Pottwale werden bis zu 18 Meter lang und 60 Tonnen schwer, sie tauchen bis unter 2250 Meter und erbeuten dort selbst wehrhafte Riesenkalmare.
Die grauen Riesen durchpflügen die Ozeane, eisige Temperaturen und große Druckunterschiede machen ihnen nichts aus, die ewige Dunkelheit der Tiefsee durchdringen sie mit ihren Schallwellen. Mit ihren gewaltigen Köpfen und dem Gebiss mit 52 großen sichelförmigen Zähnen muten sie wie Leviathane an, biblische Ungeheuer, nicht von dieser Welt.
Doch auch solche gewaltigen Meereswesen sind nicht unverwundbar. Zu Zeiten des Walfangs sind sie weltweit in großen Mengen getötet worden, seit den 1970-er Jahren erholen sich die Bestände langsam wieder. Aber es gab noch einen anderen Gegner, der sie fast ausgerottet hätte: Eine rapide Klimaveränderung im Pleistozän, vor 125.000 Jahren.
Ein Team um Phillip A. Morin und Alana Alexander hatte 2018 den Stammbaum der grauen Meeresriesen molekularbiologisch analysiert, ihr überraschendes Ergebnis: Die heute lebenden Pottwale aller Weltmeere gehen auf eine kleine Population von vielleicht 10.000 Tieren zurück.
Das bedeutet, dass vor 125.000 Jahren etwas passiert ist, was die großen Pottwale der irdischen Ozeane fast ausgelöscht hat (Phillip A. Morin et al: Demography or selection on linked cultural traits or genes? Investigating the driver of low mtDNA diversity in the sperm whale using complementary mitochondrial and nuclear genome analyses).
Die grauen Riesen der Meere leben in Click-Clans – Mutter-Kind-Gruppen
Heute gibt es in allen Ozeanen zusammen etwa 360.000 der großen grauen Zahnwale.
Die Weibchen leben gemeinsam mit ihrem Nachwuchs in Gruppen nahe dem Äquator. Sie sind kleiner und leichter als die Männchen und tauchen weniger lange und tief. Die erwachsenen Männchen leben in subpolaren Gewässern der Nord- und Südhemisphäre und ziehen nur im Winter zu den Weibchen-Kind-Gruppen.
Diese Meeressäuger leben in Populationen, die sich nicht oder nur äußerst selten miteinander mischen. Jede Population hat ihre eigene Kultur – die Codas ihrer Kommunikation unterscheiden sich genauso wie ihre Jagd- und Tauchmuster. Die Populationen sind dann noch weiter aufgeteilt in Clans. Solche Untersuchungen des Pottwal-Verhaltens sind bisher überwiegend an den Gruppen der Weibchen und ihrer Jungtiere durchgeführt worden, die Bullen kommunizieren eher spärlich. Der Pottwal-Forscher Hal Whitehead hat in über 20 Jahren Forschung fantastische Einblicke in das soziale Leben der Pottwale bekommen. Er hat auch den Begriff der Kultur aufgebracht und ist überzeugt: Die gesamte Kommunikation und Koordination innerhalb der Weibchen-Gruppen ist um die Betreuung ihres Nachwuchses herum entstanden (Whitehead, Hal: „Sperm Whales: Social Evolution in the Ocean“, 2003).
Diese Verwandtschaftsbeziehungen werden auch genetisch abgebildet: Die mitochondriale DNS (mtDNA), die vor allem die mütterliche Linie abbildet, unterscheidet sich je nach Clan und Population weniger oder stärker: Die Weibchen eines Clans sind alle nahe miteinander verwandt.
Eine Pottwalin namens „Eve“
2016 hatte Alana Alexander bereits publiziert, dass, trotz ihrer signifikanten Clan-Unterschiede, die DNA der Weibchen ansonsten überraschend ähnlich war und auf wenige gemeinsame Urahninnen hinweist (Alana Alexander et al: „What influences the worldwide genetic structure of sperm whales (Physeter macrocephalus)?)
In der Presse wurden diese gemeinsamen Vorfahrinnen „Eve“ getauft, in Anlehnung an die mitochondriale Eva der Hominiden.
Der Terminus “mitochondriale Eva“ ist etwas irreführend, natürlich gibt es nicht eine einzige Stammmutter, aber aus irgendwelchen Gründen ist das Genom eines Weibchens innerhalb einer Gruppe offenbar besonders dominant gewesen. Diese Pottwal-Eva muss vor etwa 80.000 Jahren gelebt haben.
2018 hatte Alana Alexander gemeinsam mit Phillip A. Morin und weiteren KollegInnen weitere erstaunliche Details im Pottwal-Genom veröffentlicht:
Die Analyse von 175 Proben von lebenden und toten Pottwalen aus allen Weltmeeren ergab, dass alle heutigen Pottwale stammen von einem kleinen Bestand von nur etwa 10.000 Individuen abstammen, die vor etwa 125.000 Jahren, im Mittleren Pleistozän, im Pazifik lebte (Phillip A. Morin et al: Demography or selection on linked cultural traits or genes? Investigating the driver of low mtDNA diversity in the sperm whale using complementary mitochondrial and nuclear genome analyses).
Was geschah im Pleistozän?
Den großen Pottwal Physeter macrocephalus gibt es als Art seit vermutlich fünf Millionen Jahren, die beiden heute existierenden Kleinen und Zwergpottwale sind wohl etwas jünger (Die sehr gute Graphik des Pottwalstammbaums darf ich hier leider nicht einbinden, der Blick darauf lohnt sich!)
Bei einer weltweiten Verbreitung von Physeter macrocephalus muss es einst wesentlich mehr Individuen als 10.000 gegeben haben. Eine solche genetische Verarmung ist ein genetischer Flaschenhals – genetic bottle neck.
Was aber kann diese scheinbar unverwüstlichen grauen Riesen der Meere so massenhaft getötet haben?
Krankheit, Nahrungsmangel oder andere Tiere?
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass in allen Ozeanen der Erde gleichzeitig solche flächendeckenden Verwüstungen der Pottwalbestände durch Krankheiten oder Nahrungsmangel passiert sein können, so etwas kommt bestenfalls in einzelnen Populationen oder Ozeanbecken vor. Und es sind keine Tiere bekannt, die auf einmal solche Mengen Pottwale gefressen haben könnten.
Allerdings sollen ähnliche genetische Bottlenecks auch bei anderen Walen und vorgekommen sein: z. B. bei den heute ebenfalls global verbreiteten und in Clans und Populationen aufgesplitteten Orcas!
Wenn mehrere verschiedene Arten betroffen sind, ist eine externe Todesursache wahrscheinlich: Phillip A. Morin und Alana Alexander nennen in ihrer Publikation zu Recht eine Klimaschwankung als wahrscheinlichen Pottwal-Killer.
PS: Presseberichte über den Artikel von 2018 nannten näherungsweise 100.000 Jahre als Zeitraum – statt der in der Publikation genannten 125.000 Jahre. In der Überschrift hatte ich diese stark abgerundete Zahl zunächst stehen lassen – ich bitte um Entschuldigung für die späte Korrektur.
Fortsetzung folgt
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