In Deutschland sind bisher “nur” 7.659 Personen (Stand:12.05.2020, 00:00) nachweislich an Covid-19 gestorben.
Das neue Corona-Virus Sars-CoV-2 hat also wohl keine extrem hohe Todesrate, auch wenn die Zahlen dazu immer noch diskutiert werden.
Die geringe Mortalitätsrate liegt sicherlich auch daran, dass in Deutschland zügig ein ganzes Maßnahmen-Bündel eingesetzt worden ist, um die Ansteckungsrate zu verringern bzw. gering zu halten. Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns ohne diese Maßnahmen viel härter getroffen hätte.
Sind jetzt wirklich „nur“ 7.659 Menschen gestorben und ansonsten ist alles wieder o. k.?
Nein, absolut nicht.
Vor allem über meine Twitter-Timeline habe ich auch viele Erfahrungsberichte aus dem medizinischen Bereich bekommen. Berührt haben mich die Meldungen und Diskussionen von PflegerInnen und MedizinerInnen von Intensivstationen, die berichten, was so eine Intubation selbst im günstigsten im Körper anrichtet.
Covid-19 ist keine Erkältungskrankheit, die vielleicht noch bis zur Lungenentzündung geht, sondern eine systemweite Erkrankung. Es schlägt nicht „nur“ auf die Lunge, sondern verursacht Lungenembolien und Thrombosen, dabei können Blutgerinnsel Hirnschäden verursachen. Wenn man Pech hat, ist das Immunsystem mit der Virusflut so überfordert, dass es zum Zytokinsturm kommt, einer potentiell lebensgefährlichen Entgleisung des Immunsystems.
Und selbst nach der Genesung wirkt Covid-19 oft noch lange, weit über die eigentliche Erkrankung hinweg, etwa durch allgemeine Schwäche oder Kurzatmigkeit.
Der wohl ausführlichste und für mich beeindruckendste Bericht kommt von einem Virologen: Peter Piot.
Der geborene Belgier Peter Piot war 1976 einer der Mit-Entdecker des Ebola-Virus, heute lehrt und forscht er in London. Sein Leben lang hat er an Infektionskrankheiten geforscht, z. B. von 1995 bis 2008 im HIV/AIDS-Programm der Vereinten Nationen. Heute ist er aufgrund seiner Erfahrung und Expertise der Coronavirus-Berater der EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen.
Am 19. März hat ihn selbst Covid-19 erwischt – das hat sein Leben verändert.
Sein persönlicher Erlebnisbericht ist im Science Magazine erschienen, ich zitiere hier daraus.
Vorweg: Natürlich ist Peter Piot schon ein älterer Herr von 71. Damit gehört er potentiell zu einer Risikogruppe. Nach eigener Aussage ist er ein Energiebündel, lebt gesund, war nie schwer erkrankt und war in den letzten 10 Jahren nicht einen Tag krank. Damit ist er wahrscheinlich fitter, als die meisten anderen Menschen.
Am 19. März 2020 bekam er jedenfalls hohes Fieber und würde auf Covid-19 positiv getestet. Daraufhin arbeitete er in Isolation im Home Office weiter.
Aber das Fieber und seine extreme Erschöpfung besserten sich nicht, sondern wurden schlimmer. Weitere Tests ergaben: Covid-19 war nicht mehr nachweisbar, aber er hatte eine Lungenentzündung und einen starken Sauerstoffmangel. Dagegen bekam er eine Sauerstoffmaske und landete in einem Isolationszimmer nahe der Intensivstation. Er und seine beiden Mitpatienten waren zu erschöpft, um sich auch nur zu unterhalten und Piot war zeitweise nicht sicher, ob er überleben würde: “I’m glad I had corona and not Ebola, although I read a scientific study yesterday that concluded you have a 30% chance of dying if you end up in a British hospital with COVID-19. That’s about the same overall mortality rate as for Ebola in 2014 in West Africa. That makes you lose your scientific level-headedness at times, and you surrender to emotional reflections.”
Schließlich wurde er nach Hause entlassen, sein Heimweg mit dem Nahverkehr durch die leeren Straßen Londons und die Schilderung seiner Gefühle gehen unter die Haut.
Eine weitere Woche später bekam er wieder Atemprobleme – jetzt hatte der Zytokinsturm sein Immunsystem zum „Durchdrehen“ gebracht: “I turned out to have an organizing pneumonia-induced lung disease, caused by a so-called cytokine storm. It’s a result of your immune defense going into overdrive. Many people do not die from the tissue damage caused by the virus, but from the exaggerated response of their immune system, which doesn’t know what to do with the virus.”
Bis zum Zeitpunkt des Interviews war er noch in Behandlung und bekam u. a. Blut verdünnende Medikamente, um die Gefahr der Thrombose und Schlaganfälle zu senken, allerdings war er mittlerweile wieder zu Hause.
Viele Leute denken, so Poit, dass Covid-19 1% der Patienten tötet und der Rest lediglich grippeartige Symptome bekommt. Das ist nicht der Fall. Viele Menschen erleiden durch das Virus Organschäden wie chronisches Nierenversagen, Herzprobleme oder neuronale Ausfälle. Das können sehr viele Menschen werden, denn die Ärzte finden gerade ständig neue Komplikationen und Langzeitschäden heraus. Darum ist er, meint Piot, so genervt, wenn Kommentatoren ohne viel Ahnung die WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen kritisieren, die harte Maßnahmen gefordert und angeordnet haben, um die Covid19-Pandemie unter Kontrolle zu bekommen.
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