Curonian Lagoon.jpg

Satellitenbild der Kurischen Nehrung (Wikipedia: Landsat (NASA) – https://zulu.ssc.nasa.gov/mrsid/mrsid.pl) Der nördliche Teil gehört zu Litauen, der südliche zu Rußland.

Die Ostsee ist ein Binnenmeer, der Wasseraustausch mit dem Atlantik wird nach Osten hin  immer schlechter. Umgeben ist das etwa 8000 Jahre alte Schelfmeer von industrialisierten Ländern mit großen Städten und moderner Landwirtschaft. Eine Besonderheit der südlichen Ostseeküste sind die großen Lagunen. Aus Sand bestehende flache Landzungen, die Nehrungen, schließen größere Küstenbereiche ein und bilden so flache geschützte Lagunen mit wenig Wasseraustausch. Hier mischt sich das schwach salzige Ostseewasser mit Süßwasser aus Zuflüssen und Niederschlag, der Salzgehalt und Wasserstand schwanken im Laufe der Jahreszeiten. Die baltischen Lagunen in Deutschland, Polen und den baltischen Staaten heißen Bodden oder Haff.
Diese Lagunen sind ökologische Schatzkästchen, denn sie bieten vielen Watvögeln einen nahrungsreichen und geschützten Lebensraum zum Nisten und Rasten, ob ganzjährig ortsansässig oder auf dem Durchzug. Dass die Bodden jedes Jahr große Kranichschwärme anziehen, ist kein Zufall. Neben den trompetenden auffallenden Kranichen leben hier auch Reiher und viele andere Wasservögel.

Pflanzeninseln fangen Nährstoffe und CO2 ein

Amphibische Lebensräume und Flachwasser-Areale wie Binsenröhrichte und Seegraswiesen gehen ineinander über, es gibt eine Fülle von Lebensräumen mit Nahrung und Schutz für viele Mikroorganismen, Insekten und Plankton, Vögel und Fische. Die Lagunen sind Kinderstuben auch für kommerziell wichtige Arten wie Aale. Die im Wasser hängenden Wurzeln der Pflanzen werden unter anderem von vielen Mikroorganismen besiedelt, die  helfen, organisches Material und Nährstoffe sowie Kohlendioxid zu binden und z. b. im Sediment der Lagunen zu sequestrieren. Das ist gerade jetzt in der Klimakrise ein wichtiger Aspekt. Wie genau etwa Seegraswiesen Sediment und CO2 binden, hatte ich kürzlich für Spektrum berichtet.

Solche Bodden (Lagunen) sind oft Naturschutzgebiete und touristische Attraktionen, der zu hohe Nährstoffeintrag von Land macht ihnen aber zu schaffen. Zur modernen Landwirtschaft gehört der Einsatz von Düngemitteln, die oft zuletzt in der Ostsee landen, ob durch direkten Eintrag oder über Flüsse. So gelangen viele Stickstoffverbindungen in das Binnenmeer. Zusätzlich spülen die Bäche und Flüsse kommunale Abwässer mit hoher Phosphatlast in die Ostsee. Dieser hohe Nährstoffeintrag  belastet gerade die baltischen Küstengewässer stark, besonders hoch ist die Eutrophierung in den Lagunen, die nur einen geringen Austausch zum restlichen Ostseewasser haben. Die Tiere und Pflanzen der Lagunen leiden unter der Eutrophierung sehr, denn sie steigert das Wachstum kleiner Algen, die andere Pflanzen wie etwa Seegras überwuchern und zur Trübung des Gewässers führen. Dann bekommen andere Pflanzen zu wenig Sonnenlicht ab und für Tiere herrscht schlechte Sicht. Stirbt die explosionsartig entstandene grüne schleimige Biomasse ab, sinkt sie zu Boden und zehrt beim Abbau Sauerstoff. Auch das bekommt den kiemenatmenden Tieren nicht gut. Außerdem fördert die Überdüngung auch die „Todeszonen“ der Ostsee, Sauerstoffminimumzonen in tieferen Wasserschichten. Die Sauerstoffarmut wird durch die weitere Erwärmung im Zuge der Klimakrise auch in der Ostsee verschärft.

Pflanzenflöße als multifunktionale Öko-Inseln

In Litauen haben Wissenschaftler jetzt künstliche schwimmende Inseln aus natürlichen Materialien zur Bio-Sanierung der Lagunen erprobt, um die Stickstoff- und Phosphat-Belastung zu verringern.
Diese künstlichen Inseln sind so konstruiert, dass die Wurzeln der Pflanzen nach unten ins Wasser hängen, wo sie viele Nährstoffe aufnehmen. Für Pflanzen wie Reet, Binsen, Weiden und andere sind Phosphate und Stickstoff willkommene Nährstoffe, die schwimmenden Pflanzen-Communities gedeihen.

Die Mini-Biotope bieten eine ganze Reihe von Ökosystemleistungen: Sie regulieren Nährstoffe und Erosion, und verbessern damit signifikant die Wasserqualität. Mit ihren wertvollen Habitaten sorgen sie für eine erhebliche Steigerung der Biodiversität. Das Reet kann als Nutzpflanze geerntet werden, etwa in Norddeutschland werden damit immer noch Häuser gedeckt. Reet- und Binsenröhricht bieten anderen Pflanzen und Wildtieren Lebensräume und Nahrung. Außerdem steigern sie der Landschaftsästhetik, wie die Projekt-Broschüre (auch in deutscher Sprache zu bestellen) schwärmt.
Die Biodiversität innerhalb und um die Inseln waren doppelt so hoch wie die in den Nachbar Lebensräumen erklärt der Projektleiter Prof. Dr. Arturas Razinkovas-Baziukas der Klaipeda Universität gegenüber der Presse. Auf und um diese Mino-Biodiversitäts Hotspots mehr Fische und Vögel sowie Kleinstlebewesen und Mikroben. Außerdem ist die Klarheit des Wassers gestiegen, wovon auch wieder viele andere Lebewesen profitieren.
Auf den Inseln nisten gern Wasservögel, deren treibende Nester vor umherstreifenden Beutegreifern wie Katzen und Füchsen sowie SpaziergängerInnen und deren Hunden gut geschützt sind.
In den Pflanzen oberhalb der Wasseroberfläche leben Insekten, ihr im Wasser hängender Bereich bietet Rückzugsräume für Garnelen, Aale und eine Vielzahl anderer Tiere. Das Wurzelgeflecht bietet kleinen Garnelen und Fischlarven viel Nahrung und einen schützenden Unterschlupf gleichzeitig. Die schwimmenden Pflanzeninseln können als Biofilter flexibel eingesetzt werden und verbessern schnell die lokale Gewässer-Qualität.

Solche Inseln sind keine ganz neuen Ideen, sondern werden schon weltweit zur Verbesserung der Wasserqualität eingesetzt. Normalerweise wird die Basis der künstlichen Insel aus Kunststoff angefertigt. Kunststoffe werden natürlich durch UV-Strahlung Wind, Wellen und Eis abgerieben und verschleißen, so dass Mikroplastik in die Gewässer eingetragen wird. Kunststoffe sind nicht biologisch abbaubar, damit verursacht die Insel also ein neues ökologisches Problem. Darum wurde in diesem Fall als Insel-Basis Thermoholz (thermisch modifiziertes haltbares Holz) eingesetzt. Damit sind diese neuartigen Schwimminseln biologisch vollständig abbaubar.
Die Inseln sind mit vorkultivierten Pflanzenmatten bepflanzt worden und blühen schon im ersten Sommer. Die für die Erstbepflanzung ausgewählte Pflanzen-Community besteht aus heimischen mehrjährigen, feuchtigkeitsliebenden und salzwassertoleranten Gewächsen. Die Pflanzen können einfach nur zur Gewässersanierung eingesetzt oder auch geerntet und genutzt werden, für den Lebensmittel-, Medizin-, Kosmetik oder Baustoff-Bereich. Neben den  traditionell genutzten Schilfröhrichten und Binsen als Auftriebskörper wurden zusätzlich auch mit traditionellen Heilpflanzen experimentiert: Kalmus, Mädesüß, Brunnenkresse und Wasserminze. Als besonderer Eyecatcher ist die heimische Schwertlilie geeignet.

Die Pflanzen nehmen Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor aus dem Wasserkörper auf. Durch ihr Wurzelsystem geben sie dann Sauerstoff in das Gewässer ab. Die grünen Inseln wirken zusätzlich strömungsberuhigend und dienen damit dem Küstenschutz, sie fördern die Sedimentation und führen zu einer höheren Durchsichtigkeit des Wassers, die auch Menschen gefällt. Da sie auf dem Wasser treiben, sind diese Biodiversitäts-Hotspots geschützt vor zufälliger Zerstörung, etwa durch unachtsame Touristen und deren Hunden, die in vielen Naturschutzgebieten Probleme verursachen.

Dieses Euronews-Video gibt einen guten Überblick über das Projekt:

Das “Live Lagoons“-Projekt  wurde für drei Jahre (01. August 2017 – 31. Dezember 2020) mit 1,2 Millionen Euro gefördert, 1 Million Euro kam von der European cohesion policy.
Wer mehr über das Lagunen Projekt erfahren möchte: Hier geht es zur Broschüre, auch in Deutsch.
Das hier geschilderte Projekt ist in der litauischen Kurischen Nehrung bzw. dem Kurischen Haff (der Lagune) angesiedelt. Ein Teil des Projekts liegt direkt im urbanen Raum der Klaipeda-Lagune an der Mündung der Dange (litauisch Danė) in das Kurische Haff, gegenüber dem nördlichen Ende der Kurischen Nehrung.
In der deutschen südlichen Ostsee gibt es gleich drei solcher Lagunengebiete (Bodden) in an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst gehört heute zum Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Das ohnehin schon brackige Ostseewasser ist hinter der langen Sandbank noch weniger salzig, flach und sehr gut geschützt. Darum brüten und rasten hier viele Vogelarten. Allein der Aufenthalt der großen Kranich-Scharen zieht mittlerweile viele Landschafts- und NaturliebhaberInnen an.  Von solchen Projekten profitieren letztendlich auch Ostsee-Bewohner vor den Küsten wie Fische und Schweinswale.

Abbildungen der schwimmenden Inseln sind hier zu finden.

 

Kommentare (9)

  1. #1 JW
    12. Januar 2022

    Schöne Idee. Bleiben die Insel schwimmfähig, wenn sich das Holz zersetzt oder zerfällt dann alles? Es müsste sich ja eigentlich ein fester Pflanzenteppich mit hoffenlich nicht zu hoher Dichte übrigbleiben.

  2. #2 JW
    12. Januar 2022

    Hunde und Naturschutzgebiete (oder überhaupt andere Mitmenschen) sind auch so ein Thema. In den Rieselfeldern in Münster sind schon öfter Hundeschulen auf den abgesperrten Brutwiesen erwischt worden, die dort Kurse durchführen. Dass so eine Hundeschule dann nicht direkt geschlossen werden kann…

  3. #3 Bettina Wurche
    12. Januar 2022

    @JW: Nicht zu fassen! Ja, sowas macht mich auch extrem sauer. Wie bei so Vielem benehmen sich die meisten Leute und ihre Hunde tadellos und rücksichtsvoll, aber ein paar sind einfach Idioten. Dass Verbotsschilder einen Sinn haben könnten, entgeht ihnen völlig. Gerade in Naturschutzgebieten trete ich da auch immer recht nachdrücklich auf: Photosession einer großen Hochzeitsgesellchaft mit Kerzen im Wald bei akuter Waldbrandgefahr, Grillen im Naturschutzgebiet bei akuter Waldbrangefahr, im Wald frei laufende Hunde, die mich anspringen,… Ich spreche die Leute ruhig an und verspreche ihnen, mich bei Bedarf an Polizei oder Forstamt zu wenden. Das klappt dann ganz gut. Als Biologin und Geopark-Ranger fühle ich mich ja immer ein bißchen für die Landschaft mit verantwortlich.

  4. #4 Bettina Wurche
    12. Januar 2022

    @JW: Dazu habe ich nichts gefunden, ich gehe aber davon aus. Reet und Binsen dienen ja als Schwimmhilfe. Diese geflochtenen Matten dürften bald vom Wurzelgeflecht überwuchert und durchdrungen werden, das dürfte binnen weniger Jahre verfilzen. Das Holz soll Jahrzehnte halten, mit der Salzwasserimprägnierung könnte es noch dauerhafter sein. Auf jeden Fall würde letztendlich kein nicht abbaubarer Müll übrig bleiben.
    Ich fand die Idee richtig gut und kann es hoffentlich mal angucken.

  5. #5 JW
    12. Januar 2022

    …und als Biologe nehme ich ich gerade in Naturschutzgebieten zurück und renne nicht zu jeder spannenden Pflanze. Es gibt bei mir um die Ecke Gebiete in denen ich gerne herumstrolchen würde. Aber gerade als Biologe sollte man Vorbild sein. Ausserdem heizen da die Motocrossfahrer rücksichtslos und ungeahndet her.

  6. #6 LasurCyan
    13. Januar 2022

    Spannend! Erstmal dass ein Bodden eine Lagune ist, das ist so einleuchtend, war mir aber nicht klar^^

    Ist es nicht sogar zwingend, die Inseln abzuernten? Ich stelle mir vor, dass die von den Pflanzen aufgenommenen Nährstoffe beim Verrotten (also kompostieren) wieder im Wasser landen würden. Kann das sein?

  7. #7 JW
    13. Januar 2022

    Ja und nein. Abernten könnte beim auslagern helfen. Aber die schwimmenden Inseln bleiben ja als zusätzliche Nährstoffsenke vorhanden. Erst beim Zerfall wird es problematisch und bis dahin kann es sehr lange dauern. Oder man schleppt sie raus und kippt sie unliebsamen Nachbran vor die Tür oder komplettiert sie.

  8. #8 Bettina Wurche
    13. Januar 2022

    @LasurCyan: Nicht wahr? Bei Lagunen denkt man immer an tropische Ökosysteme und nicht an die Ostsee : ) Die Nährstoffe der Inseln würden, wenn sie nicht geerntet werden, nach und nach teilweise wieder im Wasser landen. Teilweise würden sie sicherlich von den Wellen an Land gespült werden, wie Seegras und Tang. Teilweise würden sie auch von Wasserpflanzen wie Seegräsern aufgenommen. Gerade in der Ostsee sind ausgedehnte Seegraswiesen, die gerade wieder aufgeforstet werden. Bei denen landen die Nährstoffe teils in den Rhizomen. Da die Rhizome im Sediment verborgen liegen, würde das dort gebunkerte CO2 und Nährstoffe im Sediment gebunden, teils für lange Zeit.
    https://www.spektrum.de/news/oekosystem-seegras-die-gruene-muellabfuhr-im-ozean/1840714
    Allerdings sind die Bodden eigentlich keine Wildnis mehr, darum ist die Ernte von Reet, … üblich und hier auch absolut sinnvoll, das ist ja ein immer noch verwendeter Baustoff etwa für Dächer. Zum Seegras hatte ich recherchiert, dass es als Bio-Baustoff gesucht ist und sogar eine Feuerschutzklasse hat.

    Aber eigentlich hatte @JW das ja schon erklärt : )

  9. #9 LasurCyan
    13. Januar 2022

    Da die Rhizome im Sediment verborgen liegen, würde das dort gebunkerte CO2 und Nährstoffe im Sediment gebunden, teils für lange Zeit.

    Das wäre meine Folgefrage gewesen^^. Da ja Schwertlilien (Iris) auch mächtige Rhizome bilden, erschien mir das intiutiv sinnvoll, wenn die lange Zeit stabil bleiben, also nicht verrotten. Topinambur würde auch hübsch aussehen, falls da nicht eine Salzwasserunverträglichkeit besteht.

    Jedenfalls ist das ein spannendes Projekt! Mich hat das sofort getriggert, weil wir vor Jahren einen völlig überdüngten Garten übernommen haben und den erstmal mit Starkzehrern bepflanzen mussten, ehe wir die Bodenqualität mit Humus verbessern konnten. Trivial ist sowas nicht, aber an Land relativ einfach. Mit Geduld^^