Zum Wochenende möchte ich als Abwechslung eine kurze Expedition in den Nordpazifik anbieten. Gleich mehrere US-amerikanische Aquarien und Forschungsinstitute bieten Online-Expeditionen oder Aquarien-Rundgänge an. Meeresforscher erzählen im Livestream von ihrer Forschung, man kann in manche Aquarien hineinschauen oder mit den Kameras der Tauchroboter live in der Tiefsee dabei sein. Ihre Forschung ist natürlich weitergegangen, geht aber in der Fokussierung auf die Covid-19-Pandemie etwas unter – der Nordpazifik ist halt weit weg.
Hier sind einige Highlights, die mir Ende April ins Netz gegangen sind.
Pazifik-Aquarien: Monterey Bay und Birch in La Jolla
Hier geht es zu den Livecams des berühmten Monterey Bay-Aquariums – zu Pinguinen, Ottern, dem Seevogel-Gehege oder der Quallenbelustigung.
Zu besonderen Zeiten werden auch Livestreams mit Forschern angeboten. Die Events erfährt man über die sozialen Netzwerke oder wenn man sich auf die Anmeldeliste für Insider setzen lässt.
Ohne Besucher und Shows langweilen sich viele AquarienbewohnerInnen, so dass ihre BetreuerInnen sie anderweitig unterhalten müssen.
Wenn ich auf deren Seite bin, kommen mir sofort Erinnerungen an meinen eigenen Besuch dort in Erinnerung.
Damals war zu meiner Enttäuschung das Seeotter-Aquarium gerade geschlossen, wegen Renovierung. Stattdessen hing ein Schild am Gehege: “Wenn Sie Seeotter sehen wollen, gucken Sie ins Hafenbecken”. Ich guckte über die Betonbrüstung – und sah den Ottern beim Spielen zu. In der Monterey Bay tummeln sich Seeotter (die großen Ozeanbewohner mit den runden Köpfen und breiten Pfoten), Seehunde und Seelöwen. Auf der Fahrt von Monterey nach San Diego fanden wir noch eine See-Elefanten-Kolonie und in der Touristik-Hochburg Pismo Beach zeigten einige Delphine den Surfern, wie das richtig geht.
Typisch USA: Fünf Arten Meeressäuger, ohne aus dem Auto aussteigen zu müssen.
Wir sind natürlich ausgestiegen und konnten dann noch viel besser gucken.
Im Birch Aquarium (Scripps) in La Jolla erklärt eine Aquarienmitarbeitern, wie sie den Kraken beschäftigt:
Ein Octopus muss sich sein Essen aus einem Eisblock erarbeiten: Der Gewinn für die achtarmigen Bemühungen sind immerhin drei leckere Venusmuscheln (Clams). Mit Knoblauchpulver. ?
E/V Nautilus LiveCam
E/V Nautilus ist das über 60 Meter lange Forschungsschiff des Ocean Exploration Trust. Unter der Leitung von Dr. Robert Ballard erforscht die Crew im Nautilus Exploration Program die Tiefen der Ozeane.
Dabei kann man ihre Tiefseetouren begleiten.
Dieses Video ist ein Zusammenschnitt der besten Szenen einer sechsmonatigen Expedition 2019 durch den Südpazifik bis nach Kalifornien:
Mehr Videos und Informationen gibt es hier.
Alle Meeressäuger sind heute in den USA streng geschützt – Grauwale waren die ersten, die anderen Wal- und Robbenarten, Seekühe und Seeotter folgten später. Einige Bestände haben sich gut erholt, andere weniger. Jetzt machen ihnen Klimawandel, Plastikmüll, Schadstoffe und Kollisionen mit Schiffen machen ihnen zu schaffen. Weltweit.
Stellersche Seekuh-Skelett gefunden!
Der Aleuten-Kommandeur-Inselbogen zieht sich von Alaska bis nach Russland vor die Halbinsel Kamtschatka. Diese Inselkette trennt den Nordpazifik vom Bering-Meer.
Dieser Bereich ist der Lebensraum vieler Meeressäuger. Das Beringmeer ist nach Kapitän Vitus Bering benannt, der die erste Forschungsexpedition dorthin geleitet hatte. Mit dabei war auch der deutsche Naturforscher und Arzt Georg Wilhelm Steller, der 1741 die riesige Seekuh des Nordpazifiks wissenschaftlich beschrieb: Hydrodamalis gigas – die Stellersche Seekuh.
Das bis zu acht Meter lange Riesentier war ein friedlicher Seetangfresser mit zurückgebildeten Zähnen – zum Zerkleinern des Seetangs reichten zwei hornige Gaumenplatten. Vermutlich war der Bestand schon im 18. Jahrhundert nur noch wenige Tausend Tiere groß, sie war bei ihrer Entdeckung schon ein Relikt.
Ein Tier, das 10 Tonnen frisches Fleisch bietet und sich nicht wehrt, wurde natürlich schnell von den bald dort einfallenden Pelz-, Robben- und Waljägern als leicht zugängliche Nahrung entdeckt – vermutlich 1768 wurde die letzte Riesenseekuh erschlagen und verspeist.
Der 15. Mai ist übrigens der #EndangeredSpeciesDay – da passt die Seekuh perfekt. Sie ist eines der ältesten Beispiele der Ausrottung einer Art durch Menschen.
Diese außergewöhnlichen Meeressäuger haben vor allem um die Kommandeursinseln herum gelebt – dort hat die Naturreservats-Inspektorin Maria Shitova jetzt ein Skelett gefunden!
Die Sibirian Times berichtete Ende April, dass Maria Shitova zunächst sah sie nur die Rippen aus dem Untergrund lugen, nach einer achtstündigen Grabung hatten sie und ihre Kollegen ein weitgehend vollständiges Skelett freigelegt. Ein seltener und wertvoller Fund eines Meeresriesen aus einer anderen Zeit. Der Artikel der Sibirian Times zeigt einige Bilder der Ausgrabung.
Als einzige Seekuh lebte dieses Riesengeschöpf in eiskalten Gewässern, eine zentimeterdicke Haut schützte das Tier gegen scharfe Eiskanten, ihre Speckschicht gegen die Kälte. Heutige Seekühe leben nur in den Tropen.
Heutige Seekühe haben auch – wie Wale und Robben – voll ausgebildete Vorderbeine mit einem vollen Handskelett mit fünf Fingern. Die Stellersche Seekuh hingegen hatte ungewöhnlich stark zurückgebildete Vorderbeinstummel ohne Hände und Finger. Das deutet auf eine lange eigenständige Entwicklung dieser Tiergruppe hin.
Aber in den Legenden dieser Region lebt sie weiter. Ihre Knochen werden bis heute von Kunsthandwerkern mit einer besonderen Erlaubnis zu Schmuckstücken und kleinen Skulpturen verarbeitet – Mermaid Ivory heißen sie. Meerjungfrauen-Elfenbein.
Die Gruppe der Seekühe heißt Sirenia, also Sirenen. Diese Meereswesen der antiken griechischen Sagen werden manchmal mit Bart, manchmal als Mensch-Fisch-Wesen dargestellt. Fischschwanz und Bart haben beide gemeinsam, außerdem haben Seekühe die Zitzen auf Höhe der Achseln und legen sich zum Säugen des Nachwuchses auf den Rücken. So hat die Wunschvorstellung sicherlich in manchen Seefahrer vergangener Zeiten zum Träumen gebracht.
Übrigens: Vor Südkalifornien gab es in einem längst vergangenen Ökosystem vor der Küste auch riesige Seekühe –im Naturkundemuseum in San Diego bin ich einem Fossil begegnet.
Auch in Deutschland lebten einst Seekühe: Im Mainzer Becken, einem Arm der Urnordsee.
Ihre Fossilien sind im Mainzer Naturkundemuseum zu sehen und in Alzey.
Hydrothermalquellen
Vor der Nordwestküste Nordamerikas sind tektonisch aktive Bereiche, dort stoßen mehrere Platten aufeinander. Entlang dieser Subduktionszone liegt der Ostpazifische Rücken, der aus mehreren Abschnitten besteht – ein Teil davon ist der Juan de Fuca-Rücken vor den US-Bundesstaaten Oregon und Washington und der kanadischen Vancouver-Insel. Der Rücken entsteht durch die tektonische Aktivität beim Aufeinanderstoßen der Pazifischen und Juan de Fuca-Platte.
Das gesamte Endeavour-Hydrothermalquellen-Feld liegt in einem 14 Kilometer langen und 1,5 Kilometer breiten Graben.
Das Feld ist zwar schon seit 1982 bekannt und seitdem mit bemannten Tauchbooten und Tauchrobotern erforscht worden. Aufgrund der Dunkelheit, der Trübung und dem schwierigen Zugang gab es aber lange keinen Überblick über die gesamte Struktur. 47 Schlote waren schon länger bekannt, die neue Kartierung erbrachte annähernd 600!
An diesen Stellen steigt superheißes, über 300 °C Wasser durch Risse auf dem Meeresboden auf. Das Wasser enthält viele chemische Verbindungen, die durch die hohe Temperatur gelöst sind. Im Kontakt mit dem Meerwasser kühlt sich das superheiße Wasser ab, viele der Verbindungen fallen aus und sinken um die Quelle herum zu Boden. Diese Risse sind eine ganze Weile aktiv, die ausgefällten Mineralien lagern sich um die Quellmündung herum ab – sie bilden den stetig wachsenden Schlot. Manchmal verstopfen die Schlote oder stürzen ein, dann sucht sich das ausströmende Thermalwasser einen neuen Weg durch andere Spalten. Die hydrothermalen Schornsteine selbst bleiben aber für
Jahrhunderte oder länger stehen. Der größte Schlot war immerhin 45 Meter hoch gewachsen und war „Godzilla“ getauft worden – er ist 1995 eingestürzt.
Mit einem neuen Tauchboot, dem AUV (autonomous underwater vehicle) D. Allan B. konnten 2008 und 2011 erstmals wesentlich detailliertere Aufnahmen des Meeresbodens gemacht werden, auf denen auch kleinere Schlote zu erkennen waren. In 140 Stunden Tauchzeit kartierte D. Allan B. 62 Quadratkilometer Meeresboden.
Für die neue Studie sind Clague und seine Kollegen nicht im Nordpazifik, sondern in ihrem Datenschatz abgetaucht und haben die Entstehung des Schlotfeldes in drei Abschnitten rekonstruiert:
- Magmatische Phase: Über Zehntausende von Jahren ist hier viel Magma ausgeströmt und hat den Meeresboden bedeckt
- Tektonische Phase: der Meeresboden kühlte sich wahrscheinlich vor ca 5000 Jahren ab, das Tal sank in dieser Zeit ab und es bildete sich viele Risse im Boden
- Hydrothermale Phase: In den letzten Jahrtausenden erzeugte die Magma unter dem Meeresboden noch genug Hitze, um Mineralien und andere Verbindungen im Wasser zu lösen.
(Quelle: Clague, D.A., Martin, J.F., Paduan, J.B., Butterfield, D.A., Jamieson, J.W., Le Saout, M., Caress, D.W., Thomas, H., Holden, J.F., Kelly, D.S., Hydrothermal chimney distribution on the Endeavour Segment, Juan de Fuca Ridge, Geochemistry, Geophysics, Geosystems, https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1029/2020GC008917 (Posted on line April 14, 2020).)
Diese Hydrothermalquellen sind besiedelt von speziellen Tiefseequellen-Communities. Mit ihrer ewigen Dunkelheit und der scheinbaren Lebensfeindlichkeit gehören zu den ungewöhnlichsten Ökosystemen der Erde: Von extremophilen Bakterien oder Tieren, die es extrem heiß, extrem schweflig oder noch ganz anders extrem mögen.
Sie sind so außergewöhnlich, dass manche von ihnen als mögliche Szenarien für außerirdisches Leben dienen, etwa auf Wasserwelten mit tiefen Ozeanen wie dem Jupitermond Europa oder dem Saturnmond Enceladus.
Auch Ökosysteme in der Tiefsee sind heute bedroht, vor allem durch Rohstoffabbau und Fischerei.
Dieses Video des MBARI zeigt den Ausbruch eines Unterwasservulkans vor Oregon – man kann live zuschauen, wie sich ein neues Stückchen Meeresboden bildet:
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