Blasender Finnwal vor Grönland

Blasender Finnwal vor Grönland Finnwal – Balaenoptera physalus (Wikipedia; Aqqa Rosing-Asvid)

Finnwale (Balaenoptera physalus) sind mit bis zu 24 Meter Länge die zweitgrößten Tiere der Erde. Die schlanken grauen Riesen – nur ihr rechter Unterkiefer ist weiß – legen bei ihren jährlichen Wanderungen riesige Strecken zurück. Trotz ihrer Größe sind sie schnelle Schwimmer – für mich gehören sind sie die elegantesten Wale. Den Sommer verbringen sie natürlich zum Fressen in den nahrungsreichen polaren Gewässern.
Wie alle Wale haben sie artspezifische akustische Äußerungen: Ihre langwelligen und lauten Rufe – „20 Hertz Pulse“ (s. u.) – sind mit 184 bis 186 Dezibel sind eine der kraftvollsten Lautäußerungen eines Lebewesens im Ozean.

Finnwal-Rufe ergänzen seismische Daten

Bei seismischen Untersuchungen der Tiefseegraben-Strukturen vor der US-Westküste haben Wissenschaftler Hilfe von unerwarteter Seite bekommen – von den Finnwalen. Die seismische Untersuchung des Meeresbodens erfolgt mit Schallkanonen – diese „Air Guns“ geben laute Impulse ab, deren Schallwellen bis in den Meeresboden eindringen. Der Boden reflektiert die Schallwellen je nach Materialdichte (Sand oder Fels) unterschiedlich, so dass Geologen daraus eine Karte erstellen können. Diese Untersuchungen sind gerade an tektonisch aktiven Zonen wie vor der Pazifikküste wichtig für die Erdbeben-Forschung, dienen aber auch der Suche nach Rohstoffvorkommen.
Diese akustische Exploration ergibt exakte Karten von Gegenden, die noch nie ein Mensch gesehen hat und voraussichtlich auch nie zu Gesicht bekommen wird. Allerdings sind solche Surveys mit Spezialschiffen sehr teuer und die Schallkanonen stören Meeressäuger und andere Meerestiere.

Václav Kuna vom Institut für Geophysik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag und sein Kollege John Nábĕlek von der Oregon State University hatten 2012 und 2013 an einem Netz von 54 OBS-Stationen (Ocean-Bottom Seismometer) seismische Aktivitäten des Meeresbodens vor Oregon aufgezeichnet.
Dabei waren wie immer auch eher störende Signale, die von Walen stammten.

Kuna fiel allerdings auf, dass einige der tierischen Signale nur auf den Seismometern der Meeresbodeninstrumente auftraten, die Schwingungen messen. Ihre Mikrofone hingegen hatten keine dementsprechenden Laute aufgenommen. Dies bedeutete, dass die Signale nicht direkt von den Walen kamen, sondern aus dem Meeresboden zurückgeworfene Echos waren. Dabei kam ihm die Idee, auch diese Signale für seine Seismik-Forschung zu nutzen.

Dafür musste Kuna allerdings zunächst die Positionen der rufenden Wale bestimmen. Glücklicherweise erzeugt jeder Walruf zwei Sets von Schallwellen: eine, die vom Wal direkt zur seismischen Station auf dem Meeresboden läuft. Eine weitere wird zwischen dem Meeresboden und der Oberfläche hin- und hergeworfen, bevor sie dieselbe Seismik-Station trifft. Durch Vergleichen der Ankunftszeiten dieser beiden Wellen an der OSB-Station konnte Kuna die ungefähren Standorte der Wale triangulieren.

Vier Stationen hatten sechs solcher „Songs“ aufgezeichnet, die zwischen 2,5 und fast 5 Stunden lang waren.

Diese neue Perspektive kann auch aus vielen anderen älteren Datensätzen mit einer erneuten Analyse noch wertvolle Zusatzinformationen erbringen, erklärt die Seismologin Emily Roland (die selbst nicht an dieser Publikation beteiligt war). Weitere Datensets aus den oberen 2,5 Kilometer des Meeresbodens könnten gerade im Bereich der Klimatologie (um die Menge der in den Sedimenten verfügbaren Kohlenstoffspeicher besser abzuschätzen) und Seismologie (um Erdbebenorte genau zu lokalisieren und die Wechselwirkung von Sedimenten und Kruste zu bestimmen) verwendet werden. Die Seismologie ist natürlich gerade in den tektonisch so aktiven Zonen vor der amerikanischen Pazifikküste mit ihren äußerst aktiven Kontinentalplatten-Grenzen in der Nähe einiger Großstädte von elementarer Bedeutung.

Allerdings lassen sich die Wal-Rufe nur mit Abstrichen nutzen, erklärt Kuna. Die Finnwal-Signale seien nicht so scharf, wie die der Schallkanonen. Außerdem kann die Position eines Wals nur trianguliert werden, wenn der Ozeanboden relativ flach ist – dann reicht eine einzelne Seismik-Station für die Analyse. Sowie es Gräben und Hänge gibt, wären die Daten mehrerer Stationen erforderlich.

“If we use the whale songs at least as a complement to other sources of signals, they are free and they are always there,” – die Walgesänge sind auf jeden Fall eine wertvolle Ergänzung zu den anderen Datensätzen, und auch noch kostenlos und regelmäßig, meint Kuna “It’s a win-win.” Da diese Wale weltweit in allen Ozeanen bis an die Eisgrenzen der Polarkappen leben, stehen ihre Laute in nahezu allen Regionen der Welt zur Verfügung.

So hat der tschechische Seismologe jetzt aus Störsignalen einen akustischen Schatz gemacht.

Quellen:
Scientific American: “Whales’ Long, Loud Calls Reveal Structure beneath Ocean Floor – Sound waves from fin whales can help scientists probe Earth’s crust” (Stephanie Pappas, 11.02.2021)

Václav M. Kuna, John L. Nábělek:Seismic crustal imaging using fin whale songs
(Science 12 Feb 2021: Vol. 371, Issue 6530, pp. 731-735; DOI: 10.1126/science.abf3962)

 

Die Rufe der Finnwale

Finnwale singen nicht wie etwa Buckelwale, sondern geben pulsartige Laute von jeweils einer Sekunde ab (mich erinnert das eher an die Echolaktions-Klicks der Zahnwale).
Da ihre niederfrequenten Lautäußerungen meistens zwischen 30 bis 15 Hertz liegen, heißen sie „20 Hertz Pulse“. Sie sind bis über 1000 km hinweg zu hören und können sogar die Lautstärke großer Schiffsmotoren erreichen.

Studien in mexikanischen Gewässern im Golf von Kalifornien hatten gezeigt, dass nur die Männchen rufen, und auch nur zwischen September und Mai. Vermutlich haben die laute also eine Funktion für die Partnersuche und Reproduktion der Finnwale haben: Die Bullen können so über weite Entfernungen hinweg Weibchen auf besonders nahrungsreiche Gewässer aufmerksam machen – und sie so anlocken.

Finnwale singen in lauten Impulsen von einer Sekunde. Gerade dieses Lautmuster eignet sich gut für die seismische Bildgebung, da Impulse einfacher zu analysieren sind als kontinuierliches Rauschen, meint der (nicht an der Studie beteiligte) Meeres-Geophysiker William Willcock (Universität Washington). Er habe seismische Instrumente schon zur Verfolgung von Walen verwendet.

Biologen nutzen diese weit hörbaren und charakteristischen Rufe schon regelmäßig zur Kartierung der Finnwal-Bestände in den Weltmeeren. Sie dürften allerdings noch wesentlich mehr Informationen enthalten. Die „Sprache“ dieser Meeresriesen ist noch nicht entziffert, bislang ist nur bekannt, dass es zumindest in kalifornischen Gewässern vier Song-Typen gibt – long doublet, short doublet, long triplet, und short triplet, dass diese „Lieder“ sich allmählich verändern und dass sich die Songs verschiedener Population offenbar unterscheiden.

Mit neuer Technologie und Computerprogrammen zur Analyse extrem komplexer Datenmengen wird es da sicherlich bald ähnliche Fortschritte geben, wie bei Pottwalen, Schweinswalen und zuletzt auch Schnabelwalen. Alle diese Zahnwale galten lange Zeit als nicht sozial kommunikativ, weil sie nicht wie beim Delphin-Lautrepertoire pfeifen. Stattdessen klicken diese drei Zahnwal-Arten „nur“, was bei Delphinen ja nur zur Echolokation eingesetzt wird. Mittlerweile ist bekannt, dass Pottwale, Schweinswale und auch Schnabelwale per Echolokationsklicks offenbar komplexe soziale Kommunikation betreiben und sich ihr Repertoire je nach Population stark voneinander unterscheidet. Hal Whitehead hatte auf der Basis dieser Erkenntnisse den Pottwalen eigenständige Kulturen zugestanden.

 

Ocean Bottom seismometer.jpg

Ocean Bottom seismometer (Wikipedia; IFM GEOMAR)

Ocean-Bottom-Seismometer

Ocean-Bottom-Seismometer (OBS) sind eine Kombination aus Hydrophon und Seismometer zur Erforschung des Meeresbodenuntergrundes anhand von unterseeischen Wellenmessungen und ihrer Auswertungen.
Das autonome System wird vom Explorationsschiff aus ins Wasser gesetzt und sinkt dann auf den Meeresboden. Dort empfängt sein Hydrophon den Wasserschall (Druckwellen) und das Seismometer Bewegungen des Meeresbodens (Druck- und Scherwellen oder auch P- und S-Wellen, s. Seismische Welle). Ist die Untersuchung abgeschlossen, sendet das Schiff ein akustisches Signal – daraufhin steigt das OBS zur Meeresoberfläche auf und kann eingesammelt werden. Anschließend werden die aufgezeichneten Daten ausgewertet.


Wie hören sich Finnwal-Rufe an?

Um 20 Hz Pulse der Finnwale für das menschliche Gehör hörbar zu machen, müssen sie mit 10-facher Geschwindigkeit abgespielt werden.

Hier ist ein Finwal-Song aus dem SOSUS-System im östlichen Nord-Atlantik.

Finnwal-Ruf „20 Hrtz-Pulse“:

Quelle:
Václav M. Kuna, John L. Nábělek: Seismic crustal imaging using fin whale songs
(Science 12 Feb 2021: Vol. 371, Issue 6530, pp. 731-735; DOI: 10.1126/science.abf3962)

 

Finnwal-Pulse aus dem Pazifik:

 

 

 

 

 

Kommentare (6)

  1. #1 RPGNo1
    16. Februar 2021

    “It’s a win-win.”

    Diese Aussage gefällt mir am besten.

    Als Kind dachte ich übrigens, dass der Name Finnwal von Finnland abgeleitet ist. Erst später habe ich gelernt, dass mit Finne die Rückenflosse gemeint ist. 🙂

  2. #2 Bettina Wurche
    16. Februar 2021

    @RPGNo1: Ja, solche Momente hatte ich auch : )))

  3. #3 Folke Kelm
    Schweden. Winter vorbei jetzt?
    16. Februar 2021

    Coole Sache. Dad geht mich als Geologen natürlich direkt an. Eigentlich wieder mal ein Beispiel für die vielen Hilfen die Mamma Natur uns überall anbietet, wenn man nur genau hinschaut. Ich muss aber schon gestehen, ich hätte da nicht geguckt. Die Idee ist schon ziemlich genial.

    @RPG und Bettina….
    Jaja, diese Momente des Missverstehens. Meine Mutter hat mich ja in meiner zarten Kindheit mit Schlagern traktiert. Mireille Mathieu…”o pardon, sind sie der Graf von Luxemburg”
    Ich war jahrelang der Überzeugung dass der Graf von Luxemburg Mireilles Opa ist und Dong heisst.

  4. #4 Bettina Wurche
    17. Februar 2021

    @Folke Kelm: Das ging mir auch so – dieser neue Blick mit mathematischer Vorbelastung auf alte Daten ist schon genial. So hatten Teams von Hal Whitehead ja auch die seit Jahrzehnten aufgenommenen Pottwal-Daten noch einmal neu betrachtet und die Bewegungen der Tiere mit ihren Klicks korreliert – so haben sie die Kulturen und Dialekte identifiziert. Das ist allerdings auch erst jetzt, mit neuen Computerprogrammen für solche großen Datenmengen möglich geworden.
    Da passieren gerade überall total spannende Untersuchungen alter Daten-Goldminen

    Mireille Mathieu? Auweia, schwere Kindheit : ))

  5. #5 schlappohr
    17. Februar 2021

    “Durch Vergleichen der Ankunftszeiten dieser beiden Wellen an der OSB-Station konnte Kuna die ungefähren Standorte der Wale triangulieren.”

    Ist vermutlich so gemeint, dass zunächst in jedem Seismometer durch den Laufzeitvergleich diejenige Welle identifiziert wurde, die direkt vom Wal kommt, denn nur diese ist für eine Triangulation geeignet. Die eigentliche Triangulation erfolgt dann durch die Auswertung der Signale aus mehreren Seismometern in einem genügend großen Winkelabstand. Oder gehts das wirklich mit _einer_ Station?
    Das ganze kann ja erst offline nach dem Einsammlen der Stationen erfolgt sein, oder? Sonst müssten die Stationen in Echtzeit kommunizieren, dafür sind sie vermutlich nicht ausgelegt.
    Wenn man bedenkt, dass viele Wale zeitgleich im ganzen Atlantik auf ähnlichen Frequenzen funken und dazu noch Strömung, Temperatur, Salzgehalt, Störgeräusche usw. die Signalausbreitung beeinflussen, dann kann man sich vorstellen, dass in diesem Verfahren ein Fetzen Signalverarbeitung drinsteckt. Respekt.

    Ich wurde auch mit dem “Spatz von Avignon” großgezogen. Ich empfand sie aber weniger nervtötend als das, was heute manchmal im (elterlichen) Schlagerradio so läuft. Das grenzt an Körperverletzung. 3 Minuten Helene Fischer tötet genauso so viele Gehirnzellen wie ein Vollrausch 🙂

  6. #6 Bettina Wurche
    17. Februar 2021

    @schlappohr: Ich habe ihn so verstanden, dass er dafür nur die Daten einer einzigen OSB benutzt hat. Der Schall, der von dem mitten im Meer schwimmenden Wal ausgestoßen wird, prallt (bounces) ja mehrfach zwischen Meeresboden und Meeresoberfläche hin und her, das ergibt dann ja mehrere Signale pro Ruf.
    In diesen Aufzeichnungen scheint nur ein Finnwal vokalisiert zu haben. So hoch ist die Dichte verliebter Finnwale im Meer ja auch wieder nicht : ) Gut möglich, dass weiter entfernte Signale nur noch sehr schwach ankommen und dann sehr leises Hintergrundrauschen ergeben.

    Soweit ich das OBS verstanden habe, geht es auf den Meeresboden, nimmt dort auf udn kommt auf ein Signal wieder hoch. Dann erst wwerden die Daten ausgewertet. Eine Datenübertragung vom Meeresgrund erfolgt nicht.