Tiefsee-BewohnerInnen sind durchsichtig oder blinkend, schwarz-grau oder knallrot und reißen meist ihr großes Maul auf, das voller riesiger spitzer Zähne ist. Große Glubschaugen, Gallerte und irritiertende Bioluminiszenz machen sie für die meisten Menschen noch monströser.
Dabei sind die meisten von ihnen ziemlich klein, wollen einfach nur genug essen und das Beste für ihre Brut. Einige sind sogar ein Leben lang treu – die Männchen der Tiefseeanglerin sind an ihrer Partnerin festgewachsen.
Warum werden diese ungewöhnlichen Tiefseebewohner immer gleich als Monster gebrandmarkt?
Der #SpookWar (wie in der kabeleins-Doku vorgestellt) ist eine Halloween-Attitude, dann kann man es ja mal durchgehen lassen, dass auch Wissenschaftler ihre liebsten “Monster” vorstellen. Schnell wird deutlich, dass die Tiefsee-Forscher sich nicht wirklich gruseln, unter dem Hashtag posten sie auf Twitter oder wie in dem verlinkten Video gleichermaßen mysteriös und ästhetisch aussehende Gestalten wie Chimären (fälschlich als Geisterhai bezeichnet), die Tiefsee-Anglerin, Medusen, Asselspinnen (die keine Spinnen sind) oder einen Flohkrebs in seiner Salpen-Behausung. Die Bilder sind nicht wirklich gruselig, sondern machen neugierig, das wollten die Tiefsee-Forscher ja auch erreichen: Mehr Aufmerksamkeit für diese abgelegenen Lebensräume, die heute zunehmend durch Rohstoffexploration und Tiefseefischerei bedroht werden.
Über die fremdartigen Ökosysteme und den Kampf der Biologen und Meeresschützer für einen zumindest teilweisen Schutz der Clarion-Clipperton-Zone in der pazifischen Tiefsee hatte ich kürzlich berichtet. Die Monstermasche wird in dem Fall also für einen guten Zweck eingesetzt und die ikonischen Tiefseegestalten sind die Aufhänger für mehr Information über einen wenig bekannten Lebensraum.
Die meisten Beiträge über “Tiefsee-Monster” sind allerdings weitaus weniger sachkundig, stattdessen wird das Monster-Sein zum Selbstzweckfür dieser faszinierenden Lebewesen. Nicht die außergewöhnlichen Anpassungen an einen scheinbar so feindlichen Lebensraum stehen dann im Vordergrund, sondern ihre Andersartigkeit wird einfach nur sensationslüstern zur Schau gestellt. Ohne jeglichen informativen Mehrwert. Die Zurschaustellung und Verspottung aus ihrem Lebensraum gerissener, blutender Tiere macht mich traurig und wütend.
Vor einiger Zeit trendeten die Posts eines russischen Fischers von seinen Tiefsee-Kreaturen. Roman Fedortsov arbeitet auf einem Fischtrawler, der von Murmansk aus in der Barentssee fischt. Auf Twitter zeigt er regelmäßig den ungewöhnlichen Beifang – Beifang sind Tiere, die nicht das Ziel der Fischerei sind und die größtenteils fortgeworfen (Discard) werden. Das Hochhieven aus der Tiefe überleben sie nicht, sterbend oder bereits tot werden sie zurück ins Meer geworfen. Meistens landen sie beim Sortieren auf einem Gammelband, das sie wieder außenbords transportiert. Das Hochhieven aus großer Tiefe ist für die Fische eine Qual, durch den Druckunterschied platzen Schwimmblasen, treten die Eingeweide durchs Maul nach außen und die Augen aus den Höhlen. Der Staudruck in den riesigen Netzen zerquetscht sie, Flossenstacheln piercen zarte Haut oder zerfetzen Flossen. Sie stoßen und verletzen sich gegenseitig, mit abgeschürfter Haut und blutend landen sie an Deck. Die großen Tiefsee-Spezial-Augen, oft schillernd und wunderschön, irgendwo zwischen Katzenaugen und Opal glotzen sind blicklos oder herausgequollen tot in die grellen Scheinwerfer.
Bilder dieser geschundenen Kreaturen zeigt Ferdotsov auf seinem Twitter-Account. Seine “Monster”-Bilder waren ziemlich erfolgreich, so dass er in die Zeitung kam, zunächst in ein russisch-sprachiges Blatt, im Dezember 2016 dann in die Moscow Times: “Most deep-sea fishers would likely smile or shrug at his pictures, given the variety of creatures regularly pulled up in nets, but the images are perfectly monstrous to your average land-lover.” 2018 hatte das Online-Magazin “Männersachen” die Bilder und den wagemutigen Fischersmann für sich entdeckt: “Die Fänge dieses russischen Tiefsee-Fischers verursachen Alpträume“.
Wo Ferdotsov auf Twitter noch teilweise in Englisch sachliche Info und ansonsten launige Sprüche titelt, beschränkt sich “Männersachen” dann nur noch auf Schock und Sensationsgeilheit ohne jeglichen Anspruch auf Information. Die Bilder des Haikopfes mit seiner wund gestoßenen Nase und den stummen Schrei des Rochens, der wie eine Handpuppe in die Kamera gehalten wird, fand ich wirklich grenzwertig. Die Bilder und Screenshots kann ich aus urheberrechtlichen leider Gründen nicht verlinken.
Falls Sie sich jemand anschauen mag – die meisten habe ich zuordnen können. In der Reihenfolge Ihres Auftritts:
Kleiner Hai, Maul eines Seeteufels, Kragenhai, Chimäre (oft fälschlich als “Geisterhai” übersetzt), Grenadierfisch, Seegurken, Schwarzer Degenfisch, Tiefseeangler, Schlangenstern von unten, unidentifizierbar, unidentifizierbar, Seewolf, Unteransicht eines Rochens, unidentifizierbar, Sonnenstern, vermutlich Sackmaulaal, Grenadierfisch, Grönlandhai, Kragenhai, Heilbutt, unidentifizierbar.
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