Aus dem sanft geschwungenen Boden erheben sich violette Kegel und Hügel in das klare Wasser des Lake Untersee in der Antarktis. Ein Taucher gleitet im unwirklichen blauen Licht durch die scheinbar tote Wasserwelt unter der Eisdecke.
Die kegelförmigen Buckel und Nadeln sind von Blaualgen oder Cyanobakterien erbaut worden – ein Team von Astrobiologen um Dale Andersen vom Carl-Sagan-Institut hat sie untersucht und die Ergebnisse im Fachmagazin „Geobiology“ veröffentlicht.
Die Suche nach außerirdischem Leben führt zum Südpol
In den Süßwasserseen unter dem antarktischen Eis herrschen extreme Lebensbedingungen: Kälte, Lichtmangel und lebensfeindliche chemische Bedingungen.
Ähnliche extreme Lebensumstände wie in den südpolaren Seen vermuten Wissenschaftler auch auf dem Mars und den eisigen, methanreichen Jupiter- oder Saturnmonden.
Lake Untersee in der östlichen Antarktis ist damit ein ideales Testgebiet für astrobiologische Forschungen. „Der See ist so alkalisch wie starke Bleichmittel […]. Wenn wir extremophile Organismen im Untersee finden wird uns das helfen, zu entscheiden, wo wir auf anderen Planeten nach Leben suchen sollen und wie wir außerirdisches Leben erkennen, wenn wir es tatsächlich finden“ erklärt der NASA-Astrobiologe Richard Hoover.
Die Astrobiologen gehen davon aus, dass sie auf anderen Himmelskörpern nur Mikroorganismen finden werden, vielleicht sogar nur die Mikroben-Fossilien. Durch das Studium einfacher Organismen auf der Erde erhoffen sie sich Erkenntnisse über extraterrestrische Lebensformen.
Außerdem sind die trockenen Täler der Antarktis ideal, um astrobiologische Forschungs-Methoden zu entwickeln und experimentell zu prüfen.
Der Astrobiologe Dale Andersen meint dazu: „Durch die Erforschung der antarktischen Bakterienkolonien können wir Instrumente und Meßmethoden für die Suche nach extraterrestrischem Leben erproben. Und wir können die besten Stellen für Probennahmen entdecken.“ Aus den einzigartigen Blaualgen-Bauwerken in der lebensfeindlichen Lauge des Lake Untersee können Wissenschaftler wichtige Hinweise auf das Leben auf anderen Himmelskörpern gewinnen.
Mit der Zeitmaschine 3,5 Milliarden Jahre zurück
In extremen Lebensräumen gibt es kein höheres Leben, sondern nur wenige Bakterienarten. Die Mikroorganismen können hier ungestört zu großen Kolonien heranwachsen und dicke Schichten ablagern, wie sie sonst nur fossil aus der Frühzeit der unserer Biosphäre erhalten sind. „Ein Tauchgang in diese Seen ist wie eine Reise in einer Zeitmaschine 3,5 Milliarden Jahre zurück.“ erklärt Dale Anderson.
Solche massiven Bakterienschichten sind den Paläontologen als „Stromatolithe“ längst bekannt. Mit 3,5 Milliarden Jahren Alter sind Stromatolithe die ältesten Fossilien der Welt, heute entstehen sie nur noch sehr selten. Die Entstehung von meterdicken „Mikroben-Megacities“, wie in Shark Bay, Australien, ist nur in einem Ökosystem ohne Freßfeinde möglich. Wie in dem extrem alkalischen Lebensraum des Lake Untersee unter drei Meter dickem Eis: Lake Untersee hat den pH-Wert einer starken Bleichmittel-Lauge und ist damit nur von Überlebensspezialisten bewohnbar. Das unwirtliche Gewässer ist seit Jahrtausenden ein Mikroben-Reservat.
Hier leben zwei Arten von Cyanobakterien: eine bildet kleine spitze Nadeln und kommt auch in anderen antarktischen Seen vor, die andere baut große Kegel von bis zu einem halben Meter Höhe. Diese Blaualge mit ihren großen Stromatolithen-Kegeln ist eine spektakuläre Neuentdeckung. Bilder davon sind hier
Dale Anderson vermutet, dass die Wuchsform und Größe mit der besonderen Chemie des Sees zusammenhängen: „Die Bakterien reagieren auf ihre Umwelt und passen ihr Wachstum daran an. Außerdem kommunizieren sie natürlich auch untereinander, schließlich sind sie eine Community, in der Interaktion gefordert ist. Diese Kommunikation in Bakterien-Kolonien verläuft über chemische Reaktionen und ist noch weitgehend unerforscht. Wir wissen auch noch nicht, warum gerade diese Cyanobakterien große Kegel bilden. Sie könnten einen Vorteil davon haben, dem Licht möglichst weit entgegenzuwachsen. Das wirft dann aber die Frage auf, warum nur eine Art Kegel bildet und andere nicht. Diese Fragen können wir im Moment noch nicht beantworten.“
Ohne Plankton ist das Wasser des Sees extrem klar: Sonnenlicht dringt bis in 100 Meter Tiefe in den See ein, genug für die anspruchslosen Cyanobakterien. Sie können selbst mit kleinen Lichtmengen erfolgreich Photosynthese betreiben und wachsen, in der dunklen Phase des antarktischen Winters reduzieren sie den Stoffwechsel. Die Eisdecke versiegelt den See – Lake Untersee ist ein extremes aber stabiles Ökosystem und schützt sind seine Bewohner vor dem antarktischen Winter.
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