Finnwale (Balaenoptera physalus) sind mit bis zu 24 Meter Länge die zweitgrößten Tiere der Erde. Die schlanken grauen Riesen – nur ihr rechter Unterkiefer ist weiß – legen bei ihren jährlichen Wanderungen riesige Strecken zurück. Trotz ihrer Größe sind sie schnelle Schwimmer – für mich gehören sind sie die elegantesten Wale. Den Sommer verbringen sie natürlich zum Fressen in den nahrungsreichen polaren Gewässern.
Wie alle Wale haben sie artspezifische akustische Äußerungen: Ihre langwelligen und lauten Rufe – „20 Hertz Pulse“ (s. u.) – sind mit 184 bis 186 Dezibel sind eine der kraftvollsten Lautäußerungen eines Lebewesens im Ozean.
Finnwal-Rufe ergänzen seismische Daten
Bei seismischen Untersuchungen der Tiefseegraben-Strukturen vor der US-Westküste haben Wissenschaftler Hilfe von unerwarteter Seite bekommen – von den Finnwalen. Die seismische Untersuchung des Meeresbodens erfolgt mit Schallkanonen – diese „Air Guns“ geben laute Impulse ab, deren Schallwellen bis in den Meeresboden eindringen. Der Boden reflektiert die Schallwellen je nach Materialdichte (Sand oder Fels) unterschiedlich, so dass Geologen daraus eine Karte erstellen können. Diese Untersuchungen sind gerade an tektonisch aktiven Zonen wie vor der Pazifikküste wichtig für die Erdbeben-Forschung, dienen aber auch der Suche nach Rohstoffvorkommen.
Diese akustische Exploration ergibt exakte Karten von Gegenden, die noch nie ein Mensch gesehen hat und voraussichtlich auch nie zu Gesicht bekommen wird. Allerdings sind solche Surveys mit Spezialschiffen sehr teuer und die Schallkanonen stören Meeressäuger und andere Meerestiere.
Václav Kuna vom Institut für Geophysik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag und sein Kollege John Nábĕlek von der Oregon State University hatten 2012 und 2013 an einem Netz von 54 OBS-Stationen (Ocean-Bottom Seismometer) seismische Aktivitäten des Meeresbodens vor Oregon aufgezeichnet.
Dabei waren wie immer auch eher störende Signale, die von Walen stammten.
Kuna fiel allerdings auf, dass einige der tierischen Signale nur auf den Seismometern der Meeresbodeninstrumente auftraten, die Schwingungen messen. Ihre Mikrofone hingegen hatten keine dementsprechenden Laute aufgenommen. Dies bedeutete, dass die Signale nicht direkt von den Walen kamen, sondern aus dem Meeresboden zurückgeworfene Echos waren. Dabei kam ihm die Idee, auch diese Signale für seine Seismik-Forschung zu nutzen.
Dafür musste Kuna allerdings zunächst die Positionen der rufenden Wale bestimmen. Glücklicherweise erzeugt jeder Walruf zwei Sets von Schallwellen: eine, die vom Wal direkt zur seismischen Station auf dem Meeresboden läuft. Eine weitere wird zwischen dem Meeresboden und der Oberfläche hin- und hergeworfen, bevor sie dieselbe Seismik-Station trifft. Durch Vergleichen der Ankunftszeiten dieser beiden Wellen an der OSB-Station konnte Kuna die ungefähren Standorte der Wale triangulieren.
Vier Stationen hatten sechs solcher „Songs“ aufgezeichnet, die zwischen 2,5 und fast 5 Stunden lang waren.
Diese neue Perspektive kann auch aus vielen anderen älteren Datensätzen mit einer erneuten Analyse noch wertvolle Zusatzinformationen erbringen, erklärt die Seismologin Emily Roland (die selbst nicht an dieser Publikation beteiligt war). Weitere Datensets aus den oberen 2,5 Kilometer des Meeresbodens könnten gerade im Bereich der Klimatologie (um die Menge der in den Sedimenten verfügbaren Kohlenstoffspeicher besser abzuschätzen) und Seismologie (um Erdbebenorte genau zu lokalisieren und die Wechselwirkung von Sedimenten und Kruste zu bestimmen) verwendet werden. Die Seismologie ist natürlich gerade in den tektonisch so aktiven Zonen vor der amerikanischen Pazifikküste mit ihren äußerst aktiven Kontinentalplatten-Grenzen in der Nähe einiger Großstädte von elementarer Bedeutung.
Allerdings lassen sich die Wal-Rufe nur mit Abstrichen nutzen, erklärt Kuna. Die Finnwal-Signale seien nicht so scharf, wie die der Schallkanonen. Außerdem kann die Position eines Wals nur trianguliert werden, wenn der Ozeanboden relativ flach ist – dann reicht eine einzelne Seismik-Station für die Analyse. Sowie es Gräben und Hänge gibt, wären die Daten mehrerer Stationen erforderlich.
“If we use the whale songs at least as a complement to other sources of signals, they are free and they are always there,” – die Walgesänge sind auf jeden Fall eine wertvolle Ergänzung zu den anderen Datensätzen, und auch noch kostenlos und regelmäßig, meint Kuna “It’s a win-win.” Da diese Wale weltweit in allen Ozeanen bis an die Eisgrenzen der Polarkappen leben, stehen ihre Laute in nahezu allen Regionen der Welt zur Verfügung.
So hat der tschechische Seismologe jetzt aus Störsignalen einen akustischen Schatz gemacht.
Quellen:
Scientific American: “Whales’ Long, Loud Calls Reveal Structure beneath Ocean Floor – Sound waves from fin whales can help scientists probe Earth’s crust” (Stephanie Pappas, 11.02.2021)
Václav M. Kuna, John L. Nábělek:Seismic crustal imaging using fin whale songs
(Science 12 Feb 2021: Vol. 371, Issue 6530, pp. 731-735; DOI: 10.1126/science.abf3962)
Die Rufe der Finnwale
Finnwale singen nicht wie etwa Buckelwale, sondern geben pulsartige Laute von jeweils einer Sekunde ab (mich erinnert das eher an die Echolaktions-Klicks der Zahnwale).
Da ihre niederfrequenten Lautäußerungen meistens zwischen 30 bis 15 Hertz liegen, heißen sie „20 Hertz Pulse“. Sie sind bis über 1000 km hinweg zu hören und können sogar die Lautstärke großer Schiffsmotoren erreichen.
Studien in mexikanischen Gewässern im Golf von Kalifornien hatten gezeigt, dass nur die Männchen rufen, und auch nur zwischen September und Mai. Vermutlich haben die laute also eine Funktion für die Partnersuche und Reproduktion der Finnwale haben: Die Bullen können so über weite Entfernungen hinweg Weibchen auf besonders nahrungsreiche Gewässer aufmerksam machen – und sie so anlocken.
Finnwale singen in lauten Impulsen von einer Sekunde. Gerade dieses Lautmuster eignet sich gut für die seismische Bildgebung, da Impulse einfacher zu analysieren sind als kontinuierliches Rauschen, meint der (nicht an der Studie beteiligte) Meeres-Geophysiker William Willcock (Universität Washington). Er habe seismische Instrumente schon zur Verfolgung von Walen verwendet.
Biologen nutzen diese weit hörbaren und charakteristischen Rufe schon regelmäßig zur Kartierung der Finnwal-Bestände in den Weltmeeren. Sie dürften allerdings noch wesentlich mehr Informationen enthalten. Die „Sprache“ dieser Meeresriesen ist noch nicht entziffert, bislang ist nur bekannt, dass es zumindest in kalifornischen Gewässern vier Song-Typen gibt – long doublet, short doublet, long triplet, und short triplet, dass diese „Lieder“ sich allmählich verändern und dass sich die Songs verschiedener Population offenbar unterscheiden.
Mit neuer Technologie und Computerprogrammen zur Analyse extrem komplexer Datenmengen wird es da sicherlich bald ähnliche Fortschritte geben, wie bei Pottwalen, Schweinswalen und zuletzt auch Schnabelwalen. Alle diese Zahnwale galten lange Zeit als nicht sozial kommunikativ, weil sie nicht wie beim Delphin-Lautrepertoire pfeifen. Stattdessen klicken diese drei Zahnwal-Arten „nur“, was bei Delphinen ja nur zur Echolokation eingesetzt wird. Mittlerweile ist bekannt, dass Pottwale, Schweinswale und auch Schnabelwale per Echolokationsklicks offenbar komplexe soziale Kommunikation betreiben und sich ihr Repertoire je nach Population stark voneinander unterscheidet. Hal Whitehead hatte auf der Basis dieser Erkenntnisse den Pottwalen eigenständige Kulturen zugestanden.
Ocean-Bottom-Seismometer
Ocean-Bottom-Seismometer (OBS) sind eine Kombination aus Hydrophon und Seismometer zur Erforschung des Meeresbodenuntergrundes anhand von unterseeischen Wellenmessungen und ihrer Auswertungen.
Das autonome System wird vom Explorationsschiff aus ins Wasser gesetzt und sinkt dann auf den Meeresboden. Dort empfängt sein Hydrophon den Wasserschall (Druckwellen) und das Seismometer Bewegungen des Meeresbodens (Druck- und Scherwellen oder auch P- und S-Wellen, s. Seismische Welle). Ist die Untersuchung abgeschlossen, sendet das Schiff ein akustisches Signal – daraufhin steigt das OBS zur Meeresoberfläche auf und kann eingesammelt werden. Anschließend werden die aufgezeichneten Daten ausgewertet.
Wie hören sich Finnwal-Rufe an?
Um 20 Hz Pulse der Finnwale für das menschliche Gehör hörbar zu machen, müssen sie mit 10-facher Geschwindigkeit abgespielt werden.
Hier ist ein Finwal-Song aus dem SOSUS-System im östlichen Nord-Atlantik.
Finnwal-Ruf „20 Hrtz-Pulse“:
Quelle:
Václav M. Kuna, John L. Nábělek: Seismic crustal imaging using fin whale songs
(Science 12 Feb 2021: Vol. 371, Issue 6530, pp. 731-735; DOI: 10.1126/science.abf3962)
Finnwal-Pulse aus dem Pazifik:
Kommentare (6)