Winzige Löcher in drei fossilen Muschelschalen zeigen: Vor 75 Millionen Jahren haben hungrige Oktopusse die Schalen durchbohrt, um an den weichen Muschel-Körper zu kommen.
Mit diesem Fund datieren die Paläontologen Dr. Adiel Klompmaker (Kurator für Paläontologie, Alabama Museum of Natural History) und Dr. Neil Landman (Kurator emeritus, Fossil Invertebrates, American Museum of Natural History) diese Octopus-Jagdstrategie um glatte 25 Millionen Jahre früher als bislang gedacht (https://doi.org/10.1093/biolinnean/blab001).
Octopodoidea as predators near the end of the Mesozoic Marine Revolution” (2021); Biological Journal of the Linnean Society, blab001,Diese Muscheln, Nymphalucina occidentalis, lebten einst im heutigen Süd-Dakota, wo ein flaches Binnenmeer das westliche und östliche Nordamerika teilte (Western American Seaway: ein ziemlich interessantes Ökosystem – mit Methanquellen auf dem Meeresboden). Bei der Untersuchung fossiler Muscheln in Museumssammlungen entdeckten sie verräterische, bis zu einem Millimeter kleine ovale Löcher – diese sahen exakt wie heutige Oktopus-Bohrlöcher aus.
Ein moderner Tintenfisch hat in der Mundöffnung eine bandförmige Zunge, die oft mit spitzen Zähnen besetzt ist – die Radula. Manche der bandförmigen Zungen sind zum Bohren geeignet (hier ist ein guter Beitrag dazu).
So verschafft sich ein Oktopus Zugang zum weichen Muschelkörper, wenn er ein widerspenstiges, zu kräftiges Schalentier nicht einfach mit Arm-Muskelkraft aufklappen kann. Durch das Bohrloch injiziert er dann Gift, das seine Beute lähmt, ihren Widerstand bricht und wahrscheinlich auch schon teilweise vorverdaut.
Bisher waren die ältesten, sicher Oktopussen zugeordneten Bohrlöcher an 50 Millionen Jahren alten Muscheln bekannt. Der neue Fund zeigt also, dass diese raffinierte Jagdstrategie noch älter ist – 75 Millionen Jahre!
Dieser Fund ist auch deshalb so wertvoll, weil er anatomische und ökologische Rückschlüsse auf eine Tiergruppe erlaubt, deren weiche Körper äußerst selten fossilisieren.
Die mesozoische Revolution – Aufrüstung im Ozean
Eine wertvolle Beobachtung, denn wegen der weichen Körper der Tintenfische ohne Außenschalen (wie Oktopusse und Kalmare) fossilisieren sie nur in seltenen Glücksfällen. Dieser kleine Fund ist von großer Bedeutung für die Entwicklung der modernen Tintenfisch-Linien und deren Verhalten. 75 Millionen Jahre datiert deren Entwicklung zurück ins Erdmittelalter, das Mesozoikum. In dieser Zeit waren gleich eine ganze Reihe unterschiedlicher Meeresreptilien die Top-Prädatoren der Meere
Während des Mesozoikums (251 bis 66 Millionen Jahren) fand in den Meeren die sogenannte mesozoische Meeresrevolution statt, die gerade für Prädatoren wie Kopffüßer, Fische und Haie von entscheidender Bedeutung war – in dieser Zeit entstanden auch die modernen Linien der achtarmigen Kraken (Oktopusse und der zehnarmigen Kalmare und Sepien. In einem evolutiven Wettrüsten setzten sich anpassungsfähige, kleine und schnelle Jäger durch. Skelettelemente und Panzerungen werden für größere Beweglichkeit aufgegeben. Die größere Verwundbarkeit kompensierten die Tintenfische dann offenbar mit ihrem Arsenal des Täuschens und Tarnens. Am Meeresboden lebende Prädatoren entwickelten offenbar in genau dieser Zeit Techniken zum Aufbohren der Beute.
Die Kopffüßer setzten sich damit in einer Zeit durch, in der ein besonders harter Kampf um die besten Nischen im Ozean echte Innovationen erforderte. In diesem Spannungsfeld dürften dann auch die außergewöhnliche Mischung ihrer Merkmale entstanden sein – hohe Intelligenz, die per Tintenwolken und die Tarn-Fähigkeiten durch Wechseln der Farbe und der Oberflächenstruktur.
Klompmaker und Landman werden jetzt die fossilen Muscheln dieser Zeit in weiteren Museumssammlungen unter die Lupe nehmen und nach den kleinen ovalen Löchern Ausschau halten. In eiszeitlichen Kauri-Schneckenschalen waren sie gerade schon fündig geworden – auch während der Eiszeit hatten Oktopusse der Gruppe Octopodoidea schon nachdrücklich nach Seafood gebohrt, egal, wie dick die Schale war. In dieser Publikation hatten die beiden Paläontologen noch einmal detailliert beschrieben, wie effektiv die schlauen Weichtiere ihre Drillbohrer-Zunge ansetzten: An dem Punkt der geschlossenen Schneckenschale, wo die kalkigen Schichten am dünnsten sind und gleichzeitig der Muschel-Schließmuskel ansetzt. So konnten sie mit dem geringsten Zeit- und Kraft-Aufwand ein Loch bohren und die Muschel-Muskulatur außer Betrieb setzen. Dabei haben Klompmaker und Landman auch noch herausgefunden, dass in größeren Kauri-Exemplaren größere Bohrlöcher sind. Offenbar haben sich die fossilen Eiszeit-Kraken eine zu ihrer Größe passende Mahlzeit gesucht – große Kraken haben große Kauris überfallen und kleine Kraken haben sich mit kleineren Schnecken begnügt.
Übrigens durchbohren und -ätzen auch viele jagende Meeresschnecken Muschelschalen – deren Löcher sehen aber anders aus. Eine solche Raubschnecke ist etwa die Wellhornschnecke.
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