Wie sieht es heute an der Unglücksstelle aus?

Erst 2017 konnten Craig R. McClain, Clifton Nunnally, and Mark C. Benfield eine erneute finanzielle Förderung auftun und mit dem Tauch-Roboter die Video-Transekte von 2010 ihrer Kollegen wiederholen. Die erfahrenen Tiefsee-Ökologen, die den Golf und seine Faunengemeinschaften gut kennen, sahen sofort, dass die Tiefsee-Fauna sich an der Unglücksstelle absolut nicht erholt hatte.
(McClain, Craig R., Clifton Nunnally, and Mark C. Benfield. “Persistent and substantial impacts of the Deepwater Horizon oil spill on deep-sea megafauna.Royal Society Open Science 6.8 (2019): 191164.)

Der Meeresboden um den versiegelten Bohrlochkopf der Macondo-Quelle war immer noch bedeckt von Schrott und der normalerweise weiße, fluffige Meeresschnee war zu schmierigen Klumpen verklebt.
Die für diese Gegend typischen Tiere wie Seegurken, Riesenasseln, Glasschwämme und Peitschenkorallen fehlten. Ungewöhnlich war auch, dass die vielen festen Strukturen unbewachsen waren: Auf schlammigem Meeresboden sind harte Strukturen wie Wracks oder Schrott nämlich ein begehrter Lebensraum und immer schnell von festsitzenden Tieren wie Korallen dicht besiedelt. Nicht hier – die Trümmer der Ölförderungs-Maschinerie waren leer und unbewachsen.
Stattdessen entdecken die Forscher hier ungewöhnliche viele Krebs-Arten. Normalerweise ist eine hohe Artenvielfalt ein Hinweis auf intakte Ökosysteme. Aber hier waren es fast nur Krabben und Garnelen, dafür in besonders hoher Anzahl.

Rohöl lockt liebeshungrige Krabben an

Die Krustentiere waren in keinem guten Gesundheitszustand: Viele Krabben hatten Mißbildungen und verhielten sich seltsam. Fehlende Gliedmaßen, verküppelte Scheren, ölverschmierte Panzer und extrem viele sichtbare Parasiten machten einen ungesunden Eindruck. Krebse, die sich etwas durch Licht oder andere Reize gestört fühlen, zeigen normalerweise deutliche Abwehr-Reaktionen: Sie drehen sich mit erhobenen Scheren zum „Angreifer“. Diese Krabben nicht, die krochen und humpelten einfach weiter.
(Bilder der Krabben sind hier und hier zu finden, sie unterliegen dem Copyright).

“Everywhere there were crabs just kicking up black plumes of mud, laden with oil,” – überall waren Krebse, die beim Umherlaufen ölige schwärzliche Sedimentschwaden aufwirbelten, so beschreibt Clifton Nunnally die Szenerie. Einige der Krebse hatten Buckel, hinter denen die Biologen Tumore vermuteten.
Nach einer ersten Schätzung waren hier achtmal so viele Krebse der häufigsten Tiefseearten im Golf als an anderen Stellen. Die Biologen vermuten, dass die Krabben von der Unglücksstelle stark angezogen werden: Die zerfallenden Kohlenwasserstoffe ähneln den Sexual-Lockstoffen vieler Krebsarten. Die vielbeinigen Gepanzerten werden also mit dem Versprechen auf Sex angelockt, dem sie nicht widerstehen können. Am Ort des Begehrens angekommen, werden sie dann im Kontakt mit den toxischen petrochemischen Verbindungen schnell zu krank und zu verwirrt, um den Ort wieder zu verlassen, so wird die vermeintliche Liebeslaube zur Todesfalle.

Etwas Ähnliches war 2003 nach einer Ölpest in Buzzards Bay in New England zu beobachten, wo chemisch betörte Hummer in ihr eigenes Verderben eilten, erklärt Nunnally gegenüber der Presse
Wissenschaftler hatten die chemisch verwirrten Krustentiere und ihr Schicksal mit der Todesfalle der LaBrea-Asphalt-Seen verglichen – einmal am Zielort, gibt es kein Entrinnen mehr.
Da nur Krebse angelockt wurden, gibt es keine anderen Beutetiere mehr und hungrigen vergifteten Tiefseebewohner müssen sich schließlich gegenseitig fressen. So reichern sich die Gifte in der Nahrungskette immer weiter an, die einzige Alternative wäre, zu verhungern. Eine Lose-Lose-Situation.

Bei diesen Tauchgängen war es nicht möglich, Tiere einzusammeln, um sie im Labor zu untersuchen. Die kranken Krebse haben nicht auf die Köder reagiert. Die Forscher hoffen, nach diesen ersten Ergebnissen weitere Finanzierung zu erhalten, um mit einem anderen ROV doch noch Tiere einzusammeln. Schließlich ist jetzt klar geworden, dass die Ölpest absolut nicht vorbei ist.

Die Forscher hoffen, mit ihrer Arbeit zu mehr Vorsicht bei der Installation neuer Bohrinseln mahnen zu können – eine Ölpest ist nicht nur ein Millionen- oder Milliardenschaden für die Öl-Firma, sondern verwüstet Ökosysteme großflächig und lange anhaltend. Diese marinen Ökosysteme sind nicht nur die Lebensgrundlage vieler Tiere, sondern auch von Millionen von Menschen, etwa den Beschäftigten in Fischerei und Tourismus.
Um die kurz- und langfristigen Folgen dieser Ölpest besser zu erfassen, fordern Wissenschaftler wie Craig McClain die Finanzierung mehr und langfristigerer Forschungsprojekte:

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Kommentare (5)

  1. #1 rolak
    2. November 2019

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    ^^huch, hätt ich jetzt weiter zurück verortet…

    Ansonsten leider so erschreckend wie befürchtet.

  2. #2 Bettina Wurche
    2. November 2019

    @rolak: Mich erschreckt am meisten, dass weder Politik noch Industrie etwas daraus gelernt haben : (

  3. #3 gedankenknick
    4. November 2019

    …und der normalerweise weiße, fluffige Meeresschnee war zu schmierigen Klumpen verklebt.
    So ich mich korrekt erinnere, hatte man dies doch genau beabsichtigt zur “Rettung des Golfs”. Da man das auf der Meeresoberfläche treibende Öl wegen des starken Wellengangs sowie der riesigen Ausdehnung der Ölteppiche nicht mit Ölsperren einschließen / absaugen konnte, und weil man verhindern wollte, dass noch mehr Öl an die Oberfläche steigt, wurden mit Flugzeugen Chemikalien (Dispersionsmittel) ausgebracht, die das Öl einerseits verklumpen ließen, damit es auf den Meeresboden absinkt, und andererseits das Öl ansonsten in feinen Tröpfchen im Meereswasser verteilen sollten. Danach sollten es dann einfach Bakterien “abbauen” und verwerten. Problem gelöst… Dass einerseits das Dispersionsmittel (Correx) selber nicht ungiftig ist, andererseits die Wirkung unter direkter Sonnebestrahlung stark nachläßt…

    Die vielbeinigen Gepanzerten werden also mit dem Versprechen auf Sex angelockt, dem sie nicht widerstehen können. Am Ort des Begehrens angekommen, werden sie dann im Kontakt mit den toxischen petrochemischen Verbindungen schnell zu krank und zu verwirrt, um den Ort wieder zu verlassen…
    Auch wenn sie nicht krank und verwirrt werden würden, würden Sie den Ort nicht verlassen. Sex ist eine der stärksten Triebfedern in der Biologie und geht zum Teil über den Selbsterhaltungstrieb hinaus. Gab es da nicht mal dieses sarkastische Tierexperiement, wo das Versuchstier sich entscheiden konnte, via Knopf A das Lustzentrum mittels Implantat-Elektrode zu stimulieren oder Knopf B Nahrung zu erhalten, und dann elendig verhungerte? Oder war das ein urbaner Mythos der 90ger?

    Fakt ist, würden die Krabben nicht verwirrt sein, würden sie erst Recht das Gebiet nicht verlassen und eher Rivalen kannibalisieren als in Jagdgebiete auszuweichen, da Sex nun mal zieht. Sex sells, klappt auch oft genug bei Menschen.

    <quote<Mich erschreckt am meisten, dass weder Politik noch Industrie etwas daraus gelernt haben
    Vielleicht hat mich das Leben zynisch gemacht, aber das ist ganz normal und hat so in ALLEN Regierungsformen funktioniert. Im Kapitalismus halt renditegesteuert, in Sozialismus halt parteigesteuert, im Feudalismus halt monarchiegesteuert. So ist der Mensch. Aber man kann sich ja anschließend entschuldigen, dann ist alles wieder gut.

    Kann sich noch jemand an diverse SouthPark-Folgen zu dem Thema erinnern?
    2012: https://www.youtube.com/watch?v=D01NHPnLrVs
    2013: https://www.youtube.com/watch?v=15HTd4Um1m4
    2014: https://www.youtube.com/watch?v=WTsDqIcpHUc

    Ich entschuldige mich dafür, via der vielen Links im Überprüfungs- / Spamfilter zu landen. I´m SOOOO sorry!

  4. #4 Bettina Wurche
    4. November 2019

    @gedankenknick: Ja, die Dispergenzien, das war auch noch so eine Sache. Zunächst sind sie selbst toxisch gewesen und so richtig wirksam gegen das Öl waren sie dann doch wohl eher nicht. Sie wurden ja auch an der Oberfläche eingesetzt, ein ganz erheblicher Teil des Öls hat sich aber in tieferen Schichten abgelagert und kam so gar nicht in Kontakt mit den Chemikalien. Das Sediment unter der Unfallstelle ist jedenfalls gesättigt vom Öl bzw. dessen ebenfalls toxischen Abbauprodukten. Die Bakterien sind mit dem Abbau solcher Massen an Schadstoffen völlig überfordert gewesen, außerdem war von vornherein klar, dass der Abbau in dieser Tiefe und bei den niedrigen Temperaturen deutlich länger dauern würde, schließlich sind dort alle biologischen Prozesse wesentlich langsamer. Wie Craig ja auch noch einmal sehr deutlich schrieb.
    In diesem SPON-Artikel sind noch ein paar Papers verlinkt:
    https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/folgen-der-deepwater-horizon-havarie-oel-am-meeresboden-a-999651.html

  5. […] Am 20. April 2010 geschah der größte Ölunfall auf See, den es je gab: Die Explosion der BP-Bohrinsel “Deepwater Horizon” und der darauf folgende Blowout, also das unkontrolllierte Ausströmen von unter hohem Druck stehenden Öl und Gas, im Golf von Mexiko. Die Ursache war menschliches Versagen, sehr laxe Wartung und zu lasche Aufsichtsbehörden, die Folgen ein gigantischer Ölteppich an den Stränden von  Louisiana, Texas und Mississippi sowie im Mississippi-Delta. Viel Öl ist in die Tiefsee abgesunken und setzt seine Toxine bis heute frei, um die in 1500 Metern Tiefe versiegelte Bohrstelle herum kriechen heute mutierte Monster-Krebse. […]