Ein Sea Shepherd-Schiff war mit einer Gruppe Meeresbiologen von verschiedenen Forschungsorganisationen unterwegs in mexikanischen Gewässern vor der Baja California. Vor den abgelegenen San Benito-Inseln tauchten auf einmal drei mittelgroße Wale ganz nah am Boot auf, beschreibt Jay Barlow die spektakuläre Sichtung. Barlow ist ein Experte für Meeressäuger und Bioakustik der Scripps Institution of Oceanography in San Diego in San Diego: ‘Like finding a unicorn’ – “Wie ein Einhorn zu finden”, beschreiben Wal-Experten ihre Entdeckung.
Die kurze Fassung: diese drei Wale gehören höchstwahrscheinlich zu einer neuen Schnabelwal-Art.

Hier ist das Beweis-Video: “Sea Shepherd Research Mission Discovers Possible New Whale Species”



Schnabelwale einer neuen Art
Schnabelwale leben in tiefen Gewässern und dadurch meist weit entfernt von den Küsten. Sie tauchen lange und tief, und verbringen selten Zeit an der Oberfläche, normalerweise sind sie normalerweise sehr scheu und meiden Schiffe und Menschen, sie Darum ist eine Sichtung von Schnabelwalen (Ziphiidae) ausgesprochen selten. Dass sie dann auch noch so dicht an einem Boot sind, ist äußerst selten. Darum schwärmt Jay Barlow gegenüber der Presse von dieser phänomenalen Begegnung: “It was just the phenomenal encounter. It’s very rare to even see a beaked whale, and to find a friendly group of beaked whales, it’s even rarer”.

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Diese drei Zahnwale gerieten nun ausgerechnet an ein Boot voller scharfäugiger Meeresbiologen auf  einem Survey, die ihre Ferngläser und Kameras schon im Einsatz hatten – im Video ist zu sehen, dass es sich um einen laufenden Survey handelt. Dadurch konnten sie die seltenen Meeressäuger sofort beobachten, fotografieren, über und unter Wasser filmen und mit dem Hydrophon ihre Laute aufnehmen. Sie haben diese Meeressäuger sofort als Ziphiidae erkannt und auch gleich die richtigen artspezifischen Punkte dieser Wale gezielt beobachtet: Viele Schnabelwal-Arten sind sich extrem ähnlich und unterscheiden sich nur durch wenige Körpermerkmale, wie etwa die Positionierung der Rückenflosse in Relation zur Körperlänge.
Anhand der visuellen und akustischen Aufnahmen konnten die Wissenschaftler Gustavo Cárdenas Hinojosa, Jay Barlow and Elizabeth Henderson die artspezifischen Merkmale der drei Meerestiere mit der Schnabelwal-Kartei aller bisher erfassten Arten abgleichen:
– mit der morphometrische Vermessung der Tiere auf der Basis der Aufnahmen,
– der Positionierung und Form der Zähne im Unterkiefer
– der Bioakustik und
– der genetischen Signatur aus dem Umgebungswasser (steht noch aus).

Zähne – ein ungewöhnlicher Zahnstatus
Das allerwichtigste Bestimmungsmerkmal sind aber ihre Zähne. Bei den meisten Arten haben nur geschlechtsreife Männchen zwei Zähne im Unterkiefer, das ist bei einem vorbei schwimmenden Wahl nicht einfach zusehen. Zumal manche dieser Zähne relativ klein sind, und nur ein kleines Stückchen weit aus dem Unterkiefer nach oben ragen. Barlow und seine KollegInnen hatte also gleich die richtigen Teile der  Wale im Blick und konnten klar sehen dass die Zähne dieser Wale ungewöhnlich platziert waren.

Bio-Akustik – jeder Wal hat seine “Sprache”
Mittlerweile ist bekannt, dass die Gattungen und ihre einzelnen Arten sich aufgrund ihrer jeweils spezifischen Lautäußerungen exakt bestimmen lassen. Seit mehreren Jahren gibt es auch eine akustische Schnabelwal-Datei. Auch diese akustische Datei erbrachte keinen Treffer, die drei so gar nicht scheuen Wale kommunizierten in einem von Menschen noch nie gehörten Lautrepertoire.

Barlow ist ein ausgewiesener Experte für Bioakustik von Walen – wenn er sagt, dass sich das nach einer neuen Art anhört, dann ist diese Aussage sehr ernst zu nehmen: “We saw something new. Something that was not expected in this area, something that doesn’t match, either visually or acoustically, anything that is known to exist” schwärmte Barlow gegenüber der Presse.

Genetische Untersuchung
Zusätzlich konnten die Wissenschaftler auch noch Wasserproben nehmen, aus der Nähe der aufgetauchten Wale  nehmen. Die werden jetzt noch nach DNA-Spuren durchsucht. Durch die technologische Entwicklung der letzten Jahre ist es mittlerweile möglich , aus einer Wasserprobe die DNA der hindurch geschwommen Tiere zu erkennen und sie nachzuweisen. Auch in völliger Abwesenheit des DNA-Gebers.

Diese Probe wird  wieder mit allen Gen-Sequenzen der bisher bekannten Schnabelwalgenome abgeglichen. Wir dürfen bereit jetzt vermuten, dass auch diese die neue Art noch einmal bestätigen werden.

Doch kein Einhorn
‘Like finding a unicorn’ – “Wie ein Einhorn zu finden”, beschreiben die Wal-Experten ihre Entdeckung.
“It’s just some skills up and down my spine when I think that we might have accomplished what most people would say what to the impossible finding of all that exists on this earth that is totally unknown to silence.”

Das ist der einzige Punkt, in dem ich Barlow widersprechen muss. Es werden alle paar Jahre neue Walarten entdeckt, und ich gehe davon aus, dass das so auch noch weitergehen wird.

Das hängt unter anderem damit zusammen, dass wir heute
– mehr Wissen über diese Tiere haben,
– mehr Methoden für die Identifikation
– Informationen umfassender, schneller und überall erhältlich sind.

Bei einer Sichtung können auch aus der Entfernung Körperlänge und Proportion sofort erfasst werden.
Bio-Akustik-Kataloge umfassen die bekannten artspezifischen Repertoires, mit der man sogar Wale, ohne sie überhaupt zu sehen, identifizieren kann.
Die genetische Analyse funktioniert mittlerweile sogar auf der Basis einer Wasserprobe aus der Umgebung eines Tieres.

Mexikanische Gewässer sind wenig erforscht. Mexiko ist ein relativ armes Land, mit schwierigen Lebensbedingungen für die Menschen und hoher Kriminalitätsrate. Für Wal-Forschung gibt es dort keine Ressourcen. So ist dieser Survey von Sea Shepherd mit einen Team aus mexikanischen und US-Forschern eine willkommene Gelegenheit, echtes Neuland zu betreten. In bisher von Wal-Surveys nicht gut erfassten Gewässern besteht natürlich eine viel höhere Wahrscheinlichkeit für echte Neuentdeckungen.

Perfektes Schnabelwal-Habitat
Seit ich vor zehn Jahren den Meertext-Blog begonnen habe, habe ich schon über eine ganze Reihe von neu entdeckten Walarten geschrieben, den Delphin Tursiops australis, den Omura-Wal und eine ganze Reihe von Schnabelwalen: Berardius minimus, Mesoplodon hotaula, Mesoplodon traversii. Ich gehe davon aus, dass noch einige dazukommen werden, unter anderem aus der Antarktis.

Gerade dieses Revier vor San Benito ist übrigens ganz typisch für ein von Ziphiiden bevorzugtes Habitat – ein entlegenes Archipel in einem tiefen Ozean. Diese Insel und der gesamte Meeresboden gehören noch zum Einzugsgebiet des St. Andreas-Grabens, die Unterwasserlandschaft ist von tiefen submarinen Canyons durchzogen. Von der Insel kommt Nährstoff-Eintrag ins Wasser, am Sockel der Insel sind unter anderem reiche Kelpwälder, die eine Unmenge von Nahrung und Arten beherbergen. Sie treffen direkt auf Tiefwasser-Habitate. Das Zusammentreffen von viel Nahrung und tiefem Wasser ist ein idealer Lebensraum für Schnabelwale -im Atlantik kennen wir genau diese Situation unter anderem von den Kanarischen Inseln. Die wahrscheinlich beste Gelegenheit, in europäischen Gewässern Ziphiidae sehen, vor allem Cuvierwale sind dort saisonal häufig.

Wie wird jetzt aus der Sichtung eine neue Art?
Als nächstes muss die neue Art dann wissenschaftlich beschrieben werden. Dafür braucht man in der Regel mindestens einen Schädel, besser mehrere Schädel und ein ganzes Skelett, darunter am besten mindestens ein erwachsenes Männchen wegen der besonderen Zähne.

Nun wird natürlich im 21. Jahrhundert niemand losziehen, um einen Wal zu erlegen, weil dessen Schädel noch in der Sammlung fehlt. Stattdessen wird man eine großangelegte Fahndung in den Museumssammlungen machen, die Schädel von Schnabelwalen aus dieser Region haben, allen voran mexikanische und US-Museen. Dann werden diese Schädel von Spezialisten noch einmal untersucht, und die artspezifischen Merkmale ganz genau überprüft. Ein Schnabelwal-Schädel ist von seinen nahen Verwandten nur von ausgewiesenen Experten zu unterscheiden. Vermutlich werden dann diese Experten eine Rundreise durch diese Museen machen, alle Schädel neu sichten, vermessen und nochmals die artspezifischen Merkmale wie der Bau der knöchernen Nasenregion und das Schläfenfenster sowie die Zähne  fotografisch dokumentieren. Außerdem werden sie wahrscheinlich auch DNA- Proben entnehmen, um diese ebenfalls abzugleichen. Höchstwahrscheinlich werden sie dann einen oder mehrere bereits vorhandene Schädel dieser neuen Art finden.
Dann kann der Schädel der neuen Art noch einmal detailliert von einem Experten, einer Expertin millimetergenau morphometrisch erfasst und beschrieben werden. Dann wird ein Typus-Exemplar festgelegt, praktisch der Urmeter der neuen Art. An diesem Typus-Exemplar wird die Artbeschreibung festgemacht.
Dann muss noch ein Name für das Tier gefunden werden. Der wird entweder einen geographischen Bezug haben, oder vielleicht einen berühmten Schnabelwal-Forscher ehren. Nach dem ersten Eindruck dieser Wale würde ich erwarten, dass sie zur Gattung Mesoplodon gehören, der artnreichsten Zipiidae-Gattung. Allerdings habe ich die Köpfenicht gut genug sehen können.Diese Meldung macht mich wirklich glücklich, denn Schnabelwale sind meine kleinen Lieblinge.
Ich habe über zwei verschiedene Arten aus zwei Gattungen meine Diplomarbeit geschrieben (Nördlicher Entenwal und Sowerby-Zweizahnwal), und bin selbst durch deutsche, niederländische und schwedische Museum gezogen, um die Schädel morphometrisch zu erfassen. Damals hatte ich noch schweres Messgerät aus Metall am Rucksack und musste mit einem selbstgebauten Laser-Messwinkel arbeiten.
Dabei habe ich auch einen falsch absortierten Wal gefunden: in den Wirren des Krieges, als die Sammlung gerettet und umgelagert werden musste, waren Etiketten vertauscht worden. So wurde aus einem  recht seltenen Nördlichen Entenwal der in Deutschland mit nur zwei Exemplaren belegte Sowerby-Zweizahnwal.
Heute geht das natürlich wesentlich einfacher, die meisten Museen haben digitale Messgeräte.
Wie so eine Art Beschreibung aussehen kann, hatte ich auch am Beispiel des schwarzen Vierzahnwals Berardius minimus schon einmal ausführlich beschrieben.

Kommentare (2)

  1. #1 gedankenknick
    11. Dezember 2020

    Schöner Artikel, wieder hab ich hier was dazu gelernt. 😀

    …die Schädel morphometrisch zu erfassen. Damals hatte ich noch schweres Messgerät aus Metall am Rucksack…

    Warum habe ich jetzt einen großen Greifzirkel im Kopfkino?

    …mit einem selbstgebauten Laser-Messwinkel…

    Erst ein Laser-Messwinkel… Dann ein Laser-Schwert. Langsam komme ich der Sache näher. 😉

  2. #2 Bettina Wurche
    11. Dezember 2020

    @gedankenknick: Genau, zwei Greifzirkel: Ein spitzer, um die Nähte und Fixpunkte auf dem Schädel im Nasenbereich zu erfassen und ein über 100 cm langer, um außen am Schädel lange Maße abzunehmen. Mit dem Laserwinkel konnt eich die Gesamtlängen einmessen. Die Schädel der Weibchen und Subadulten waren so 1,30 lang, die konnte ich allein händeln. Bei den Bullen mit 1,60-Schädeln und diesen schweren Scheitelkämmen haben wir manchmal zu DRITT so einen Schädel umgedreht.
    Hier ist mehr dazu (den link setze ich im Artikel noch ´rein):
    http://blog.meertext.eu/2012/11/06/geheimnisvolle-schnabelwale-%E2%80%93-von-entenwalen-und-zweizahnwalen/