„Der Amazonas-Regenwald – die Lunge, die 20 Prozent des Sauerstoffs unseres Planeten produziert – steht in Flammen.“ (Tweet des französischen Präsidenten Emmanuel Macron) lauteten vor ein paar Wochen alarmistische Meldungen in den Medien, gedruckt oder digital.
Dass die ausgedehnte Brände im Amazonas-Regenwald nicht die irdische Sauerstoff-Versorgung bedrohen, hatte ich bereits erläutert, auf der Basis des Scientific American-Beitrags „Destructive Amazon Fires Do Not Threaten Earth’s Oxygen, Expert Says“ des Atmosphärenforscher Scott Denning.
Allerdings fehlten mir immer noch aktuelle Daten und mehr Details zur Verteilung der derzeitigen Sauerstoffproduktion der Pflanzen an Land und in den Ozeanen, die Recherche erwies sich als schwierig. Jetzt habe ich diese Daten bekommen – von der Ozeanographin Dr. Hailey Evers-King.
Sie hat Scott Dennings Aussagen bestätigt und dann gut erklärt, warum diese Frage nicht einfach zu beantworten ist. Eines der Hauptprobleme beim Verständnis der irdischen Sauerstoffproduktion und des Sauerstoffgehalts ist, so Hailey, dass es sich eine Zirkulation handelt, also um ein bewegliches und veränderliches System. Ein Teil des Sauerstoffs wird gespeichert. Der Kohlenstoffzyklus ist ebenfalls veränderlich und verfügt auch über Speicher, außerdem interagiert er mit dem Sauerstoffzyklus.
Beide Kreisläufe korrespondieren mit einer Vielzahl von äußeren Einflüssen wie Photosynthese, Atmung, Verwitterung und Verbrennung von Pflanzen und fossilen Energieträgern. Dabei nehmen die Reservoire einen beträchtlichen Teil des Sauerstoffs und Kohlenstoffs auf. Der Abbau der gespeicherten Gase hängt auch wieder von äußeren Einwirkungen ab und ist nicht gleichmäßig.
Die Entstehung des irdischen Sauerstoffes sorgt oft für weitere Verwirrung und wird gern mit den Kreisläufen verwechselt. Der weitaus größte Teil des Sauerstoffs ist nämlich bereits vor vielen Jahrmillionen entstanden: Urzeitpflanzen in den Meeren und an Land haben ihn bei ihrer Photosynthese freigesetzt (Zum Weiterlesen: “The Origin of Oxygen in Earth’s Atmosphere” – schöner Artikel mit grünem Urschleim).
“Measuring the different fluxes of oxygen to gain an idea of where oxygen/carbon is at any given time is quite tricky” schrieb Hailey – das Erfassen und Messen der verschiedenen Sauerstoff- und Kohlenstoff-Flüsse zu verschiedenen Zeiten ist extrem kompliziert. Schließlich wird es durch eine Vielzahl von Ursachen und Wechselwirkungen beeinflusst.
Satellitendaten mit ihren hoch auflösenden Aufnahmen können einige Aspekte zeitlich und räumlich gut abbilden und sind heute in der Atmosphären- und Klimaforschung unersetzlich. Allerdings können sie die Gase nicht direkt messen, sondern nur einige wichtige Parameter. So können sie die Photosyntheseleistung von Pflanzen an Land und im Wasser erfassen. Dazu wird die durch Chlorophyll beeinflusste Färbung des Wassers optisch aufgenommen, zusammen mit anderen Parametern wie Temperatur, Licht und Durchmischung sowie Strömungen ist dann eine gute Schätzung der Photosyntheleistung möglich – “We can use ocean colour to estimate chlorophyll, and other satellite data (such as temperature, light and estimates of ocean mixing) as inputs to estimate primary production.” (Wer mehr darüber wissen möchte – hier gibt es eine sachkundige Diskussion zur Produktivität der Ozeane).
Die Frage, wieviel Kohlenstoff genau in der Tiefsee gespeichert ist, ist noch schwieriger mit exakten Zahlen zu beantworten. Fest steht nur, dass dort umfangreiche Kohlenstoff-Reservoire sind.
Neben dem “fossilen” Sauerstoff durch Urgrünzeug geben natürlich auch heute lebende Pflanzen das für uns lebenswichtige Atemgas in die Atmosphäre ab. Diese sogenannte Primärproduktion – die Pflanzen bilden die unterste Stufe der trophischen Pyramide bzw. des Netzes – ist regional und saisonal sehr unterschiedlich.
Vermutlich tragen Pflanzen an Land und im Meer jeweils etwa zu gleichen Teilen neuen Sauerstoff dazu bei. Heute stammt, so Hailey, etwa die Hälfte der Sauerstoff-Produktion von Land- und von Meerespflanzen, davon etwa 20% aus den Tropenwäldern
Zusammengefasst kann man also sagen: Der größte Anteil des Sauerstoffs in der heutigen Atmosphäre ist „fossil“ und wurde vor Jahrmillionen oder gar Jahrmilliarden gebildet. Der kleinere Anteil stammt aus der heutigen Primärproduktion. Dabei kommen je 50 % aus den Ozeanen und von Land, davon insgesamt 20 % aus den tropischen Wäldern.
Natürlicherweise sind Sauerstoff- und Kohlenstoffkreislauf gekoppelt und einigermaßen ausgeglichen. Das Verbrennen fossiler Energieträger bringt diese ausgeglichene Bilanz allerdings aus dem Gleichgewicht – zu Lasten des Sauerstoffgehalts.
Die katastrophalen Auswirkungen der Brände in den Regenwäldern des Amazonas und anderswo möchte ich damit keinesfalls verharmlosen oder relaitivieren – sie haben schwerwiegende überregionale ökologische, klimatische und soziale Auswirkungen.
OLCI – das scharfe Auge des Wächters über die Ozeane
2017 hatte ich Dr. Hailey Evers-Kings TedX-Talk über die optische Analyse der Farben des Ozeans bei EUMETSAT in Darmstadt gehört. Hier geht es zu ihrem hervorragenden Vortrag (ab Minute 52) – sie vergleicht die Farben des Meeres mit einem Gemälde. Mittlerweile arbeitet sie als Marine Applications Expert bei EUMETSAT (European Organisation for the Exploitation of Meteorological Satellites). Sie analysiert die Daten aus dem Copernicus-Programm – das Instrument OLCI (Ocean and Land Colour Instrument) des Sentinel 3A-Satelliten erfasst optisch die Färbung des Ozeans. Anhand der Meeresfarbe kann das Algenwachstum erfasst und letztendlich die Photosyntheseleistung und Sauerstoff-Produktion geschätzt werden.
OLCIs Spektralanalyse der Ozeane ermöglicht also ein globales Bild der ozeanischen Primärproduktion. Diese Daten sind eine der Grundlegenden Klima-Variablen (Essential Climate Variables), die die World Meteorological Organization definiert hat, um die biologische Aktivität an der Ozean-Oberfläche zu erfassen und zu beschreiben. Durch die Kohlendioxid-Aufnahme-Kapazität des Phytoplanktons sind diese Meerespflanzenansammlungen wichtige CO2-Speicher.
Planktonblüten können weiterhin auch zur Beobachtung von Wetter- und Klima-Phänomene wie El Niño/La Niña genutzt werden.
Diese Beobachtungen sind von großer ökologischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Blüten von Giftalgen können Aquakulturen und Fischerei bedrohen, denn die winzigen Dinoflagellaten sind tödlich. Bei Massenauftreten gerade im Kontext mit El Nino im südlichen Pazifik oder dem sogenannten Warmwasser-Blob im Nordpazifik sind in den letzten Jahren vermehrt Walmassensterben aufgetreten. Die großen Meeressäuger sind dabei nur die Spitze des Eisbergs, natürlich sind dabei auch viele andere Meerestiere umgekommen.
In dem Beitrag “In early July 2019, Sentinel-3 captured images showing blooms of Sargassum seaweed, which made the headlines due to their rapid growth and how far they spread.” beschreibt Hailey Evers-King ihre Analyse der Algenblüte des Sargassums, einer großen Braunalge, im Sargasso-Meer. Der Tang Sargassum ist für dieses Meeresgebiet charakteristisch, er ist eine schwimmende Insel in einer Ringströmung zwischen Afrika und Südamerika und ein eigenes Ökosystem. In den letzten Jahren ist es durch den Temperaturanstieg der Meeresoberfläche und das Einspülen extrem vieler Nährstoffe als Folge der Abholzung des Amazonas-Regenwaldes zu einem besonders starken Algenwachstum gekommen und zu einer Verschiebung des gesamten Ökosystems. Gleichzeitig werden nun große Mengen verfilzter Tange an den Stränden der Karibik angespült, was eine weitere ökologische und wirtschaftliche Katastrophe nach sich zieht – neben dem Fischsterben, das die Fischerei unmöglich macht, und Gesundheitsrisiken ist in der Karibik auch der Tourismus empfindlich betroffen (Darüber hatte ich 2018 für Spektrum der Wissenschaft geschrieben: Sargassum: “Neuer Fluch der Karibik”.)
Die Sentinel-Satelliten gehören zum europäischen Copernicus-Programm, dem ambitionierten Erdbeobachtungsprogramm der EU. Wenn man sich die Sargassum-Problematik näher anschaut oder die auf El Nino folgenden Massensterben, wird die Bedeutung solcher Algenblüten schnell deutlich.
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