Zwischenstopp Valpairaiso – UNESCO-Weltkulturerbe und StreetArt-Zentrum
Wir verfrachten unser umfangreiches Gepäck in ein sehr großes Auto. So gerade eben passen wir alle hinein, zu dritt auf der Rückbank ist schon Kuscheln angesagt. Dann ist unsere Gruppe von 5 Nerds auf dem Weg nach Norden – über Pinguinkolonien und Walfossilien, auf der Suche nach einem flauschwilligen Kleinkamel und letztendlich bis zu den großen Teleskopen. Immer eine Empanada in Griffweite.

StreeArt in Valparaiso: CatContent

Der erste Zwischenstopp ist in Valparaiso: Pablo Nerudas Geburtsstadt ist berühmt für ihre verwinkelte Altstadt mit den vielen Galerien und der phantastischen StreetArt. Valpo, so nennen die Einheimischen ihre paradiesische Perle am Pazifik, erstreckt sich über 42 Hügel („Cerros“), jeder davon ist ein eigener nachbarschaftlicher Mikrokosmos. Im Altstadtbereich taucht man vollständig in den künstlerischen Kosmos ein – die bemalten Wände und Treppen wirken manchmal perspektivisch verzerrt, was zu surrealistischen Erlebnissen führt. Wir haben dieses Gesamtkunstwerk bei einem abendlichen Spaziergang bestaunt und konnten uns nicht satt sehen.
Die chilenische StreetArt ist nicht allein dekorativ, sondern hat auch eine politische Dimension aus der Zeit der Pinochet-Junta: „Nach dem Militärputsch in Chile im Jahr 1971 waren die Medien von der Pinochet-Junta kontrolliert und wurden zensiert. Das heimliche Anbringen von Graffiti war eine Möglichkeit, Protest gegen die Regierung in die Welt zu schreien. Diese Zeiten sind gottlob vorbei – und Graffiti ist in Valparaiso inzwischen so anerkannt, dass es der Stadtverwaltung längst nicht mehr darum geht, sie zu bekämpfen. Sondern darum, sie zu fördern und zu steuern.“

Hintergrund-Infos und Bildersammlungen sind hier und hier.

Für die wärmstens empfohlene Guided Tour haben wir leider keine Zeit mehr. Dafür gibt es vom Hotelzimmer aus den ersten Ausblick auf die pazifische Seevogel-Fauna: In der Palme gegenüber pennt eine Gruppe Skuas, außerdem streicht eine Kette Pelikane vorbei. Den dunkelbraunen Raubmöwen machen Wind und Regen nichts aus, schläfrig wippen und dösen sie in unserer Augenhöhe in der gut geschützten Palmkrone.
Noch bedauerlicher ist, dass wir auch keinen Abstecher mehr zum Fischmarkt schaffen. Angeblich sollen dort regelmäßig auch Seelöwen zum Essen vorbeikommen. Aber unsere Astro-Termine machen Termindruck.

An dieser Stelle darf ich auf Steffens exzellente Bilder der Tour hinweisen – vielen Dank, Steffen!

La Serena und das European Southern Observatory La Silla
Die Fahrt nach Norden beginnt früh am nächsten Morgen, die Sonnenfinsternis rückt näher. Der Soundtrack der Reise setzt sich zusammen aus Zeitzeichen und Queen – alle von uns haben im Flieger „Bohemian Rhapsody“ geguckt.
Unser Quartier für die Beobachtung liegt in La Serena, einer 200.000 Einwohner-Stadt am Pazifik. La Serena ist die zweitälteste Stadt Chiles und mit herrlichen Stränden im Sommer ein Touristen-Magnet. Die kleine Stadt liegt direkt auf der Linie der Totalität – darum werden 300.000 Finsternis-Touristen aus aller Welt erwartet, die Stadt rüstet sich gerade dafür mit Verkehrskonzepten und Events.

La Silla: The Dish

Unser erstes astronomisches Highlight ist der Besuch des La Silla-Observatoriums,  dafür fahren wir von La Serena aus landeinwärts in die Kordilleren.
La Silla liegt in 2400 Metern Höhe und wurde in den 60-er Jahren als erstes der ESO-Observatorien (ESO – der Europäischen Süd-Sternwarte) eingerichtet. ESO betreibt hier „zwei der weltbesten Teleskope der 4-Meter-Klasse, so dass La Silla weiterhin eines der wissenschaftlich produktivsten Observatorien weltweit ist.“
Hier gibt es mehr Info zu ESO La Silla und einen virtueller Rundgang.

Wir bekommen die verabredete kurze Sonderführung, für die Eclipsis-Beobachtung selbst haben wir leider keine Plätze mehr bekommen. Zu groß ist der Andrang der internationalen Presse und dann soll noch der Präsident zu Besuch kommen!
Wir sehen bereits mehrere Arbeitsgruppen, die ihr Equipment für die Beobachtung der Sonnenfinsternis aufbauen und einrichten. Darunter eine Gruppe von AstrophysikerInnen auf Eclipsis-Tour – sie wollen während der Finsternis, das Einsteins Experiment zur Allgemeinen Relativitätstheorie nachstellen und das Ergebnis reproduzieren, 100 Jahre später.

Guanakos sehen wir leider nicht, nur ihre Köttel künden von ihrer regelmäßigen Anwesenheit.
Nach der kurzen Führung wollen wir zurück nach La Serena fahren. Aber vorher müssen die Frauen zum Klo. Ein Glücksfall, weil wir dabei am Eingangsgebäude dem gerade ankommenden Dr. Andreas Kaufer begegnen. Er ist Director of Operations (also ESO-El Jefe) und auch noch langjähriges Mitglied der Starkenburg-Sternwarte – sofort spricht er Rainer an, die beiden Herren kennen sich natürlich. Und so kommen wir zu einer 2. Führung, die deutlich ausführlicher wird.

Dabei führt er uns das New Technology Telescope mit seinem Spiegeldurchmesser von 3,58 Metern vor – das weltweit erste Teleskop mit aktiver Optik. Aktiv bedeutet, dass die Form seines Hauptspiegels stetig computergestützt kontrolliert und korrigiert wird. Diese bei ESO entwickelte Technik der aktiven Optik ist heute Standard beim VLT (Very Large Telescope) des Paranal-Observatoriums und den meisten anderen Großteleskopen auf der Welt.

Seit 2002/2003 ist am 3,6-Meter-Teleskop auf La Silla ist mit dem High Accuracy Radial velocity Planet Searcher (HARPS) ein besonders präziser Spektrograph montiert – der weltweit führende Exoplaneten-Jäger!
Die Genfer HARPS-Arbeitsgruppe ist bei der Exoplaneten-Entdeckung sehr erfolgreich, allein 2009 hatten sie auf einen Schlag 32 neue Exoplaneten entdeckt. Allein zwischen 2003 und 2009 haben die Schweizer Forscher mit HARPS 75 der bis dahin bekannten 400 Exoplaneten erspäht, in 30 verschiedenen Planetensystemen.
Der Exoplaneten-Jäger HARPS in der Abgeschiedenheit der Kordilleren löst bei mir natürlich exobiologisches Kopfkino aus. Die ganze Situation mit der konzentrierten Betriebsamkeit, die im Sonnenlicht weiß und metallisch schimmernden High Tech-Einrichtungen auf den kargen Hügeln und das atemberaubende Berg-Panorama wirken unwirklich spacig.
Beim Wegfahren eine Verabredung zu einer Sonderführung durch Dr. Andreas Kaufer auf dem ESO-Observatorium Paranal in der Tasche, am 04.07.2019.


La Vicuna: Sonnenfinsternis im Elqui-Tal unter Hippies
Am Tag vor der Finsternis – 01.07.2019 – suchen wir nach einem guten Beobachtungsplatz – La Serena liegt direkt am Meer, auch unser kleines Apartment hat Pazifik-Blick. Zum Beobachten von Pelikanen, Tölpeln und Möwen ist das hervorragend, auch für einen herrlichen Strandspaziergang. Aber über dem Meer steigt oft Feuchtigkeit auf und bildet Dunst und Wolken, das können wir natürlich für den Blick nach oben nicht gebrauchen. Also fahren wir das Elqui-Tag hinauf, das die Kordeilleren durchschneidet.

Ruta de Estrellas – Die Route der Sterne im Elqui-Tal

Der Elqui ist zurzeit nicht sehr breit, das breite Flussbett zeigt allerdings, dass er gewaltig anschwellen kann. An seinen fruchtbaren Ufern entlang ziehen sich Wein-, Ost- und Gemüse-Anbaugebiete. Dieses Tal war schon immer fruchtbar, darum ist es seit langer Zeit bewohnt gewesen. Archäologische Artefakte wie Petroglyphen sind Spuren vergangener Bewohner und ihrer Kulturen. Wie eine Perlenkette reihen sich größere und kleinere Ansiedlungen entlang der Flussufer. Sie alle haben vor allem kleinere ein- bis zweistöckige Gebäude, jedes Häuschen hat einen gut gepflegten Garten mit mediterranen und einheimischen Pflanzen. In den winzigen Häusern – oft so groß wie bei uns eine Gartenlaube – wohnen ganze Familien mit vielen Generationen und Kindern. Alle bereiten sich auf den großen Ansturm zur Sonnenfinsternis vor – die Anwohner bereiten Stände für den Straßenverkauf mit Getränken, Obst, Empanadas und anderem vor, die Gendarmeria da Chile bereitet ein Leitsystem und die Regelung sehr großer Verkehrsmassen vor. Die Carabinieri übernehmen besondere Aufgaben, neben der Bewachung des Präsidentenpalastes auch die Regelung eines solchen Groß-Events. Ihr etwas operettenhaft-martialisches Auftreten täuscht – wir haben häufig bei ihnen den Weg erfragt, alle waren immer freundlich und hilfsbereit, auch hoch zu Ross oder mit Diensthund. Wie überhaupt die Menschen und vielen Hunde in Chile einen entspannten Eindruck machten, uns ist überall freundlich geholfen worden.

Viele der niedrigen Gebäude vor den abgeschliffenen kargen Bergzügen sind phantasievoll und bunt bemalt. Neben Menschen, Tieren und Straßenszenen sind auch viele Astro-Motive dabei – das Elqui-Tag hat viele kleine private Observatorien und eine regelrechte Astro-Touristik. Viele Amateur-Astronomen nutzen diesen Ort für einen kurzen Ausflug unter den unglaublich sternreichen südlichen Sternenhimmel mit der perfekten Sicht nach oben, weit weg von Lichtglocken größerer Städte.
Viele Angebote mit esoterischem Kunsthandwerk, Heilkristallen, Bachblüten-Therapien und ähnlichem weist auch auf eine größere Astro-Community hin. Später erklärt mir ein chilenischer Student, den wir bei der Sonnenfinsternis treffen, dass das idyllische Tal wegen des herrlichen Sternenhimmels und der archäologischen Artefakte als magisch gilt und der Hippie-Lifestyle hier noch sehr lebendig ist. Die Kunsthandwerkmärkte und astrologischen Wandgemälde sind jedenfalls absolut pittoresk.

Kurz hinter La Vicuna machen Rainer und Steffen, unsere erfahren Finsternis-Gucker, den perfekten Platz aus: Ein staubiger Parkplatz am Fuße der Kordilleren, kühler Wind und gnadenlos helle Wintersonne. Am Wichtigsten: Freier Blick nach Westen! La Vicuna liegt perfekt auf der Eclipsis-Hauptlinie.

Am 02.07. brechen wir früh auf und fahren zu unserem ausgespähten Beobachtungsplatz hinter La Vicuna.
Auf dem Parkplatz haben wir volle Logistik – für einen langen Tag haben wir gern Toiletten, Kaffee-Verkauf und sogar ein Restaurant in der Nähe. Dort lagern und campen bereits ein paar Gruppen, viele davon Familien mit kleinen Kindern. Im Hintergrund klagt ein chilenischer Sänger zu gitarrenschwerer Musik mit galoppierendem Schlagzeug. Am Rand stehen ein paar robuste kleine Pferde, für wen auch immer gesattelt, einige neugierige Ziegen werden gerade in einen Pferch gelockt, aus dem sie dann natürlich sofort auszubrechen versuchen.
Die paar optischen Geräte sind schnell aufgebaut, dann heißt es warten.
In der chilenischen Wintersonne ist es angenehm warm, aber nicht zu heiß. Rechts und links von uns steigen die ausgedörrten Hügelflanken in den Himmel. Üppiges Pflanzenwachstum zieht sich nur direkt am Elqui entlang, etwas entfernt davon wird die Vegetation schnell nieder und karg. Auf dem gleichmäßigen Grau-Braun-Violett der Kordilleren fallen die Lichtveränderungen bei zunehmender Sonnenbedeckung besonders deutlich auf, der perfekte Hintergrund für diese gewaltige Himmelserscheinung. Mit abnehmendem Licht werden die Hügel immer violetter und unwirklicher, fast überirdisch.

32 Minuten vor Totalität: Jetzt kommt spürbar Wind auf, die Temperatur fällt weiter.
11 Minuten vor Totalität: Ein Schwarm grüner langschwänziger Papageien fliegt kreischend durchs Tal – überrascht vom vermeintlichen Nachteinbruch wollen sie noch schnell Schlafbäume erreichen.
1 Minute vor Totalität: Fliegende Schatten wabern in Wellen über den staubigen Boden.
Totalität: Gemeinsam schauen wir alle gebannt die dunkle Sonnenscheibe an.
Diamant-Moment: Während der Himmel noch dunkel ist, lassen die ersten Sonnenstrahlen die Hügelränder wie magisch aufleuchten. Meine Photos können diese Stimmung nicht abbilden. Unter dem weiten Himmel über den Anden fühlt man sich als Mensch ohnehin schon klein, das seltsame Licht bei der Sonnenfinsternis sieht so gewaltig aus, dass man noch weiter schrumpft. Wie müssen sich erst die Menschen vor Zehntausenden von Jahren gefühlt haben, die auch an dieser Stelle standen und kosmische Phänomene beobachteten? Ohne dass sie sich diese gewaltigen Phänomene naturwissenschaftlich erklären konnten? Der Sternenhimmel über den Kordilleren ist ein zutiefst berührendes Erlebnis, die Sonnenfinsternis erst recht.

Eclipisis im Elqui-Tal: Magisches Licht

Für mich ist es die 2. Totale Sonnenfinsternis. Die fliegenden Halbmonde habe ich schon bei der 1. gesehen. Aber diese wabernden Wellen irritieren mich, sie sehen aus wie die Lichtreflexe von Wellen am Meeresboden – bevor ich meine Beobachtung in Worte fassen kann, erklärt Rainer mir, dass das die „Fliegenden Schatten“ sind. Ein selten so deutlich zu sehendes Phänomen, das bis heute nicht ganz aufgeklärt ist. Unsere Photos davon sind nicht gut geworden, aber gute Bilder und die derzeit schlüssigste Theorie ihrer Entstehung sind hier zu finden

Gute Bildstrecken mit Profi-Aufnahmen sind hier und hier.

Etwas enttäuschend war, dass der Parkplatz von so wenigen Gästen genutzt wurde – wir hätten den Organisatoren für ihre gute Vorbereitung ein wesentlich besseres Geschäft gewünscht und eine größere Gruppe mit mehr begeisterter Interaktion. So eine Sonnenfinsternis ist vor allem in einer Gruppe ein besonderes Erlebnis. Zu überwältigend ist das Erlebnis für mich allein, ich teile diese magische Stimmung lieber mit anderen Menschen. Damit stehe ich nicht allein, das Bedürfnis zum emotionalen Teilen dieser außergewöhnlichen Stimmung führt immer wieder zu Umarmungen und Jubeln.
So kommen wir auf unserem staubigen Parkplatz mit anderen Menschen ins Gespräch, von drei chilenischen Studenten haben wir noch wertvolle Einsichten in ihren chilenischen Alltag und ein paar weitere Tipps bekommen.
Durch den riesigen Strom der Sonnenfinsternis-Besucher kommen wir erst sehr spät zurück, am nächsten Tag schlafen wir alle mal aus.
Schließlich haben wir danach schon wieder eine lange Fahrt vor uns…

Kommentare (3)

  1. #1 RPGNo1
    24. Juli 2019

    @Bettina Wurche
    Toller Bericht. Ich habe richtig mitgefiebert.

    alle von uns haben im Flieger „Bohemian Rhapsody“ geguckt

    Wie ist deine Meinung zum Film? Ich habe ihn letztes Jahr im Kino gesehen und war schwer begeistert. Besonders die Schauspieler, die die Mitglieder von Queen verkörperten, waren so gut geschminkt, dass ich manchmal das Gefühl hatte, die jungen Original treten auf.

  2. #2 Bettina Wurche
    24. Juli 2019

    @RPGNo1: Das freut mich! Ich habe auch immer noch die Bilder und Begebenheiten vor Augen, beim Duchgucken der Photos fällt mir wieder so viel ein. Mir hat “Bohemian Rhapsody” unglaublich gut gefallen. Ich fand auch, dass die Darsteller extrem nah am Original waren. Vor allem spannend fand ich, wie sich einzelne Songs entwickelt haben (sollen), seitdem betrache ich die Songs noch einmla mit anderen Augen. Und Freddie Mercurys einzigartige Genialität kam ja nun wirklich gut dabei ´raus.

  3. #3 Dampier
    24. Juli 2019

    Danke für diesen schönen Bericht!