(Ein Teil dieses Beitrags erschien erstmals am 21.12.2020 im Meertext-Adventskalender, er ist vollkommen überarbeitet und erweitert worden.
Jetzt gibt er eine Übersicht über die Permafrost-Funde in Jakutien).
Die Klimakrise hat zumindest für ArchäologInnen und PaläontologInnen auch eine gute Seite:
Der tauende Permafrost im fernen Sibirien gibt spektakuläre Eismumien frei.
Diese zotteligen Zeugen des (gar nicht so) fernen Eiszeitalters sind in ihrem eisigen Grab perfekt erhalten geblieben. Mammuts, Wollhaarnashörner und Höhlenbären sind Ikonen der eiszeitlichen Megafauna.
Die Riesentiere haben gerade auf heutige Nord- und Mitteleuropäer eine sehr starke Wirkung, schließlich gibt es im heutigen Europa (außer den sehr seltenen Wisenten) keine Wildtiere, die auch nur annähernd an diese Größe heranreichen – Wollhaar-Mammute waren mit 2,8 bis 3,7 Metern Schulterhöhe etwa so groß wie heutige Elefanten.
Gleichzeitig sind Eiszeit-Bewohner uns zeitlich und räumlich sehr nah – sie haben vor nicht sehr langer Zeit in unserem Siedlungsgebiet gelebt. Das Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren ist jedenfalls nach paläontologischer Zeitrechnung nicht lange her.
Zumindest ich sehe dann vor meinem inneren Auge, wie eine Herde Wollhaar-Mammuts (M. primigenius) den Rheingraben durchwandert und unter ihren Schritten die Erde bebt. Oder wie ein Wurf junger Höhlenlöwen über den Boden tollt.
In der heutigen Arktis haben sich Eis und Schnee am längsten gehalten, darum war sie ein Refugium für einige eiszeitliche Arten. Die Wollhaar-Mammuts sind vor etwa 12.000 Jahren in unseren Breiten ausgestorben, auf der nordsibirischen Wrangelinsel überdauerte aber eine kleine Population bis vor rund 4000 Jahren als verzwergte Inselform.
Über die Permafrost-Fossilfunde berichtet regelmäßig die Sibirian Times, deren Wissenschaftsteil sich unbedingt lohnt.
Das Grinsen der Eismumien
Eismumien sind natürlich entstandene Mumien aus arktischen und antarktischen Regionen, rezent oder aus den Eiszeiten stammend. In Eis und Schnee verendete Tiere und Menschen gefrieren, bevor sie verwesen können. Ein eisiges Grab schützt die Leichen meist auch vor Tierfraß.
Kalte Temperaturen entziehen dem Körper die Flüssigkeit und trocknen ihn extrem stark aus, kalte Klimata wirken also sehr ähnlich wie Wüstenklimata.
Durch die Trocknungsprozesse schrumpfen die Weichteile, unter anderem ziehen sich die Lippen durch Schrumpfung von den Zähnen zurück. So entsteht auch bei Eismumien durch die gebleckten Zähne das typische „Grinsen“, sowohl bei Menschen als auch bei Tieren. Allerdings ist es wegen der unterschiedlich dichten Behaarung des Gesichts nicht immer erkennbar.
Permafrost-Leichen sind für die Forschung extreme Datenschätze: DNA, Weichgewebe wie Muskeln, innere Organe, Mageninhalte und Kot, manchmal sogar Blut und Urin. Form und Farbe der Weichgewebe und des Körpers sowie des Fells. Oft lässt sich vieles der Lebens- und Todesumstände rekonstruieren. Das umgebende Sediment enthält meist noch weitere zusätzliche Information wie Pflanzen, Pollen und mehr für eine weitgehende Rekonstruktion des Lebensraums und Klimas.
Allerdings ist auch Vorsicht geboten: Eismumien tragen auch Parasiten und Bakterien. Mikroorganismen können nach dem Auftauen durchaus wieder aktiv werden: Dann kann schnell die Verwesung einsetzen.
Schlimmstenfalls droht zumindest theoretisch eine Ansteckungsgefahr: 2007 hatten WissenschaftlerInnen in der 50.000 Jahre alten Mammut-Permafrost-Mumie „Khroma“ Anthrax-Erreger und Pneumokokken gefunden – die Verursacher von Milzbrand und Lungenentzündung. Darum, so schreibt Darren Naish, wurde dieser Kadaver mit einer starken Dosis Röntgenstrahlen desinfiziert.
Höhlenbär
Im Herbst dieses Jahres war erstmals ein ganzer Höhlenbär (Ursus spelaeus) ans Tageslicht gekommen!
Die Bilder in der Sibirian Times zeigen einen großen Haufen nassen Plüschs mit gefletschten Zähnen, typisch für eine solche Eismumie (mehr dazu s. u.). Der Bär ist allerdings nicht sehr groß, es ist ein Jungtier.
Der Fund ist weltweit einzigartig, Höhlenbären sind bisher nur von Knochenfunden bekannt, ihre Haut, das Fell und andere Weichteile sind noch nie gefunden worden. Bei diesem “Bärchen” jedoch ist alles erhalten – sogar die Nase, wie Lena Grigorieva stolz erzählt. Sie ist eine der führenden russischen Experten für Eiszeitfauna und leitet das International Centre for Collective Use of Molecular Paleontology am NEFU’s Institute of Applied Ecology of the North (NEFU: North-Eastern Federal University of Yakutsk).
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