Die Ostsee ist ein Binnenmeer, der Wasseraustausch mit dem Atlantik wird nach Osten hin immer schlechter. Umgeben ist das etwa 8000 Jahre alte Schelfmeer von industrialisierten Ländern mit großen Städten und moderner Landwirtschaft. Eine Besonderheit der südlichen Ostseeküste sind die großen Lagunen. Aus Sand bestehende flache Landzungen, die Nehrungen, schließen größere Küstenbereiche ein und bilden so flache geschützte Lagunen mit wenig Wasseraustausch. Hier mischt sich das schwach salzige Ostseewasser mit Süßwasser aus Zuflüssen und Niederschlag, der Salzgehalt und Wasserstand schwanken im Laufe der Jahreszeiten. Die baltischen Lagunen in Deutschland, Polen und den baltischen Staaten heißen Bodden oder Haff.
Diese Lagunen sind ökologische Schatzkästchen, denn sie bieten vielen Watvögeln einen nahrungsreichen und geschützten Lebensraum zum Nisten und Rasten, ob ganzjährig ortsansässig oder auf dem Durchzug. Dass die Bodden jedes Jahr große Kranichschwärme anziehen, ist kein Zufall. Neben den trompetenden auffallenden Kranichen leben hier auch Reiher und viele andere Wasservögel.
Pflanzeninseln fangen Nährstoffe und CO2 ein
Amphibische Lebensräume und Flachwasser-Areale wie Binsenröhrichte und Seegraswiesen gehen ineinander über, es gibt eine Fülle von Lebensräumen mit Nahrung und Schutz für viele Mikroorganismen, Insekten und Plankton, Vögel und Fische. Die Lagunen sind Kinderstuben auch für kommerziell wichtige Arten wie Aale. Die im Wasser hängenden Wurzeln der Pflanzen werden unter anderem von vielen Mikroorganismen besiedelt, die helfen, organisches Material und Nährstoffe sowie Kohlendioxid zu binden und z. b. im Sediment der Lagunen zu sequestrieren. Das ist gerade jetzt in der Klimakrise ein wichtiger Aspekt. Wie genau etwa Seegraswiesen Sediment und CO2 binden, hatte ich kürzlich für Spektrum berichtet.
Solche Bodden (Lagunen) sind oft Naturschutzgebiete und touristische Attraktionen, der zu hohe Nährstoffeintrag von Land macht ihnen aber zu schaffen. Zur modernen Landwirtschaft gehört der Einsatz von Düngemitteln, die oft zuletzt in der Ostsee landen, ob durch direkten Eintrag oder über Flüsse. So gelangen viele Stickstoffverbindungen in das Binnenmeer. Zusätzlich spülen die Bäche und Flüsse kommunale Abwässer mit hoher Phosphatlast in die Ostsee. Dieser hohe Nährstoffeintrag belastet gerade die baltischen Küstengewässer stark, besonders hoch ist die Eutrophierung in den Lagunen, die nur einen geringen Austausch zum restlichen Ostseewasser haben. Die Tiere und Pflanzen der Lagunen leiden unter der Eutrophierung sehr, denn sie steigert das Wachstum kleiner Algen, die andere Pflanzen wie etwa Seegras überwuchern und zur Trübung des Gewässers führen. Dann bekommen andere Pflanzen zu wenig Sonnenlicht ab und für Tiere herrscht schlechte Sicht. Stirbt die explosionsartig entstandene grüne schleimige Biomasse ab, sinkt sie zu Boden und zehrt beim Abbau Sauerstoff. Auch das bekommt den kiemenatmenden Tieren nicht gut. Außerdem fördert die Überdüngung auch die „Todeszonen“ der Ostsee, Sauerstoffminimumzonen in tieferen Wasserschichten. Die Sauerstoffarmut wird durch die weitere Erwärmung im Zuge der Klimakrise auch in der Ostsee verschärft.
Pflanzenflöße als multifunktionale Öko-Inseln
In Litauen haben Wissenschaftler jetzt künstliche schwimmende Inseln aus natürlichen Materialien zur Bio-Sanierung der Lagunen erprobt, um die Stickstoff- und Phosphat-Belastung zu verringern.
Diese künstlichen Inseln sind so konstruiert, dass die Wurzeln der Pflanzen nach unten ins Wasser hängen, wo sie viele Nährstoffe aufnehmen. Für Pflanzen wie Reet, Binsen, Weiden und andere sind Phosphate und Stickstoff willkommene Nährstoffe, die schwimmenden Pflanzen-Communities gedeihen.
Die Mini-Biotope bieten eine ganze Reihe von Ökosystemleistungen: Sie regulieren Nährstoffe und Erosion, und verbessern damit signifikant die Wasserqualität. Mit ihren wertvollen Habitaten sorgen sie für eine erhebliche Steigerung der Biodiversität. Das Reet kann als Nutzpflanze geerntet werden, etwa in Norddeutschland werden damit immer noch Häuser gedeckt. Reet- und Binsenröhricht bieten anderen Pflanzen und Wildtieren Lebensräume und Nahrung. Außerdem steigern sie der Landschaftsästhetik, wie die Projekt-Broschüre (auch in deutscher Sprache zu bestellen) schwärmt.
Die Biodiversität innerhalb und um die Inseln waren doppelt so hoch wie die in den Nachbar Lebensräumen erklärt der Projektleiter Prof. Dr. Arturas Razinkovas-Baziukas der Klaipeda Universität gegenüber der Presse. Auf und um diese Mino-Biodiversitäts Hotspots mehr Fische und Vögel sowie Kleinstlebewesen und Mikroben. Außerdem ist die Klarheit des Wassers gestiegen, wovon auch wieder viele andere Lebewesen profitieren.
Auf den Inseln nisten gern Wasservögel, deren treibende Nester vor umherstreifenden Beutegreifern wie Katzen und Füchsen sowie SpaziergängerInnen und deren Hunden gut geschützt sind.
In den Pflanzen oberhalb der Wasseroberfläche leben Insekten, ihr im Wasser hängender Bereich bietet Rückzugsräume für Garnelen, Aale und eine Vielzahl anderer Tiere. Das Wurzelgeflecht bietet kleinen Garnelen und Fischlarven viel Nahrung und einen schützenden Unterschlupf gleichzeitig. Die schwimmenden Pflanzeninseln können als Biofilter flexibel eingesetzt werden und verbessern schnell die lokale Gewässer-Qualität.
Solche Inseln sind keine ganz neuen Ideen, sondern werden schon weltweit zur Verbesserung der Wasserqualität eingesetzt. Normalerweise wird die Basis der künstlichen Insel aus Kunststoff angefertigt. Kunststoffe werden natürlich durch UV-Strahlung Wind, Wellen und Eis abgerieben und verschleißen, so dass Mikroplastik in die Gewässer eingetragen wird. Kunststoffe sind nicht biologisch abbaubar, damit verursacht die Insel also ein neues ökologisches Problem. Darum wurde in diesem Fall als Insel-Basis Thermoholz (thermisch modifiziertes haltbares Holz) eingesetzt. Damit sind diese neuartigen Schwimminseln biologisch vollständig abbaubar.
Die Inseln sind mit vorkultivierten Pflanzenmatten bepflanzt worden und blühen schon im ersten Sommer. Die für die Erstbepflanzung ausgewählte Pflanzen-Community besteht aus heimischen mehrjährigen, feuchtigkeitsliebenden und salzwassertoleranten Gewächsen. Die Pflanzen können einfach nur zur Gewässersanierung eingesetzt oder auch geerntet und genutzt werden, für den Lebensmittel-, Medizin-, Kosmetik oder Baustoff-Bereich. Neben den traditionell genutzten Schilfröhrichten und Binsen als Auftriebskörper wurden zusätzlich auch mit traditionellen Heilpflanzen experimentiert: Kalmus, Mädesüß, Brunnenkresse und Wasserminze. Als besonderer Eyecatcher ist die heimische Schwertlilie geeignet.
Die Pflanzen nehmen Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor aus dem Wasserkörper auf. Durch ihr Wurzelsystem geben sie dann Sauerstoff in das Gewässer ab. Die grünen Inseln wirken zusätzlich strömungsberuhigend und dienen damit dem Küstenschutz, sie fördern die Sedimentation und führen zu einer höheren Durchsichtigkeit des Wassers, die auch Menschen gefällt. Da sie auf dem Wasser treiben, sind diese Biodiversitäts-Hotspots geschützt vor zufälliger Zerstörung, etwa durch unachtsame Touristen und deren Hunden, die in vielen Naturschutzgebieten Probleme verursachen.
Dieses Euronews-Video gibt einen guten Überblick über das Projekt:
Das “Live Lagoons“-Projekt wurde für drei Jahre (01. August 2017 – 31. Dezember 2020) mit 1,2 Millionen Euro gefördert, 1 Million Euro kam von der European cohesion policy.
Wer mehr über das Lagunen Projekt erfahren möchte: Hier geht es zur Broschüre, auch in Deutsch.
Das hier geschilderte Projekt ist in der litauischen Kurischen Nehrung bzw. dem Kurischen Haff (der Lagune) angesiedelt. Ein Teil des Projekts liegt direkt im urbanen Raum der Klaipeda-Lagune an der Mündung der Dange (litauisch Danė) in das Kurische Haff, gegenüber dem nördlichen Ende der Kurischen Nehrung.
In der deutschen südlichen Ostsee gibt es gleich drei solcher Lagunengebiete (Bodden) in an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns. Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst gehört heute zum Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Das ohnehin schon brackige Ostseewasser ist hinter der langen Sandbank noch weniger salzig, flach und sehr gut geschützt. Darum brüten und rasten hier viele Vogelarten. Allein der Aufenthalt der großen Kranich-Scharen zieht mittlerweile viele Landschafts- und NaturliebhaberInnen an. Von solchen Projekten profitieren letztendlich auch Ostsee-Bewohner vor den Küsten wie Fische und Schweinswale.
Abbildungen der schwimmenden Inseln sind hier zu finden.
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