Nebra Scheibe.jpg

Himmelsscheibe von Nebra (Wikipedia: Dbachmann)

Langsam steige ich die flachen Stufen hinab, mein Blick ist gefesselt von der golden blitzenden Himmelsscheibe von Nebra. Immer näher trete ich an das Artefakt heran, die goldene Sonnenscheibe und die Mondsichel schimmern auf dem dunkel-türkisen Untergrund magisch.
Dann stehe ich davor.
Wieder einmal.
Und kann wieder einmal meinen Blick kaum lösen.
Schließlich breche ich den Goldbann und trete in die Mitte des Kreises aus fünf schwarzen Monolithen. Ich stehe im Zentrum des Kreises und blicke mich langsam um. Jeder der Monolithen enthält einen Schatz aus der längst vergangenen Bronzezeit Europas: Drei kleine Schiffchen aus Goldfolie. Ein strahlendes Cape aus dünnem Goldblech, mit umlaufenden Ziselierungen. Ein kegelförmiger goldener Hut, ebenfalls fein ziseliert und magisch anmutend. Ein schwarzes Stein-Schiffchen mit Goldapplikationen.

In der Mitte dieser goldenen Objekte habe ich das Gefühl, in ein anderes Zeitalter zu blicken.
Gefangen im Glanz des Goldes, der Kunstfertigkeit und der Erhabenheit dieser einzigartigen Artefakte.

Die aktuelle Sonderausstellung „Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte“ im Museum für Vor und Frühgeschichte in Halle ist für mich wieder eine archäologische Schau der Superlative. Wie bereits die letzte. „Die Himmelsscheibe ist einer der bedeutendsten archäologischen Funde des vergangenen Jahrhunderts. Sie zeigt die weltweit älteste konkrete Darstellung astronomischer Phänomene, die wir kennen.“ steht auf der Seite des Landesmuseums für Vorgeschichte.
Seit ihrer Entdeckung vor etwa 20 Jahren ist die Himmelsscheibe zum Zentrum einer bislang unbekannten Kultur mitten in Deutschland, mitten in Europa, geworden. Halle lag vor 3500 Jahren im Zentrum der bronzezeitlichen Welt. Die fruchtbaren Erde zwischen Harz, Elbe und Saale ernährte viele Menschen und ermöglichte ihnen ein offenbar gutes Leben: Die Aunjetitz-Kultur.
Durch die fruchtbare Landschaft liefen die wichtigen Handels- und Fernverkehrsrouten zwischen Norden und Süden und Osten und Westen: Cornwall und Stonehenge im Westen, die antiken Kulturen der Ägäis, die Hochkulturen an Euphrat und Tigris und die östlichen Steppen.
Zwei große Einwanderungswellen der Glockenbecher- und etwas später der Schnurkeramik-Kulturen wanderten in dieses Gebiet ein. Die Migranten aus dem Osten brachten ihre Vorstellungen des Himmels, ihre Handwerkskunst und noch viel mehr mit. Benannt sind beide Kulturen nach ihrer typischen Keramik: den bauchigen Glockenbechern bzw. der mit Schnurabdrücken verzierten Gefäßen. Erkennbar sind sie heute in den Genomen ihrer überlieferten Toten und den Begräbnisriten, den Grabhügeln und Gräberfeldern mit ihren Beigaben.

Die Himmelsscheibe von Nebra – ein Chiffre

„Weil sie von größter Einfachheit und größer Komplexität ist, spricht sie alle an.“ beschreibt Prof. Harald Meller das Artefakt in „Griff nach den Sternen. Nebra, Stonehenge, Babylon – Reise ins Universum der Himmelsscheibe“. Sonne, Mond und Sterne sind auf den ersten Blick und kinderleicht erkennbar. Astronomisch Vorgebildete erkennen dann das Siebengestirn der Plejaden und können immer weiter den kalendarischen Code des Artefakts verlieren: Die Vereinbarung des Sonnen- und Mondjahres mit einer Schaltregel.

Schon Harald Mellers und Kai Michels erstes Buch „Der geschmiedete Himmel“ von 2004 und die erste Ausstellung in Halle hatten mich in den Bann der Bronzezeit gezogen. Dort ging es bereits um die Entschlüsselung der Himmelsscheibe und bahnbrechende Entdeckungen dieser neuen Kultur mit ihren sakralen Ringheiligtümern und Kreisgrabenanlagen mitten in Deutschland. Seitdem sind viele Jahre vergangen, mit dem neuen Buch „Griff nach den Sternen“ legen Meller und Michel ein Update vor.
Mittlerweile sind weitere in den Archiven schlummernde archäologische Artefakte in diesen neuen kulturellen Kontext miteingefügt worden, die Welt vor 3500 Jahren wird immer detaillierter. Längst ist klar: Nebra lag damals im Zentrum der Zivilisation, im kulturellen, wissenschaftlcihen und materiellen Austausch zwischen Stonehenge und Babylon, Schweden und Mykene. Hier kreuzten sich Handelswege von Ost nach West und Nord nach Süd, Luxus- und Alltagsgüter, Ideen und Weltbilder, Kulturen und Religionen aus allen Himmelsrichtungen hinterließen ihre Spuren.

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Kommentare (6)

  1. #1 Folke Kelm
    Porto, mehr als 20 grad wärmer als zu Hause
    23. Oktober 2021

    Guten Morgen. ein wirklich faszinierender Artikel der mich zu einigem Nachdenken anregt. Zuerst ist da einmal die gesellschaftliche Hierarchie mit den Bauern an der Basis. Warum ist das eigentlich so bescheuert? wir machen das Ganze doch heute noch genauso, auf der einen Seite mit recht, auf der anderen Seite regt das ständig zu Fehlinterpretationen an. Ich komme gerade von einer Konferenz wo es unter anderem auch um die 17 UN Ziele für Nachhaltigkeit ging. Auch hier ordnet man die in Pyramidenform an, wo Ziele wie sauberes Grundwasser und gesunde Böden ganz unten stehen, und die Ökonomischen Ziele ganz oben. Ich muss jedes mal den Politikern und Ökonomen erklären dass die Ziele da ganz oben mitnichten die wichtigsten sind, sondern die ganz unten, weil ohne dass wir da unten was tun bekommen wir oben gar nichts.
    Dafür ernte ich oft leider wenig Verständnis, weil das irgendwie ganz schön an deren Ego kratzt.
    Die andere Sache über die ich nachdenke ist der unterschied zwischen Fakten und Spekulationen den Du ganz unten im Artikel ansprichst.
    Ich bin in einer Zeit auf die Uni gegangen in der die Geologie noch ganz traditionell gelehrt wurde, unbefleckt von den richtig harten Wissenschaften wie Chemie, Physik oder gar Mathe. Naja, ganz so schlimm wars nicht, aber der traditionelle Geologe guckte auf der Oberfläche und extrapolierte sich 10-20 Km in die Tiefe. Das hat sich in den letzten 30 Jahren mit der wirklichen Integration der Geophysik gewaltig geändert.
    Eigentlich gilt dasselbe für die Archäologie. Ich hab einen guten Schulfreund der Archäologe ist, und von ihm hab ich da einige Impressionen mitbekommen. Er hat ein bisschen was dagegen zuviel zu spekulieren und zu viel den Riten und der Paläoastronomie zuzuschreiben. Wir wissen halt viel zu wenig über diese Vergangenheit und im Gegensatz zur Geologie sind die Dinge die wir finden und interpretieren können viel zu fragil um ein wirkliches Bild zu geben, schlicht weil wir viel zu wenig finden um gut rekobnstruieren zu können. Es erstaunt, dass man mit dem wenigen was wir haben, trotzdem oft noch ein ganz passables Bild hinbekommt.
    Es gab, und gibt immer noch eine Tendenz in der Archäologie, das Unverstandene ganz automatisch der Astronomie und den Riten zuzuschreiben.
    Ein schönes Beispiel ist seiner Ansicht nach Stonehenge.
    Darüber lacht er sich jedes mal scheckig. Er hat mir mal die Geschichte von Stonehenge erklärt welches in der Tat ein Produkt zweier missglückter astronomiebasierter Rekonstruktionsversuche ist.
    Stonehenge ist Seiner Ansicht nach heute durch Grabungen, (nicht Ausgrabungen) und Bagger so zerstört, dass wir nie das wirkliche Aussehen rekonstruieren können.
    Wir schreiben den Funden zuviel Bedeutung zu. Der Kontext der Funde ist das wichtige, nicht das Artefakt selber. Das gilt in der Archäologie, wie auch in der Paläontologie in meinem Fall, oder Deinem.
    Stonehenge ist ein Beispiel dafür, dass der Kontext nicht beachtet wurde, sonder die Überzeugung, das confirmation bias über die Artefakte selber die Arbeit geleitet hat. Man hat im 19 Jahrhundert, und dann noch einmal in den 60ern des 20ten Jahrhunderts den angenommenen Kontext schlicht konstruiert, ohne den wirklichen zu suchen.

  2. #2 Bettina Wurche
    23. Oktober 2021

    @Folke Kelm: Porto? Das ist hart… Bei diesen ganzen Astronomie-Interpretationen muss man berücksichtigen, dass bis vorein paar Hundert Jahren Astronomie und Astrologie nicht getrennt wurden. Ja, in Stonehenge dürfte wirklich schon lange kein Stein mehr in Original-Siuation sein. Die Himmelsscheibe und die Goseck und Pömmelte-Kreisstrukturen sind tatsächlich von Archäoastronomen wie Herrn Schlosser und anderen detailliert untersucht worden, sie bilden wirklich Mond- und Sonnenkalender vor 3500 ab.
    Glücklicherweise sind diese Projekte wirklich interdisziplinär – astronomische, metallurgisch, etc – untersucht worden. Die Rekonstruktion der Hierarchie und Gesellschaft ist für mich plausibel rekostruiert worden, aber eben mit großem Interpretationsspielraum. Ja, ich kann mir vorstellen, wie kontrovers da die Diskussion ist, das dürfte hohen Unterhaltungswert haben : )

  3. #3 Daniel Fischer
    Bochum
    23. Oktober 2021

    “Es ist für die Lesenden nicht immer ganz einfach zu erkennen, was Fakten und was wissenschaftlich fundierte Spekulationen sind” – das gilt insbesondere auch für die Hypothese, dass in der Anzahl der chaotisch über die Scheibe verteilten Sterne und der Dicke der Mondsichel eine Kalenderregel versteckt sei. Als vor 10 Jahren mit einer enormen Monografie in zwei Bänden die umfassendste wissenschaftliche Durchdringung des Themas bis heute erschien, fiel auf, dass diese komplexeste Deutung nur noch von Meller selbst mit Nachdruck vertreten wurde: Insbesondere jener Astronomiegeschichtler, der sie ein paar Jahre vorher aufgestellt hatte, erwähnte sie nur noch ein Möglichkeit … in einer Fußnote. Und andere vom Fach sahen noch weniger tiefe Aussagen in der enorm reduzierten Bildsprache der ersten Scheibenphase enthalten.

  4. #4 Bettina Wurche
    23. Oktober 2021

    @DanFischer: ich hatte dazu einen sehr langen Vortrag von Herrn Professor Schlosser gehört. Ist der von dieser Deutung mittlerweile abgerückt? Dann habe ich das nicht mitbekommen.

  5. #5 Sascha
    25. Oktober 2021

    Wer nicht selbst nach Halle kommen kann, sollte sich wenigstens die YouTube-Videos des Museums anschauen: https://www.youtube.com/c/Landesmuseumf%C3%BCrVorgeschichteHalle

    Generell das Museumskonzept, das schon bei den letzten Sonderausstellungen umgesetzt wurde, ist wirklich sehr beeindruckend.

  6. #6 seb
    28. Oktober 2021

    Ein sehr ausdruckstarker und bildhafter Beginn des Textes.
    Da merke ich, dass ich mal wieder einen Roman lesen möchte.
    Aber einen guten 🙂