Der Pachtvertrag für die Raketenbasis in Zaire erlaubt, das „Territorium zum Zwecke der Beförderung von Flugkörpern in den Luft- und Weltraum, gleich welcher Art und Bauweise insbesondere von Trägerraketen uneingeschränkt“ zu nutzen.  Der Vertrag ist also keinesfalls auf die friedliche Nutzung beschränkt. OTRAG könnte damit das Weltraum-Monopol der Großmächte unterlaufen und erschwingliche Satelliten auch zu militärischen Aufklärungszwecken vielen weiteren Staaten anbieten, Kayser nannte neben Zaire auch Libyen, Sri Lanka und Brasilien („Dann wäre Deutschland führend in der Welt“ Spiegel, 1978).
Dann kocht der Skandal um den deutschen Raketenbau endgültig über: Die UdSSR und andere kommunistische Staaten wie die DDR sowie verschiedene afrikanische Regimes fürchten sich mittlerweile lauthals vor einer imperialistischen Invasion mittels Raketen einer (west)deutschen Firma. Westdeutsche Politiker werden bei Treffen darauf angesprochen.
Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher müssen zunächst beschwichtigen, dann handeln. Genschers Urteil dazu: „Der außenpolitische Schaden ist so groß, dass in jedem Fall etwas unternommen werden muss.“ Der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt Klaus von Dohnany empfiehlt, aufgrund der eskalierenden außenpolitischen Situation, ein totales Handelsembargo über die OTRAG zu verhängen – die sogenannte Lex OTRAG.

Libyen. Frankreich. Bayern.
Kayser hatte bisher jegliche Kritik an seinem Raketen-Projekt mit der Drohung beantwortet, seinen deutschen Standort nach Frankreich zu verlegen. Da er befürchtete, seine Raketenaktivitäten könnten in Deutschland unter dem Druck des Außenministeriums und Bundeskanzleramts eingeschränkt oder gar verboten werden, bekam OTRAG eine französische Dependance: OTRAG France (Anatol Johansen: „Wieder erfolgreicher Billigraketenstart“; FAZ; 31.05.1978).
Nachdem die Finanzierung über Abschreibungszusagen der hessischen Steuerbehörden weggebrochen war, die offensichtlich rechtswidrig genehmigt worden waren, zog Kayser in ein Land um, „in dem es keine ideologischen Probleme“ gab: nach Bayern. Die CSU-Minister für Wirtschaft und Finanzen hatten im weitere Unterstützung zugesagt („UN-Aufsicht für OTRAG?“, Spiegel, 1978).
1979 überzeugten der Bundeskanzler Helmut Schmidt und sein französischer Amtskollege Valery Giscard d`Estaing Zaire mit der Zusage von Entwicklungshilfen davon, den Pachtvertrag mit OTRAG zu kündigen und das Raketenunternehmen in Zaire damit zu beenden.
Der libysche Diktator Gaddafi bot Kayser und seiner Raketenproduktion und –erprobung daraufhin Obdach – in einer getarnten Obstplantage. Das Wüstenprojekt endete 1981 in Kuddelmuddel, Gadaffis Truppen besetzten das Areal, Kayser scheidet aus dem Unternehmen aus. Sein Studienkollege und OTRAG-Mitstreiter Frank Wukasch wird neuer Geschäftsführer.
Nun bietet ein anderer Herrscher seine Unterstützung an: Franz-Josef Strauß, der damalige bayrische Ministerpräsident. Allerdings kommt das Unternehmen nicht wieder in Schwung, auch nicht finanziell: Bonn hat die Steuersparmöglichkeiten zunehmend eingeschränkt. Immerhin soll OTRAG bis dahin geschätzt 173 Millionen DM an Steuergeldern durchgebracht  haben.
Mitte der 80-er Jahre löst Wukasch die Konten der Firma auf, das Kapitel OTRAG ist damit beendet.
Kayser zieht schließlich auf die Marshall-Inseln, ist weiterhin in Raumfahrtfirmen tätig und verstirbt 2017 in seinem Inselparadies.

Warum jetzt diese Story?
Beim Filmfestival in Frankfurt  lief im Deutschen Filmmuseum der Dokumentarfilm „Fly Rocket Fly – From the Jungle to the Stars” (2018, Oliver Schwehm). An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen Frank Wukasch (Ex OTRAG) , der Filmemacher Oliver Schwehm und der ESA-Raumfahrtingenieur Rainer Kresken teil.
“Fly Rocket Fly – From the Jungle to the Stars” (2018) von Oliver Schwehm.
So habe ich davon erfahren. Und fand das Projekt so haarsträubend, dass es nun auf Meertext gelandet ist.


Quellen:
Der FAZ-Redakteur Kurt Rudzinski erläutert vor allem technologische Details und den Stand der Raumfahrt:
Kurt Rudzinski: „Billigrakete nach dem Baukastenprinzip“ (FAZ; 26.06.1974)

  • Kurt Rudzinski: „Der Raumtransport braucht ein billiges „Arbeitspferd“ (FAZ; 1974?)
  • Kurt Rudzinski: „Das Billigraketenprojekt“ (FAZ; 16.07.1975)
  • Anatol Johansen: „Wieder erfolgreicher Billigraketenstart“; (FAZ; 31.05.1978)
  • G. P.: „Die Otrag startet wieder Raketen“(FAZ; 05.10.1983)

Die ZEIT- und Spiegel Redakteure beleuchten die komplexen politischen Probleme und Hintergründe, die das OTRAG-Projekt in Afrika bedeutete – detailliert, vielschichtig und unbedingt lesenswert!

 

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Kommentare (13)

  1. #1 gedankenknick
    12. April 2019

    Die “Dual-Use”-Problematik, nach der man zivile Güter auch militärisch umnutzen, benutzen und verbauen kann, ist ja allgegenwärtig. Ich kann jede Schraube für einen zivilen LKW auch in einen militärischen Lastwagen einbauen. Bestimmte Hochleistungsschalter, die man in medizinischen Geräten benötigt, bieten sich auch zur Zündsteuerung von Atombomben an. Aus Stahl lassen sich chirurgische Pinzetten genauso fertigen wie AP-Munition, Fleischermesser genau wie Bajonette.

    Und insbesondere bei Raketentechnik hat man das ja schon bei dem A4-V2-Dilemma gesehen. Das “Aggregat 4” war ursprünglich (auch) zum Erreichen eines Erdorbit konzipiert. Die daraus abgeleitete “Vergeltungswaffe 2” hatte mit Erdorbit dann eher nichts mehr zu tun.

    Erinnert mich auch an die Geschichte (oder den Mythos?), dass die UdSSR in den 80gern angeblich einen Haufen dieser damals top-modernen hand-held-Videospiele mit LCD-Display eingekauft hat (gegen Devisen). Nicht um die Kinder der eigenen Bevölkerung zu beglücken, sondern weil es billiger war, die darin verbauten Integrierten Schaltkreise für die Steuerung von Sonarbojen umzunutzen als solche Chips selber zu produzieren.

    Für diese “Dual-Use”-Problematik wurde meines Wissens nach bis heute keine Lösung gefunden, einfach weil m.E. sich keine sinnvolle Lösung finden läßt.

  2. #2 Bettina Wurche
    12. April 2019

    @gedankenknick: Du hast natürlich völlig recht, so ein Dual Use lässt sich oft gar nicht ausschließen.
    Soweit ich weiß, waren auch die Peenemünder V2-EntwicklerInnen nicht ausschließlich stramme Nazis, manche wollten einfach Raketen bauen.
    In diesem Fall war das Problem allerdings, dass Kayser auch öffentlich diesen Nutzen seiner Raketen propagierte. Dass andere Länder dann Druck auf die Bundesregierung ausübten, aus Angst, Deutschland könne doch wieder durch technische Entwicklungen zu einer ernshaften Bedrohung heranwachsen, finde ich sehr nachvollziehbar.

  3. #3 RPGNo1
    12. April 2019

    Eine hoffentlich nicht allzu dumme Frage: Warum ist diese zugleich spannende wie auch haarsträubende Geschichte in Deutschland des Jahres 2019 anscheinend nahezu unbekannt? Ich habe über diese Artikel zum ersten Mal davon gehört.

    Sonst werden doch oft aus weitaus weniger wichtigen Ereignissen auch aus Präinternet-Zeiten Dokumentationen oder Reportagen erstellt.

  4. #4 Bettina Wurche
    12. April 2019

    @RPGNo1: In den 70- und nochmal in den 80-er Jahren war es schon in der Tagespresse, da war es eben aktuell. Dann kam nach dem Tod von Lutz Kayser 2017 der Film, es gab noch das Buch und ein paar kleine Notizen in der Tagespresse. Das Thema scheint eher ein Randthema zu sein. Das Gros der LeserInnen der Tagespresse interessiert sich eher für Kim Kardashian (sogar auf SPON), CatContent, die Abbildung des eigenen Essens und Aufregerthemen wie Masern/Impflicht, Brexit, … Inhalte und Fakten stehen hinter emotionalen Aufregern weit zurück (s. Diskussion um Masern/Impfpflicht). Es ist verständlich, dass Redakteure in Zeiten knapper Finanzierung und sterbender Zeitungen das bedienen müssen.
    Ich bin auf die OTRAG gestoßen, weil Rainer zur Podiusmdiskussion eingeladen war und mir davon erzählt hat. Ich habe dazu wirklich umfangreich recherchiert und lange daran geschrieben, es hat mir allerdings nicht so viel LeserInnen gebracht, wie erwartet.
    Letztendlich kann ich Deine Frage nicht beantworten, sondern nur mutmaßen.

  5. #5 RPGNo1
    12. April 2019

    @Bettina Wurche
    Danke 🙂

  6. #6 Don Martin
    13. April 2019

    Also Kurt Debus hat als strammer Nazi begonnen, Inklusive SA und SS-Mitgliedschaft, auch wenn er später prominent im Apolloprogramm war. Und für die Penemündener Urgesteine hat sich die Frage nach Dual Use nie gestellt, weil von Beginn an nur die Reichswehr als Finanzier in Frage kam – sonst war keiner dazu bereit oder fähig.

    Bei aller technischer Begeisterung und Fähigkeit, die man diesen Leuten zuerkennen muss – von der Geschichte im Westen waren Raketen immer erst einmal Massenmordinstrument, dann Spionage, dann kommerziell und dann erst wissenschaftliches Forschungsinstrument.

  7. #7 Bettina Wurche
    14. April 2019

    @Don Martin: Bei Eugen Sänger war das genauso (s. Wiki-Eintrag). Und Lutz Kayser soll sich angeblich gerühmt haben, ein Hitler-Gemälde zu besitzen.
    https://www.theguardian.com/travel/2015/jun/13/naked-island-idyll-eccentric-couple-recall-life-rockets-dictators
    Ich habe es allerdings nicht für alle genannten Personen recherchiert und wollte keine pauschale Verurteilung vornehmen.

  8. #8 bombjack
    17. April 2019

    Da gab es einen Artikel in der P.M. Ausgabe 7/1981 ( Peter Moosleitners interessantes Magazin) über das Teil.

    bombjack

  9. #9 Bettina Wurche
    17. April 2019

    @bombjack: Zu schade, dass der nicht online ist, hätte ich gern gelesen

  10. #10 roel
    17. April 2019

    @Bettina Wurche Super interessanter Beitrag.

    Ich habe ein bisschen gewühlt:

    https://www.astronautix.com/o/otrag.html

    Siehe auch die Links im Artikel.

  11. #11 roel
    18. April 2019

    @Bettina Wurche

    Ergänzende Informationen zu OTRAG und meinem gestrigen Link auf astronautix(dot)com

    Bernd Leitenberger hat sich ausfürlich mit OTRAG beschäftigt. Seine Ausführungen findet man hier: https://www.bernd-leitenberger.de/otrag2.shtml
    Das ist der zweite Teil, aber er enthält auch den Link auf den ersten Teil und auf die Einführung, mit weiteren Verweisen.

    Auch sehr interessant:
    The last OTRAG rocket – launched from Esrange von Sven Grahn https://www.svengrahn.pp.se/histind/Swefirst/Soundingrocketdetails/OTRAG/OTRAGEsrange.htm

    What’s going up in Zaire? OTRAG’s rocket base in Shaba von Stanley Cohn
    https://authors.library.caltech.edu/25694/1/MALN_49.pdf

    Zwischen den Fronten des Kalten Krieges von Michael Ohnewald
    https://www.michael-ohnewald.de/pdf/FAZ_Seite_Otrag.pdf

  12. #12 rolak
    3. März 2020

    Grad eben wurde eine neue Doku zum Thema von der Mediathek frei Haus geliefert.

  13. #13 Bettina Wurche
    3. März 2020

    @rolak: Klasse, danke!