Gerade schwappte ein Video mit einem Ball spielenden Weißwal durch die Medien: Die Besatzung eines Boots in norwegischen arktischen Gewässern hatte eine Begegnung mit einem anhänglichen Weißwal, der ihnen ihren Rugby-Ball zurückwarf. Die Anwesenheit eines Rugby-Balls in arktischen Gewässern ist durch die Anwesenheit einiger SüdafrikanerInnen an Bord des kleinen Schiffs zu erklären – Rugby ist in Südafrika eine extrem Sportart von nationaler Bedeutung. Ich gehe übrigens davon aus, dass das dem Wal nicht bewusst war und er auch einen normalen Ball, ein Handy oder was auch immer zurückgeworfen hätte. Einer der Bootsinsassen drehte von dem Ballwechsel zwischen Wal und weiblichem Besatzungsmitglied ein Video, das natürlich sofort viral weiterverbreitet wurde:
Video: „A beluga whale has been filmed passing a rugby ball back and forth with crew on a passing boat. The whale was filmed approaching the South African Gemini Craft boat in the Arctic Ocean near the North Pole.“
Sofort kamen Erinnerungen an den schnell berühmt gewordenen Weißwal Hvaldimir hoch, der vom Spionage-Wal zum Therapie-Wal herabgestuft wurde und sich fortan frei in norwegischen Gewässern tummelte.
Der FAZ-Artikel „Ein Wal mit Vergangenheit“ von Rebecca Hahn (17.11.2019, Nr. 46) berichtet, wie einige andere Medien auch, über diesen zweiten verspielten und zahmen Wal. Rebecca Hahn hat dazu den Wal-Sachverständigen Karsten Brensing interviewt und den Beluga konsequent Hvladimir genannt.
Im Kontext mit den gefangenen Belugas (Delphinapteras leucas) und Orcas (Orcinus orca) in russischen Gewässern und der Tatsache, dass sowohl die US Navy als auch die russische Marine neben Großen Tümmlern (Tursiops truncatus) auch Belugas als Marine-Wale trainiert oder in der Vergangenheit trainiert hat, kamen natürlich prompt Verschwörungsgedanken auf: Zwei Weißwale, die bereitwillig mit Menschen Ball spielen wollten und sich sehr zahm und anhänglich gaben, erschienen doppelt so verdächtig wie ein einzelnder apportierender Weißwal.
Da Fakten und Vermutungen gerade mal wieder etwas durcheinander gehen, hier eine Auflistung der Fakten:
- Hvaldimir ist ein zahmer, an Menschen gewöhnter Weißwal.
Er war mit einem Brustgeschirr in norwegischen Gewässern aufgetaucht und nahm Kontakt mit einigen Fischern auf, die ihn von seinem Brustgeschirr befreiten - Hvaldimir (so getauft von Norwegern – Hval heisst auf Norwegisch Wal) ist vor 16 Jahren als verletztes Tier von Russen gesund gepflegt worden und lebte dann als Therapie-Wal namens Semion in einem Wassersport-Zentrum
- Niemand weiß, wie der Wal dann entkommen und bis in norwegische Gewässer gelangt ist, von russischer Seite habe ich dazu bislang nichts gefunden
- Der jetzt in dem neuen Video aufgetauchte ballspielende Wal ist von Mitgliedern der Hvaldimir-Foundation gegenüber der HuffPost als Hvaldimir identifiziert worden: “Yes, we can officially confirm it is Hvaldimir,”. Die Hvaldimir Foundation ist eine Initiative der norwegischen Nonprofit-Organisation Norwegian Orca Survey, die sich um das Monitoring des mittlerweile berühmten Hvaldimir kümmert.
Es gibt also nur einen Ball-spielenden Hvaldimir und keinen zweiten Konkurrenz-Wal.
Im GoodNewsNetwork-Artikel “Hope on horizon for Escaped „Russian Spy Whale“ after Video of ist Rugby skills go viral“ erklären Regina Cosby und andere Mitglieder der Gruppe Advocates for Hvaldi, dass sie Hvaldimir weiterhin beobachten und eine Gruppe für ihn suchen wollen. Sie sind der Meinung, dass ein Weißwal allein kaum überleben kann, schon gar nicht einer, der so lange in Gefangenschaft gelebt hat.
Da stimme ich ihnen vollkommen zu – auch wenn es offenbar mit dem Jagen und der selbständigen Ernährung mittlerweile gut klappt, sind Weißwale definitiv soziale Wesen, die ihre Gruppe brauchen. Außerdem läuft ein unerfahrener Weißwal Gefahr, zu einem besonders leichten Orca-Snack zu werden.
Advocates for Hvaldi koordinieren und organisieren ihre Aktion mit der norwegischen Regierung, distanzieren sich aber von Organisationen, die Wale in Gefangenschaft halten
Hvaldimir hat mit den Walen im „Walgefängnis“ von Srednyaya nichts zu tun.
Russische Geschäftsleute hatten im Ochotskischen Meer in der Bucht von Srednyaya 90 Belugas und elf Orcas in engen Gehegen gehalten. Die NGO Whale and Dolphin Conservation schreibt dazu: „Die Meeressäuger waren für den Verkauf nach China bestimmt. Laut einem Bericht der China Cetacean Alliance gab es dort im April dieses Jahres 80 Delfinarien, weitere 27 befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Bau. Über 1000 Wale und Delfine (13 Arten) werden in diesen Parks bereits gehalten. WDC versucht, dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Aufgrund massiver internationaler Proteste sind nun, Medienberichten zufolge, alle Belugas und Orcas wieder freigelassen worden. Zuletzt hatte Präsident Putin sich persönlich für die Freilassung der Kleinwale eingesetzt.
Wie es den Tieren nach ihrer langen Gefangenschaft geht, ist nicht bekannt.
Wie viele Belugas und andere Kleinwale derzeit im Dienst der US- oder russischen Marine stehen, ist nicht bekannt.
Warum eine Familie für Hvaldimir wichtig wäre
So amüsant viele Menschen sein Verhalten finden, so gefährlich ist es für den weißen Meeressäuger: Der Aufenthalt nahe der Menschen und ihrer Häfen und Schiffe birgt für einen anhänglichen Meeressäuger viele Gefahren. Auch wenn die Arktis nur dünn besiedelt ist, dort überwiegend kleinere Schiffe unterwegs sind und der weiße Wal im sehr klaren Wasser des Polarmeeres gut zu sehen ist, könnte er durch einen Schiffspropeller verletzt oder versehentlich gerammt werden. Auch ein Verheddern in Fischerei-Ausrüstung wie Leinen und Netzen birgt eine große Gefahr.
Das ist natürlich auch den Norwegern bewusst. Offizielle Stellen arbeiten bereits an einer Lösung. Der Fischereiinspektor Jorgen Wiig nannte zunächst ein isländisches Reservat als mögliche Lösung. So hätte Hvaldimir eine wesentlich größere Überlebenschance als allein. Außerdem könnte er dort Artgenossen treffen, was für Weißwale sehr wichtig ist. Allerdings kümmern sich jetzt die Advocates for Hvaldi um den handzahmen Meeressäuger, die jegliche Kooperation mit einer Organisation, die Wale in Gefangeschaft hält, ablehnen. Ob das zum Wohl eines halbzahmen Weißwals, der seit Langem keine Artgenossen gesehen oder gehört hat, ist?
Die einzelnen Weißwal-Populationen werden beim Walschutz getrennt betrachtet, da sie nicht nur regional, sondern vermutlich auch kulturell getrennt sind. Wie bei Orcas und Pottwalen wird mittlerweile auch für zumindest alle Delphinarten angenommen, dass sich die einzelnen Populationen durch ihre Kultur – also ihre Verhaltensweisen, Jagdmethoden und Kommunikation – voneinander unterscheiden. Weißwale sind mittelgroße Delphinverwandte, leben ebenfalls in Sozialverbänden und haben eine ausgeprägte Kommunikation. Wegen ihres großen Lautrepertoires heißen sie auch “Kanarienvögel des Meeres”. Ob Hvaldimir bei isländischen, norwegischen oder anderen Weißwalen Anschluß finden könnte, kann niemand vorhersagen. Aber einen Versuch wäre es sicherlich wert! Seine Überlebenschancen wären dann wesentlich größer.
Mehr Details zu Hvaldimir gibt es auf hier auf Meertext unter dem Schlagwort „Hvaldimir“.
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