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New Species of Baleen Whale in the Gulf of Mexico (NOAA Fisheries)

Im Golf von Mexiko leben eine ganze Reihe von Walen, darunter auch große Arten wie Bartenwale oder Pottwale. Regelmäßig führen Teams von National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und verschiedener Universitäten Surveys und Monitorings durch, um zu überprüfen, welche Wale wo sind und wie es den Beständen geht. Seit den 1990 er Jahren sind einige WissenschaftlerInnen im nord-östlichen Golf auf der Spur einer kleinen Gruppe von Walen, die sie für eine eigenständige Population hielten. Die Tiere schienen eine Sub-Population der Bryde-Wale zu sein und lebten das gesamte Jahr über im Golf. Die bis zu 15,5 Meter langen Bryde-Wale (Balaenoptera edeni) kommen vor allem in tropischen bis gemäßigten Gewässern vor, haben den typischen schlanken Körper aller Furchenwale und die kleinen parallelen wulstartigen Leisten („ridges“) auf dem Kopf. Die Anzahl und Form dieser Kämme ist eines ihrer wichtigsten Identifikationsmerkmale – wenn sie zum Atmen an die Oberfläche kommen es gut erkennbar.  Ausgesprochen wird dieser Name „Brüde“ – der Name geht auf den norwegischen Walfänger und Schiffseigner Johan Bryde (1858–1925).

2008 konnten die Biologin Patricia Rosel und ihre KollegInnen zum ersten Mal eine genetische Probe eines dieser Tiere sammeln. Das Genom unterschied sich markant von denen anderer Bartenwale! Ein erster Hinweis, dass diese kleine Gruppe eine neue Art sein könnte. Für die wissenschaftliche Beschreibung einer neuen Art braucht es aber unbedingt die morphologischen Daten, also die Beschreibung der Körpermerkmale, sowohl des unversehrten Körpers als auch des Skeletts. Gerade am Schädel sind meist die wichtigsten art- und gattungsspezifischen Merkmale zu finden. Da heute keine Wale mehr „gesammelt“ werden, mussten sie auf eine passende Strandung warten.

Im Januar 2019 strandete einer dieser ungewöhnlichen Wale an der Küste vor dem Everglades National Park an der Südspitze Floridas. Die Bedeutung dieser Totstrandung war bekannt, schließlich hatte man danach schon Ausschau gehalten – darum wurde der tote Wal sehr sorgfältig vermessen. Die Position der Rückenflosse (Finne) und die Kopfform sowie die Kämme auf der Kopfoberseite und die Färbung sind artspezifisch und mussten daher gut dokumentiert werden.
Nach der Nekropsie durch ein NOAA-Team wurde das Walskelett eingegraben. Einige Monate später grub ein Team des Smithsonian National Museum of Natural History wieder aus und reinigte es, das saubere Skelett wurde dann in die Sammlung des Museums in Washington D. C. transportiert (um Mißverständnisse zu vermeiden – auch ein „sauberes“ Walskelett ist nur bedingt „sauber“. Den Geruch werden die Knochen nie los, das Fett dringt zu tief ein.) Dort hatten Patricia Rosel und ihre KollegInnen die Möglichkeit, noch einmal einen genaueren Blick auf den Wal zu werfen und ganz detailliert die anatomischen Unterschiede von diesem Tier zu anderen Spezies von Bartenwalen zu analysieren. Ihr Ergebnis: Es IST eine neue Art: der Rice-Wal!

Die Hauptautorin Patricia Rosel und die Mitautoren haben gerade in Marine Mammal Science die Ergebnisse der vollständigen morphologischen Erfassung des Skeletts und vor allem des Schädels publiziert. Dieser Schädel hatte einige artspezifische Merkmale, die ihn klar von Bryde-Walen, aber auch von allen anderen bekannten Furchenwalen unterscheidet.

Dieser neue Wal ist nach dem Wal-Experten Dale Rice benannt worden, dem als erstem in den 1960-er Jahren diese besondere Gruppe von Walen im Golf von Mexiko aufgefallen war. Zunächst wurde diese Gruppe als Sub-Population der Bryde-Wale betrachtet, denen sie am meisten ähneln. Seit den 1990-er Jahren haben andere Meeresbiologen und Wal-Experten dann nach und nach immer mehr Daten zusammengetragen, inklusive erster Biopsie-Proben. Aber erst der Totfund ermöglichte die vollständige Beschreibung und konnte die Vermutung einer neuen Art auch bestätigen: „A new species of baleen whale (Balaenoptera) from the Gulf of Mexico, with a review of its geographic distribution“ – Patricia E. Rosel, Lynsey A. Wilcox, Tadasu K. Yamada, Keith D. Mullin.

Fakten zum Rice-Wal (Balaenoptera):

  • sie können bis zu 30 Tonnen schwer werden und bis zu etwa 12 Meter lang
  • auf der Kopfoberseite tragen sie drei parallele Kämme (s. Bild)
  • ihre Lebenserwartung dürfte bei ca 60 Jahren liegen
  • sie sind bisher nur im Golf von Mexiko im Südosten der Vereinigten Staaten gesichtet worden
  • die größten Gefahren sind auch für diese Wale Schiffskollisionen, Unterwasserlärm und das Verheddern in Fischereigeschirr.

Taxonomischer und Schutz-Status

Taxonomische Arbeit ist immer noch langwierig, denn für die wissenschaftliche Beschreibung braucht es ein totes Exemplar, das in einer wissenschaftlichen Sammlung als Holotypus hinterlegt wird – sozusagen ein taxonomischer Urmeter. Von diesen taxonomischen Anforderungen sind bisher nur extrem wenige Ausnahmen gemacht worden – wie kürzlich bei der blobartigen Tiefsee-Rippenqualle. Genau solche Funktionen, nämlich das Aufbewahren von Originalen, ist bis heute eine der wesentlichen Funktionen von Museen – wenn wir Arten kennen und schützen wollen, brauchen wir diese wissenschaftlichen Sammlungen inklusive der Spezialisten unbedingt, sie bewahren unser natürliches und kulturelles Erbe.

Die Bestätigung des wissenschaftlichen Namens steht allerdings noch aus, bislang sind nur die Zuordnung zur Gattung Balaenoptera und der Trivialname Rice-Wal offiziell.
Die schlechte Nachricht ist, dass dieser Walart nur im Golf von Mexico vorkommt und es wohl nur diesen extrem kleinen Bestand von wahrscheinlich weniger als 100 Tieren gibt. Damit sind sie bereits jetzt bei ihrer Entdeckung vom Aussterben bedroht.
Bislang wurden diese Tiere als Sub-Spezies des Bryde-Wals geführt und war unter diesem Namen geschützt unter dem Marine Mammals Protection Act – als endangered species (stark gefährdet).
Nun muss der Rice-Wal auch formal von der Taxonomie vom Committee of Taxonomy der Society for Marine Mammalogy akzeptiert werden. Danach kann die NOAA den neuen Wal auch sofort auf die Roten Listen setzen lassen – aufgrund der winzigen Population wahrscheinlich in einer noch höheren Schutzkategorie.

Quellen

 

Kommentare (5)

  1. #1 RPGNo1
    4. Februar 2021

    @Bettina Wurche

    Es ist toll, dass schon wieder eine neue Walart entdeckt wurde und zeigt auch die immer noch steigende Relevanz genetischer Untersuchungen, um solche Erkenntnisse erst zu gewinnen. Dass die Rice-Wale stark bedroht sind, ist eine sehr viel weniger erfreuliche Nachricht.

    um Mißverständnisse zu vermeiden – auch ein „sauberes“ Walskelett ist nur bedingt „sauber“. Den Geruch werden die Knochen nie los, das Fett dringt zu tief ein.

    Können die Knochen mit einem Klarlack/Kunststoff so konserviert werden (laienhaft ausgedrückt), dass sie nicht mehr vor sich hinmüffeln? Oder erträgt man den Geruch einfach, um mögliche weitere Forschungen nicht zu erschweren?

  2. #2 Bettina Wurche
    4. Februar 2021

    @RPGNo1: Ja, diese immer neuen Arten, Unterarten und Sub-Populationen sind für den Naturschutz eine große Herausforderung – damit wird immer klarer, dass es nicht um ARTENschutz, sondern um HABITATschutz geht. Das zeichnet sich gerade bei sehr vielen Walen und auch anderen Tieren ab.
    Wird ein frischer Wal sofort abgefleischt, kann nur wenig Öl in die Knochen einsinken. Das sauberste Walskelett habe ich mal bei einem Walfanger gesehen, der erklärte mir das. Museen lassen ihre Skelette meist erst einmal abgammeln – sie lassen die Weichteile verwesen und abfallen. Dabei sickern die Öle tief in die Knochen ein, nicht nur bei Walen. Skelette kommen normalerweise dann in die Mazeration/Entfettungsanlage. Wale sind dafür aber meist zu groß und haben wohl auch besonders aggressive Fettsäuren, hat mir jedenfalls mal ein Präparator erzählt (das Walfett hatte mit kupfernen Bestandteilen reagiert, die Knochen hatten curacao-farbene Flecken). Man kann sie mit Waschpulver abkochen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt – dann zersetzt sich der Knochen selbst. Zwischen Säubern und Beschädigen sind die Übergänge fließend, da muss man mit Fingerspitzengefühl bei.

    Hier ist der Projekt-Blog der Wal-Reinigung aus d Naturkunde-Museum in Bergen:
    http://thewhaleboneblog.blogspot.com/

    Ich weiß nicht, ob das Smithsonian da vielleicht schon neue Techniken entwickelt hat. Nach allem, was ich weiß und gesehen habe, bekommt man die Fette aus den Walknochen nie ganz heraus. Darum müffeln die Tierchen auch immer.
    Lack geht gar nicht, das verfälscht den Knochen und ist der Horror jedes Wissenschaftlers. Außerdem würde ich vermuten, dass sich unter der starren Oberfläche das natürliche Gewebe weiterhon bewegt, dann kann es zu Rissen kommen.

  3. #3 RPGNo1
    4. Februar 2021

    @Bettina Wurche

    Danke für die Aufklärung. 🙂

  4. #4 Bettina Wurche
    4. Februar 2021

    @RPGNo1: In Bergen durften wir in der geschlossenen Ausstellung nach oben auf das Gerüst, zum unter der Decke hängenden Wal. Das war so Hammer!!! Der Blog lohnt sich wirklich zu lesen, das war ein unglaubliches Projekt.

  5. #5 Bettina Wurche
    9. Februar 2021

    @RPGNo1: Schau mal hier: So wird ein Walskelett museumsreif gemacht
    https://www.hakaimagazine.com/videos-visuals/the-whale-bone-squatters/