: Leichte Knochen mit kleinerer Oberfläche bieten dem Wasser weniger Angriffsfläche, sie werden von der Strömung weiter bewegt als schwere Knochen mit größerer Oberfläche. Allerdings sind aufgrund des relativ ruhigen Wassers alle Teile von WH 10001 auf einem kleinen Areal verstreut worden. Die Knochen lagen eine ganze Weile offen auf dem Lagunenboden und waren so den Strömungen und Aasfressern ausgesetzt. Der grünliche Glaukonit ist ein typisches Mineral für eine solche Ablagerung.
Auch dieses B. isis-Skelett stammt von einem erwachsenen Tier: die Zähne sind vollständig durchgebrochen und die Wirbelkörper und Epiphysen sind vollständig verwachsen.
Um das WH 10001 Basilosaurus-Exemplar herum sind einige Dorudon atrox-Reste verstreut: Einige Teile liegen in der Nähe des Basilosaurus-Bauches, genau dort, wo der Mageninhalt anzunehmen ist. Andere liegen weiter entfernt, in südlicher und östlicher Richtung – genau dort, wohin die Bodenströmung, die von Nordwest nach Südost lief, den Mageninhalt verdriftet haben dürfte.
Die Zähne der Dorudons sind noch recht klein, es hat sich um Jungtiere gehandelt.
Dass Basilosaurus offenbar junge Dorudons erbeutete, ist schon länger bekannt, der renommierte Wal-Paläontologe Mark Uhen hatte bereits Basilosaurus-Bißmarken aus Wadi al Hitan beschrieben.
Die Lagune Wadi Al Hitan war eine Kinderstube für Dorudon und somit ein guter Nahrungsgrund für Basilosaurus!
Genauso, wie es heute in den Lagunen der Baja California aussieht: das flache Gewässer ist eine Kinderstube für Grauwale, an der Einmündung der Lagune zum Pazifik jagen Orcas bzw. große Haie die Grauwalkälber.
Manja Voss vergleicht die ökologische Rolle als Waljäger des Basilosaurus in seiner eozänen Tethys- Lagune mit dem heutigen Orca. Beide waren/sind die Top-Prädatoren ihrer Zeit, auf ihren Speisezetteln sind auch andere Wale.
Aber diese Ähnlichkeit bezieht sich auf den ökologischen Vergleich, ihre Größe und ihre Rolle als Apex-Prädatoren (Top-Beutegreifer), sie sind nicht näher miteinander verwandt!
Weiterhin vergleicht sie den fossilen und den heutigen Jäger auch mit dem dritten bisher bekannten Wal, der andere Wale erbeutet hat: dem Ur-Pottwal Livyatan melvillei (Miozän) aus der Peru-Pisco-Formation. Livyatan war ein früher Pottwal und näher mit dem heutigen Orca als mit den viel älteren Urwalen verwandt.
Manja Voos und ihre Kollegen konnten mit dem neuen Fund WH 10001 dieses Räuber-Beute-Verhältnis noch einmal untermauern:
Bislang waren in Basilosaurus-Mageninhalten vor allem Fische von bis zu 50 Zentimeter Länge nachgewiesen – der Urwal hatte sie gejagt und im Ganzen verschluckt, so, wie heutige Orcas große Fische fressen. Das war auch in diesem Mageninhalt zu finden: Ein Kieferstück des Knochenfisches Pycnodus mokattamensis, der bis zu einem Meter lang wurde, und der Zahn eines großen Carcharocles sokolowi – eine bis zu 5 Meter lange Haiart aus der Verwandtschaft der Makrelenhaie, zu denen auch Megalodon und der Große Weiße Hai gehören.
Basilosaurus hat also sicherlich in der einstigen Lagune auch Dorudon gejagt, aber er kein direkter Vorfahr der heutigen Orcas. Orcas sind moderne Zahnwale, beide Tiere trennen 40 Millionen Jahre Evolution.
Was wir hier so gemütlich am Rechnerlesen, ist das Ergebnis knallharter Feldarbeit:
Manja Voss` trockene Beschreibung der Fundsituation deutet es an:
Die Wüste hat keine schützende Pflanzenbedeckung und liegt somit offen für die Erosion durch den Wind, der Sandkörnchen über den Boden peitscht und immer neue Fossilien aus dem schluffigen Untergrund frei schmirgelt.
Die Wal- und Seekuh-Fossilien dieses Bereich sind Knochenanhäufungen, die jeweils so isoliert liegen, dass sie einzelnen Tieren zugeordnet worden können. Bei einigen liegen die Knochen noch im Verband vor, andere Skelette sind durch Strömungen und Aasfresser auseinandergedriftet worden. WH 10001 ist ein aufgelöstes Skelett, dessen Knochen über ein kleines Areal verstreut sind. Die Knochenanhäufung ist aber nimmer noch klar einem Individuum zuzuordnen, das nächste Fossil ist eine 150 Meter entfernte Seekuh.
Die Feldarbeit in einer Wüste ist im wahrsten Sinne des Wortes Knochenarbeit. Trotz aller heutigen technischen Hilfsmittel.
Quelle:
Voss M, Antar MSM, Zalmout IS, Gingerich PD (2019) Stomach contents of the archaeocete Basilosaurus isis: Apex predator in oceans of the late Eocene. PLoS ONE 14(1): e0209021. )
Ein imaginärer Tauchgang im Tethys-Meer
Manja Voss und ihrer Co-Autoren ökologische Analyse baut auf vielen anderen Forschungsarbeiten auf: Von der sorgfältigen Analysen zur Altersstruktur der fossilen Skelette bis zu heutigen Whale falls sowie den ozeanographischen Parametern in einer Lagune und natürlcih der Taphonomie. Die Arbeit hat mir beim Lesen richtig Spaß gemacht, weil vor meinem inneren Auge ein Bild des Lebensraums vor 37,5 Millionen Jahren entstand. Vielleicht ergeben die Fakten nicht für jedermann und jederfrau soclh ein plastisches Bild. Darum ist hier meine Einladung zu einem imaginären Tauchgang mit Zeitmaschinenfunktion:
Der Basilosaurus isis durchstreift hungrig die flache, warme Lagune. Das flache Wasser schillert grünlich-türkis, der Boden ist sandig-kalkig und von glitzerndem Muschelschill bedeckt.
Der Basilosaurus ist ausgewachsen, fast 17 Meter lang, zum Sattwerden für seinen hochtourigen Wal-Stoffwechsel braucht der Meeressäuger viel Fisch und Fleisch. Der meterlange Knochenfisch Pycnodus mokattamensis und der große Hai Carcharocles sokolowi sind schon längst wieder verdaut, er braucht dringend eine neue Mahlzeit.
Der große Urwal weiß aus Erfahrung, dass hier besonders viele junge Dorudons leben, die im vermeintlichen Schutz des flachen Gewässers heranwachsen. Die jungen Urwale sind noch unvorsichtiger als ihre älteren Artgenossen und somit leichtere Beute. Aber groß genug, um eine sehr reichhaltige Mahlzeit abzugeben!
Sein an den aquatischen Lebensraum perfekt angepasstes Gehör fängt die Laute eines anderen Urwals auf – ein Dorudon! Die gewaltige Fluke wendet den schlangenförmigen Körper virtuos und lautlos, dann schwimmt der größte Meeresjäger seiner Zeit und Herrscher des Ozeans in Richtung der verlockenden Laute.
Der junge Dorudon, der mit 1,70 Metern Länge noch nicht einmal halb so groß wie seine Mutter ist, schwimmt in der Lagune umher. Der hohe Salzgehalt der Lagune gibt ihm Auftrieb, er hat noch keine dicke Fettschicht wie die älteren Tiere. In der geringen Strömung der Lagune kann er seine Schwimmmuskeln trainieren, bevor er sich in die offene Tethys wagt. Zum Atmen muss er an die Oberfläche und den größten Teil des Kopfes aus dem Wasser strecken, das Nasenloch sitzt auf der Hälfte der langgezogenen Schnauze. Dann taucht er wieder ab, von der nahenden Gefahr hört und sieht er nichts. Basilosaurus hat den kleinen Dorudon mittlerweile erspäht – er pirscht sich weiter an die Beute heran. Das letzte Stück Weg legt er in einem Sprint zurück, dann schnappen seine Kiefer zu um den Kopf des kleineren Wals. Die kegelförmigen Zähne des großen Archaeoceten piercen den Schädel, die hinten gesägten zermalmen Teile davon.
Aber der junge Urwal ist seine letzte Mahlzeit!
Mit vollem Bauch stirbt der „König der Echsen“ wenige Tage später, seine Todesursache bleibt unbekannt.
Der große Urwal sinkt auf den Boden der eozänen Lagune und verwest. Aasfresser und Verwesung hinterlassen bald nur noch das blanke Skelett, dabei wird auch die noch nicht verdaute Beute wieder freigesetzt. Schließlich verdriftet das Spiel der Wellen und Grundströmungen die Knochen des einstigen Königs der Tethys.
Die Mini-Lebewesen dieser Zeit, das Plankton, mischt sich unter die Ablagerungen und erlaubt später eine genaue zeitliche Einordnung – wie ein Kalenderblatt der Erdgeschichte.
Irgendwann ist der eozäne Whale fall vollständig von Schill, Sand und Planktonresten bedeckt und schläft in seiner steinernen Zeitkapsel, bis er 2010 von den ewigen Sandwinden der Sahara wieder freigelegt wird.
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