Im Auge des Schwarms – von Fischen, dem Meer und dem Leben heißt Helen Scales` neues Sachbuch (Eye of the Shoal: A Fishwatcher’s Guide to Life, the Ocean and Everything, 2018). Die promovierte Biologin, Taucherin und erfolgreiche Autorin verwebt Fischforschung mit Anekdoten, Mythen und eigenen Erlebnisse virtuos und begeistert, in ihrer ganz eigenen bildhaften Wortwahl. Damit entführt sie uns auf eine unvergessliche Reise durch traumhafte Szenen einer magischen Unterwasserwelt. So emotional und leidenschaftlich beschreibt sie die geschuppten Flossentiere, dass man zu ihnen unwillkürlich eine Zuneigung fasst und sie noch näher kennenlernen möchte. In Kapitel mit zum Schmökern einladenden Überschriften erklärt sie jeweils ein Unterthema, der Text ist sehr gut strukturiert und daher auch für Laien gut geeignet.
Zu Recht beklagt sie im Vorwort, dass wir zwar gern Fisch essen, den Fisch aber selten als ganzen gesehen haben: Welcher Fischesser weiß denn schon, dass ein Kabeljau zwei Meter lang wird, wie Bronze schimmert und am Kinn eine weiße Bartel wie einen Ziegenbart trägt? Spätestens als sie den Petersfisch erwähnt und ihn mit Irokesenstacheln, kupferfarben-weiß-marmorierter Haut und den beiden großen, golden umrandeten Flecken beschreibt, hat sie mein Herz gewonnen. Dieses herrliche Wassergeschöpf ist einer meiner Lieblingsfische.
Sie schafft es sogar, die oft als trocken empfundene Systematik, also die akademisch strukturierte Einteilung des Stammbaums einer Tiergruppe aufgrund von Abstammung und Verwandtschaft, u veranschaulichen, indem sie ihre Leserinnen mit auf eine Klettertour durch den Fisch-Stammbaum nimmt. Den sie dann Ast für Ast erklimmt. Trotz ihrer sehr anschaulichen Vermittlung scheut sie nicht vor Fachbegriffen zurück, so schreibt sie im Fisch-Stammbaum über polyphyletische und paraphyletische Gruppen, die sie aber ganz schnell und gut erklärt. Der Stammbaum der Fische ist nämlich etwas kompliziert, da Fische gar keine systematische Einheit sind. Oder wie Helen Scales schreibt: Beim Begriff „Fisch“ murren kritische Biologen. Will man nur den einen Ast am Stammbaum haben, an dem die Fische im engeren Sinne sind, muss man alle anderen abtrennen, nur so kann man die Flossenträger mit Kiemen und Schuppen von den landlebenden Wirbeltieren abtrennen. Und dann hat man immer noch verschiedene Äste, auf denen sich die Fische tummeln, weil Knochenfische, Knorpelfische, Rundmäuler und noch andere Gestalten eben paraphyletisch sind.
Ihr Kapitel über die historische Fischforschung ist mit herrlichen Fisch-Kuriositäten angereichert. Sie führt uns dabei durch einen Stapel historisch bedeutender Fisch-Bücher und illustriert an deren Abbildungen und Geschichten vor dem Hintergrund ihrer Zeit die Entdeckung die Geschichte der Fischforschung.
Ihre Naturbeobachtungen entfalten einen unglaublichen Sog, man sieht praktisch im Sessel sitzend schmökernd die bunte Fisch-Gesellschaft im Meer, am Sandboden buddelnd oder lauernd, mit der Farborgie ihres Koralleneigenheims verschmelzend oder im silbrigen Schwarm im offenen Wasser vor dem inneren Auge vorbeiziehen.
Auch für mich waren noch viele neue Details dabei, wie etwa die UV-Reflexion:
Gesichtsmuster im UV-Licht
Das manche Meerestiere im UV-Licht aufleuchten hatte schon 1927 der britischen Naturkundler Charles Philipps in einem Kurzbericht Brief an die Zeitschrift Nature beschrieben. Er hatte nämlich an der englischen Südküste an einem Felsen leuchtende Seeanemonen gesehen. Einige der Tiere nahm er mit nach London und beleuchtete sie mit UV-Licht, ihre Tentakel seien daraufhin intensiv grün aufgeleuchtet. Darum empfahl er Meeresbiologen, bei ihren Forschungen häufiger auch UV-Lampen einzusetzen. Allerdings hat ihn fast jeder ignoriert. Erst in den späten 1950-er Jahren nahm Richard Woodbridge eine selbstgebaute UV-Lampe am Strand von Maine mit ins Wasser: Unter Wasser flackerten viele Wirbellose auf, auch er schrieb einen Bericht an Nature. 1963 griff der Science Fiction-Autor und begeisterter Taucher Arthur C. Clarke Woods Idee der UV-Lampe auf und entdeckte im ungewohnten Licht eine neue Welt. In seinem 1963 erschienenen Roman „Die Delfininsel“ lässt er seine Helden am australischen Great Barrier Reef mit einer UV-Lampe tauchen und das beschreibt, wie auf einmal aus Dunkelheit blau, golden und grün fluoreszierende Lichter auftauchen. Heute wissen wir, dass viele Tiere aus so unterschiedlichen Gruppen wie etwa Spinnen und Vögel wie Wellensittiche UV-Licht reflektieren. Da sie kein eigenes Licht erzeugen, sind sie nicht biolumineszierend, sondern fluoreszierend.
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