In der letzten Zeit schreibe ich häufiger über Seegräser und Großalgen im Meer und ihre „Ökosystemdienstleistungen“. Dabei bin ich auf die Begriffe „Sequestrierung“ und „Blue Carbon“ gestoßen und möchte sie in diesem Beitrag etwas bekannter machen. Sie werden nämlich zunehmend wichtig für uns.
Seegräser und Großalgen
Seegräser sind echte Blütenpflanzen, die heute in unseren Meeren leben. Dass sie auch in der Ostsee regelrechte Unterwasser-Wiesen bilden, ist nicht vielen Menschen bekannt. Welche wichtige Rolle sie im Kohlenstoff- und Sauerstoff-Kreislauf übernehmen, welche anderen wichtigen Funktionen sie noch haben und dass sie darum unbedingt geschützt werden müssen, ist noch weniger Menschen bewusst.
Unser Ostsee-Seegras ist Zostera, im Mittelmeer ist Posidonia das wichtigste Seegras, daneben gibt es noch andere Arten. In der Ostsee schlängeln sich in ihnen die mit den Seepferdchen verwandten Seenadeln und Schlangennadeln. Im Mittelmeer habe ich in Seegraswiesen ein buntes Ökosystem bei meinen ersten Tauchversuchen beobachtet, vor Brest in der Bretagne tummelten sich sogar Große Tümmler über diesem für sie reich gedeckten Tisch.
Großalgen-Bestände sind Unterwasserwälder und ebenfalls Hot Spots der Biodiversität, Lebensraum und Kinderstube für viele andere Arten und ein wichtiger Küstenschutz. In Deutschland gibt es große Algendschungel nur im Helgoländer Felswatt. Ansonsten wachsen sie auf dem gesamten europäischen Schelfrand von Portugal bis Norwegen.
Seegräser und Algen haben vieles gemeinsam – beide sequestrieren wirkungsvoll Kohlenstoff und sind damit Blue Carbon-Pflanzen. Im Kampf gegen den Klimawandel sollten wir ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken und sie besser schützen. Oder sie sogar aufforsten und neue Wiesen und Wälder vor den Küsten anlegen.
Kohlenstoff-Sequestrierung
Die Ozeane sind eine der größten Kohlenstoffsenken der Erde, sie absorbieren jährlich etwa 25 Prozent des ausgestoßenen Kohlenstoffs. Besonders effektiv sind dabei die großen Pflanzenbestände der Seegraswiesen, Mangrovenwälder und Salzmarschen sowie, nach neuen Ergebnissen, auch die Großalgenbestände. Rot- und Braunalgen werden heute nicht mehr den Pflanzen zugerechnet, sondern sind „Photosynthese betreibende Organismen“. Der Grund dafür ist, dass sie andere Photosynthese-Pigmente haben und zu einer anderen evolutionären Linie gehören.
Landpflanzen nehmen CO2 aus der Atmosphäre auf, nach ihrem Absterben wird der Kohlenstoff durch die bakterielle Zersetzung wieder frei und entweicht in die Atmosphäre.
Meeresgewächse hingegen speichern viel Kohlenstoff in ihren Wurzelballen, der auch nach ihrem Absterben zum größten Teil im Sediment verbleibt. Im sauerstoffarmen Meeresboden ist die Bakterienaktivität so gering, dass Kohlenstoff dort über Jahrhunderte oder Jahrtausende sicher eingeschlossen bleiben kann – er wird sequestriert. Sequestriert bedeutet, dass er fest gebunden und sicher eingelagert wird. Ein Forscherteam um die dänische Blue Carbon-Expertin Dørte Krause-Jensen hat nachgewiesen: Je weniger Sauerstoff im Sediment ist, desto mehr CO2 speichert es.
Blue Carbon – Blauer Kohlenstoff
„Blue Carbon“ heißt die Klimaschutzleistung von Seegraswiesen, Mangrovenwäldern und Salzmarschwiesen. Seegräser wachsen auf weichem Sediment wie Sand und Schlamm, darum sequestrieren sie ohne Zweifel viel Kohlenstoff und gehören zu den Blue Carbon-Pflanzen. Blue Carbon bedeutet dabei, dass es um Meeres-Organismen geht.
Großalgenbestände hingegen haben keine Wurzelballen oder Rhizome, sondern bilden Haftscheiben mit Krallen aus, die feste Böden als Untergrund brauchen. Gerade Brauntange oder Kelpe können viele Meter lang werden, die Strömungen üben so starke Zugkräfte auf die „Blätter“ aus, dass sie aus weichen Böden einfach herausgerissen würden. Darum wachsen Großalgen immer sicher verankert auf festem Untergrund wie Steinen, Felsgrund oder auch Mauern. Deshalb Darum war lange umstritten, ob sie auch Kohlenstoff einfangen können.
Die Algen-Experten Dørte Krause-Jansen und Carlos M. Duarte hatten 2016 dann nachgewiesen, dass Großalgen trotzdem wirksam Kohlenstoff sequestrieren: Wind- und Meeresströmungen befördern abgerissene und abgestorbene Algenteile bis in die Tiefsee. Mit ihren luftgefüllten Blasen driften sie zunächst über weite Entfernungen hinweg über den Rand des Kontinentalschelfs und versinken nach dem Platzen der Gasblasen bis in die Tiefsee. Durch diesen Transport-Mechanismus werden insgesamt 90% ihrer Reste in den schlammigen Tiefseeböden eingelagert. Da alle organischen Partikel in den Ozeanen, die nicht vorher gefressen werden, auf die Böden der Tiefsee sinken, sind diese fast überall mit einer dicken Sedimentschicht bedeckt. Dort können die Algenteile genauso wie andere organische Partikel wie Tierleichen und Kotbrocken sequestriert werden.
Die Funde frischer Tang-Reste in den Mägen von Tiefsee-Asseln in 6.475 Metern Tiefe und der genetische Nachweis in Umwelt-DNA-Proben aus der Tiefsee haben diese Forschungsergebnisse bestätigt: Die ausgedehnten Kelpwälder sind ebenso effektive CO2-Fänger wie die anderen Blue Carbon-Bestände der Ozeane und der tropischen Regenwälder an Land. Damit sind sie für den Klimaschutz relevant – Dørte Krause-Jensen nennt die lange übersehenen Kohlenstoff-Fänger in Anspielung auf eine bekannte Metapher „Elefanten im „Blue Carbon“-Room“.
Alle vier Ökosysteme wachsen fast ausnahmslos in flachen Küstengewässern, da sie nur dort genügend Sonnenlicht für die Photosynthese bekommen. Eine Ausnahme ist der frei im Meer schwebende Sargassum-Seetang, der in der Sargassosee ein einzigartiges Ökosystem bildet. Sargassum bildet keine Wurzeln aus, sondern treibt im Sargasso-Meer inmitten von Strömungen, die das Tanggeflecht an seinem Platz halten.
Ozeane sind wichtige Kohlenstoffsenken
Die großen Pflanzenbestände der Seegraswiesen, Mangrovenwälder und Salzmarschen sowie Algenwälder in den Weltmeeren sind besonders effektivgroßen Kohlenstoffsenken. Alle vier Ökosysteme wachsen in flachen Küstengewässern und sind daher durch menschliche Aktivitäten stark bedroht, ihre Bestände werden leider stetig kleiner. Sie leiden unter mechanischen Zerstörungen und Abwässern – das wilde Ankern von Yachten kann in Seegraswiesen gewaltige Verwüstungen anrichten und landwirtschaftliche Abwässer führen zu Wassertrübungen, so dass die lichtliebenden Gräser kaum noch genug Sonnenlicht erhalten und auch noch von einzelligen Grünalgen überwuchert werden können. Großalgen-Dschungel leiden auch unter Abwässern, außerdem werden sie oft durch Fischereiaktivitäten zerstört.
Die Erwärmung der Meere kommt noch dazu, allerdings weichen ihr die Pflanzen- und Großalgenbestände aus: Die Bestände “wandern” allmählich nach Norden bzw. nach Süden in kühlere Gewässer. Bei Meeren mit einer Nord-Südausrichtung wie dem Atlantik und Pazifik verlagern sich die Bestände entlang der Festlandsockel in Richtung der Pole, bei Großalgen ist diese Migration gut untersucht. In Meeren mit Ost-West-Ausdehung ist das nicht möglich, dann müssen sich die Pflanzen und Algen anpassen oder sie verschwinden.
Diese Lebensräume werden also durch die Meereserwärmung nicht vollständig verschwinden, sondern sich zumindest teilweise eher verlagern. Damit fallen allerdings ihre Ökosystem-Dienstleistungen von Biodiversitäts-Hot Spots bis zu Küstenschutz für manche Küsten zukünftig weg, mit aller Konsequenzen für die dort lebenden Menschen wie Nahrungsmangel udn Sturmschäden.
Der Weltklimarat bewertet Seegraswiesen, Mangrovenwälder und Salzmarschen sowie Algenwälder als wichtige Verbündete gegen die Klimakrise und mahnt ihren Schutz an. Seegraswiesen wachsen auf etwa 0,1 Prozent der Meeresböden weltweit, speichern aber 27 Millionen Tonnen CO2 – etwa 10 bis 18 Prozent des von den Meeren aufgenommenen Kohlendioxids. Auch Algendschungel nehmen viel CO2 auf. Beide sind also sehr effektive Klimaschützer und wir sollten sie darum sehr gut pflegen!
Zum Weiterlesen:
https://www.spektrum.de/news/sargassum-braunalgen-bedrohen-oekosysteme-und-schaffen-neue/1578560
https://www.spektrum.de/news/oekosystem-seegras-die-gruene-muellabfuhr-im-ozean/1840714
https://www.sueddeutsche.de/wissen/sargassosee-algenpest-menschengemacht-1.5317154
Ein umfassender Beitrag zu Großalgen von mir wird in der Januarausgabe von Bild der Wissenschaft erscheinen.
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