Gerade waberte mir ein ungewöhnlicher Tiefsee-Blob ins Mail-Postfach – mein Onkel aus London hatte mir einen Zeitungsartikel über einen gummiartiger Blob geschickt. Ein rosig-opake Wesen blähte sich wie ein Ballon und schleppte zwei lange, dünne Tentakel hinter sich her. Dann sah ich die Rippen und das Flirren, ganz klar eine Ctenophora (Rippenqualle).
In einem Tiefseegraben vor Puerto Rico war der Gummiballon 2015 in 4000 Metern Tiefe vor die Kameralinsen des ROV (remotely operated vehicle) Deep Discoverer geschwommen.
Interessant ist diese Begegnung aus zwei Gründen:
– diese Rippenqualle ist eine neue Art
– diese Art ist aufgrund einer Videosichtung beschrieben worden – eine neue taxonomische Methode.
Die neue Art Duobrachium sparksae und die neue Methode haben die Meeresbiologen in Plankton and Benthos Research beschrieben, hier geht es zur Pressemitteilung: “Combing the Deep: NOAA’s Discovery of a New Ctenophore”.
Die pumpenden Bewegungen und das Flirren führte natürlich auch die NOAA-Wissenschaftler sofort auf die Spur der Kammquallen. Die NOAA-Experten Mike Ford und Allen Collins hatten die aufregende Sichtung an Land verfolgt und das Video ausgewertet: “It was a beautiful and unique organism,” schwärmte Ford in der Pressemitteilung. Die Ctenophore sei wie ein Heißluftballon über den Meeresboden geschwebt. Ihre beiden langen Tentakel schienen dabei den Grund zu berühren. Dieses Verhalten war für Rippenquallen neu.
Ein ROV ist ein Tauchroboter, der durch eine “Nabelschnur” aus Kabeln mit dem Mutterschiff verbunden auf Tauchfahrt geht. Dieser war mit einem exzellenten HD-Video-System ausgestattet. Der Tauchgang wird so auf das Mutterschiff übertragen, von dort wird das ROV gesteuert. Wissenschaftler an Bord und weitere an Land verfolgen den Tauchgang und machen sofort erste Analysen.
Hier ist das NOAA-Video von Duobrachium sparksae:
Gelatinöser Filmstar: Videonachweis als Typusexemplar
Die Biologen haben im Video mit hoher Auflösung Details des unbekannten Gallert-Organismus erkennen und sogar Strukturen von unter einem Millimeter Größe exakt vermessen können, das ist für die taxonomische Analyse wichtig. Art- und gattungsbestimmend sind vor allem Details der Geschlechtsorgane im Innern der durchsichtigen Außenhülle. Auch wenn die Kamera nicht die Mikroskope im Labor ersetzten konnte, waren die Details gut genug erkennbar, um sie zu vermessen, zu beschreiben und zu zeichnen. Dann verglichen Ford und Collins das Tier mit den bereits bekannten Arten. Schnell wurde klar, dass es sich um eine neue Art handelte.
Normalerweise muss für eine solche Erstbeschreibung ein Tier (bzw. eine Pflanze) in einer Wissenschaftlichen Sammlung als sogenanntes Typus-Exemplar hinterlegt werden. Damit kann die Art jederzeit überprüft oder mit neuen Methoden analysiert werden. Mit diesem ROV war eine Probennahme aber nicht möglich. Weiterhin wäre die Beprobung auch sehr schwierig gewesen, schließlich schwamm die Rippenqualle einfach elegant am ROV vorbei. Dazu kommt, so erklärt Ford, dass gerade gelatinöses Plankton schwierig und oft unbefriedigend zu konservieren sei: “We didn’t have sample collection capabilities on the ROV at the time. Even if we had the equipment, there would have been very little time to process the animal because gelatinous animals don’t preserve very well; ctenophores are even worse than jellyfish in this regard.”.
So bleibt es für Duobrachium sparksae beim Videonachweis.
Die taxonomische Beschreibung und Benennung von Organismen muß nach den internationalen Vorgaben erfolgen, mit einer direkten Beschreibung und Hinterlegung eines Typusexemplars. Ausnahmen davon sind mittlerweile erlaubt, allerdings nur dann, wenn eine Art extrem selten oder das Sammeln eines Exemplars unmöglich ist. Wie im vorliegenden Fall.
Damit ist also das Video das Typusexemplar, auf dem die Beschreibung der neuen Gattung und neuen Art Rippenquallen basiert. Es ist hinterlegt im Smithsonian National Museum of Natural History Collection und öffentlich zugänglich.
Rippenquallen: gallertige Räuber mit geklautem Arsenal
Rippen- oder Kammquallen haben acht Rippen auf dem hohlen, meist ovalen Körper, auf denen eine Reihe von Cilien sitzt. Cilien sind Flimmerhärchen, deren rhythmische Bewegung wir meist nur als Flirren wahrnehmen. Außerdem bricht sich das Licht in ihnen, was zu aufblitzenden Regenbogen-Attitüden führt, manche Arten sind zusätzlich bioluminiszent Viele von ihnen haben noch zwei zusätzliche lange Tentakel mit filigranen Querfortsätzen, mit denen sie Nahrung angeln – so auch Duobrachium. Heute sind zwischen 100 und 150 Arten bekannt, darunter solche außergewöhnlichen Meereswesen wie der Venusgürtel Cestum.
Ctenophoren werden meist unter 10 Zentimeter groß und sind Jäger – in ihrem Lebensraum im treibenden Plankton erbeuten sie unter anderem kleine Krebse, Larven verschiedener Arten und andere Rippenquallen.
Einige oberflächennah lebende Arten haben zur zusätzlichen Energiegewinnung auch Algen als Endosymbionten.
Auch wenn diese Meeresbewohner Rippenquallen bzw. comb jellies heißen, sind sie mit den nesselnden Quallen (Cnidaria) nicht näher verwandt und haben auch keine Nesselzellen (Cniden). Manche von ihnen jagen allerdings Medusen, also die nesselnden Quallen (Cnidaria), und bauen dann deren Nesselzellen in ihre Tentakel ein. Kleptocniden heißen solche geklauten Nesselzellen.
Das hat Biologen früherer Zeiten sehr irritert, mittlerweile ist der Diebstahl aber aufgeklärt.
Rippenquallen sind immer Prädatoren, also Jäger. Weitere Aussagen über die ökologische Rolle von Duobrachium sparksae können die Forscher aber noch nicht machen, schließlich gibt es bislang nur drei kurze Sichtungen innerhalb dieses Videos.
Die meisten Ctenophoren gehören zu den Gelata, der gelatinösen durchsichtigen Plankton-Community im offenen Ozean. Mehr über die Gelata-Lebensgemeinschaft gibt es auf Meertext: Gelata: Venusgürtel, Seewespe, Feuerwalze und Co. Dort wird auch die auffallendste Erscheinung dieser Tiergruppe vorgestellt: Der Venusgürtel.
Einige von ihnen leben auch in deutschen Gewässern der Nord- und Ostsee, etwa die Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus) oder die Melonenqualle (Beroe gracilis), weitere Arten sind im Zuge der Ozeanerwärmung zugewandert. Meeres- und Fischereibiologen sehen Neuankömmlinge (Neozoen) wie die Meerwalnuss Mnemiopsis leidyi mit einiger Sorge, weil die gelatinösen Räuber trotz ihrer meist geringen Größe viele Fischlarven erbeuten. Damit könnten sie – neben der Überfischung, Meeresverschmutzung und Klimakrise – eine weitere Gefahr auch für Speisefisch-Bestände sein.
Trotz ihres geringen Nährwerts sind die gallertigen Geschöpfe Nahrung für Meeresschildkröten und manche Fische.
Wenige Arten leben am Meeresboden und gleichen damit eher durchsichtigen Schnecken.
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