In ihrem Buch „Planet Ozean“ schreibt die Meeresbiologin und NGO-Gründerin Mariasole Bianco begeistert über das Meer. 2013 hatte sie ihre Organisation Worldrise gegründet, die sich für den Schutz der Meere und des Klimas einsetzt und vor allem Jugendliche für den Klimaschutz sensibilisieren möchte.

Dass sie von den Ozeanen begeistert ist, spricht aus jeder Seite des Buches, ihre Begeisterung ist ansteckend. Äußerst lebendig schreibt sie über ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse und vermittelt ihr Wissen meist allgemein verständlich. Sie handelt alle wichtigen Punkte ab: die wichtigen großen Ökosysteme der Meere zwischen Nord- und Südpolarmeer, zwischen der Oberfläche und den tiefsten Tiefen. Da sie auch selbst taucht, kann sie vieles aus eigener Anschauung beschreiben. Alle wichtigen Ökosysteme, wichtige Regionen und Nahrungsnetze der Meere, ikonische Arten der Meeresgeschöpfe und viele andere Details spricht sie an. Klimakrise, Überfischung, mangelnder Meeresschutz, alle großen Themen kommen vor.

Den Abschluss bildet ein Plädoyer mit fünf Lösungsansätzen zur Rettung der Ozeane für alle Menschen. Schließlich kann jeder persönlich dazu etwas beitragen. Ihr Schlusskapitel heißt “Hoffnung für unsere Meere” und gibt die Hoffnung, dass der derzeitige Raubbau der Ozeane doch noch rechtzeitig beendet oder eingeschränkt wird. Nachdrücklich versucht sie Menschen zu aktivieren und zum Handeln zu motivieren.

Eigentlich hat sie alles angesprochen und vieles erklärt. Dennoch habe ich keinen rechten Zugang zu diesem Buch gefunden. Das liegt zum einen an der reichlich überschwänglichen Sprache, die mir zum Teil auch etwas zu übergriffig ist. Außerdem ist die Sprache sehr inkonsequent umgesetzt. Das erste Kapitel ist eine Einladung zum gemeinsamen Abtauchen in die Unterwasserwelt, sie spricht einladend von „wir“ und „uns“. Diese Interaktivität und persönliche Adressiertheit erscheint mir gekünstelt und aufgesetzt, es hat mich beim Lesen eher genervt als mitgenommen. Sie lockt nicht etwa mit den faszinierenden schillernden Facetten der Ozeane, sondern kommuniziert eher etwas herablassend, von oben herab. Das lädt mich nicht ein.

Dass mir die Sprache so gar nicht zusagt, mag wieder, wie schon bei „Grenzenlos“ daran liegen, dass eine Übersetzung vom Italienischen ins Deutsche eine sehr schwierige Angelegenheit sein dürfte. Vielleicht funktioniert es einfach nicht gut. Dies ist keinesfalls ein Vorwurf an die Übersetzerin, sondern liegt hier wirklich an den Eigenheiten der beiden Sprachen. Ich bin sehr sicher, dass fachlich alles korrekt übersetzt worden ist, mir sind keine Fehler aufgefallen, die Übersetzerin hat offenbar hervorragend gearbeitet.

Das ganze Buch ist sprachlich zu unstrukturiert und nicht sehr gelungen. Es gibt ganze Sätze, die völlig inhaltsleerer Worthülsen und damit überflüssig  sind. Außerdem springen Sachverhalte in Sätzen und Absätzen umher, sie sind nicht konsequent in der richtigen Reihenfolge strukturiert. Das stört mich beim Lesefluss sehr. Mit meinem fachlichen Hintergrund weiß ich natürlich, was gemeint ist. Aber wie mag es Leuten gehen, die sich in diesen Inhalten nicht auskennen?

Obwohl sie Zusammenhänge meist ganz gut erklärt, sind Fachbegriffe wie „Primärproduktion“, „Cyanobakterien“ oder „epipelagisch“ nicht erläutert. Weder im Text noch in einer Fußnote oder einem Glossar. Solches Spezialwissen kann keinesfalls vorausgesetzt werden, schon gar nicht bei jüngerem Publikum. Sicherlich kann man über einzelne unbekannte Worte hinweglesen, aber in diesem Fall bleiben dann eben wichtige Sachverhalte unverstanden.
Außerdem bin ich ständig über sehr ungeschickte Formulierungen gestolpert:
Ein Beispiel dafür: „Es fällt den Wissenschaftlern schwer, die unterseeischen Vulkane aufzuspüren.“ (S. 29). Das hört sich für mich an, als ob die Wissenschaftler zu blöd dafür seien. Eine Formulierung wie „Die unterseeischen Vulkane aufzuspüren, ist eine große technische Herausforderung“ würde hingegen deutlich machen, dass nicht etwa Wissenschaftler zu doof dazu sind, sondern dass es sich um eine schwierige Aufgabe handelt.
Das ist sicherlich Erbsenzählerei. Von einer promovierten Wissenschaftlerin erwarte ich aber in den Formulierungen eine gewisse Präzision oder zumindest den Einsatz einer guten Lektorin. So wirkt das Buch etwas achtlos heruntergeschrieben.

Außerdem habe ich Probleme, den inneren Aufbau und die Struktur der Inhalte nachzuvollziehen. Die Informationen sind ein Sammelsurium von Themen wie Sinnesphysiologie, Geographie, Ökosystemen, einzelnen Tiergruppen und Arten sowie den anthropogen verursachten Problemen und Schutzbemühungen. In den einzelnen Kapiteln musste ich mich intensiv damit beschäftigen, wohin die inhaltliche Reise nun geht. Und das halte ich ganz klar für ein Manko der Autorin. Schließlich ist es Ihr Job, die Inhalte möglichst gut und nachvollziehbar zu strukturieren, damit die Lesenden möglichst viel der Inhalte aufnehmen können.

Dann wechseln sich kurz angerissene, persönliche Geschichten und andere Meeresstories ab mit wissenschaftlichen Fakten. Die Perspektiven springen abrupt hin und her, oft unterlegt mit überflüssigen banalisierenden Anmerkungen. Dazu springt sie unwillkürlich zwischen übergeordneten Fakten und Details. Solche inhaltlichen und sprachlichen Sprünge, Ungereimtheiten und Mängel stören zumindest meinen Lesefluß.
Gerade im Vergleich mit einer Autorin wie etwa der genialen Helen Scales, die ihre persönlichen Erlebnisse eindrucksvoll schildert und sie sehr gekonnt mit wissenschaftlichen Ergebnissen verwebt, kann Mariasole Bianco nicht im Mindesten mithalten.

Ein weiteres Manko sind für mich die fehlenden Quellenangaben. Ein Sachbuch sollte seine zitierten Fakten belegen, und die Möglichkeit zum Nach- und Weiterlesen bieten.

Ich denke, dass ich nicht die richtige Zielgruppe für diese junge, engagierte Meeresbiologin bin. Eigentlich hat sie andere Zielgruppen, die sie ansprechen und aktivieren möchte. Möglicherweise fühlen sich jüngere Menschen durch diese Sprache eher angesprochen.
Es würde mich wirklich interessieren, ob jüngere Menschen die sprachlichen Brüche und inhaltlichen Sprünge auch wahrgenommen haben, oder ob sie von der Begeisterung der Autorin einfach darüber hinweg getragen werden.
Kommentare sind hier gerade deswegen sehr erwünscht!

 

Kommentare (5)

  1. #1 Spritkopf
    15. September 2021

    Es würde mich wirklich interessieren, ob jüngere Menschen die sprachlichen Brüche und inhaltlichen Sprünge auch wahrgenommen haben, oder ob sie von der Begeisterung der Autorin einfach darüber hinweg getragen werden.
    Kommentare sind hier gerade deswegen sehr erwünscht!

    Isch sach’ mal: Schwiiierig. Wer, der deine Rezension gelesen hat, wird sich jetzt noch auf Verdacht das Buch kaufen?

  2. #2 Bettina Wurche
    15. September 2021

    @Spritkopf. Ja, ich habe wirklich überlegt, ob ich das überhaupt schreiben sollte. Aber: An anderer Stelle ist das Buch gehypet worden und ich bin nicht das Maß aller Dinge. Tatsächlich habe ich kürzlich ein Buch gekauft, WEIL es verrissen worden ist.
    Vielleicht möchte mir ja jemand vor den Latz knallen, dass ich eine alte weiße Frau bin und nicht so viel herumnörgeln sollte?

  3. #3 JW
    15. September 2021

    ‘Alte weiße Frau? OK Ich sage es … 😉
    Aber im Ernst. Vielleicht ist es die Naturwissenschaftlerbrille, die einen nach mehr Nüchternheit verlangen läßt. Begeisterung und Freude sind gut aber ein Drittel mehr zu lesen, da so viele Wörthersee drin sind, tut doch weh.
    Für den Kindertest habe ich zwar die passende Zielgruppe zu Hause, aber deren Bücherstapel sind noch hoch genug.

  4. #4 Spritkopf
    15. September 2021

    herumnörgeln

    Eine Buchkritik kann man vermutlich in den meisten Fällen als ein “Herumnörgeln” bezeichnen, wenn man denn will.

    Aber ich bin sicher, dass Marcel Reich-Ranicki sich noch wesentlich unfreundlichere Abqualifizierungen seiner Kritiken hat anhören müssen. Jedoch wertet sie das nicht ab, sondern heißt nur, dass entweder der Buchautor oder ein mit der Kritik unzufriedener Leser an ihr herumnörgeln. 😉

  5. #5 tomW
    15. September 2021

    Hallo Bettina,

    danke für die Rezension des Buchs. Schade, dass es doch nicht so gut geworden, wie ich es gehofft hatte. Dein Tip für “The brilliant Abyss” dagegen war fantastisch, ich habe das Buch verschlungen und mich wirklich gefreut, mein Wissen über die Tiefsee erweitern zu können.
    Vielleicht hast Du ja bald mehr Tips für solch heißen Lesestoff.

    LG!