Den Wal- und Fischbeständen geht es schlecht, den Meeren auch und das Klima wird davon nicht besser. Fisch- und Walkot sind wichtige Mechanismen, um CO2 zu binden und somit die Erderwärmung zu mindern. Da die Menschen gnadenlos vor allem Großwal-Bestände bis an den Rand der Ausrottung gejagt und im Zuge der industriellen Fischerei die Fisch-Biomasse in den Ozeanen etwa halbiert haben, ist auch deren Fäkalien-Eintrag in den Ozeanen reduziert. Der Kot fehlt zur Düngung des Phytoplanktons und zur CO2-Bindung.
Seit einiger Zeit wird immer wieder die Idee diskutiert, mit einer künstlichen Düngung der Ozeane das Phytoplankton-Wachstum anzuregen. Da Algen bei ihrer Photosynthese Kohlendioxid mit Hilfe von Licht und Nährstoffen zu Sauerstoff umwandeln, könnten große Planktonblüten zur Abmilderung der Erderwärmung beitragen.
Solche groß angelegten Geoengineering-Projekte (Geo-Engineering oder Climate Engineering) werden sehr kontrovers diskutiert. Geoengineering „bezeichnet vorsätzliche und großräumige Eingriffe mit technischen Mitteln in geochemische oder biogeochemische Kreisläufe der Erde“. KritikerInnen meinen, dass die großen biogeochemischen Stoffkreisläufe dafür nicht ausreichend untersucht und die ökologischen Folgen nicht abschätzbar sind.
Jetzt will ein internationales Wissenschaftler-Team um David King (Centre for Climate Repair at Cambridge (CCRC), UK) erstmals ein solches Projekt umsetzen und großflächig künstlichen Walkot in den Indischen Ozean stäuben.
Ökosystemingenieure und Gärtner der Meere
Mit dem Einsetzen des Polarsommers vermehrt sich im Südpolarmeer zunächst das Phytoplankton massenhaft, dann folgen die Krillkrebschen, die die Algen fressen und zu riesigen Schwärmen heranwachsen. Schließlich schlagen sich die großen Bartenwale in den oberflächennahen Schichten zwischen 0 und 300 Metern wochenlang die Bäuche mit den kleinen rötlichen Garnelen voll. Zum Atmen kommen die Meeressäuger immer wieder an die Oberfläche – und zum Kacken. Wale entleeren ihren Darm vor dem nächsten Abtauchen, im Südpolarmeer kann man die Walfäkalien als große rötliche Wolken beobachten. Walkot ist ein guter Dünger für das Phytoplankton, darum werden Wale „Gärtner des Ozeans“ genannt. Die Nährstoffe, die nicht von den Algen aufgenommen werden oder auch tote Wale sinken nach unten. Auf dem Weg zum Meeresboden werden sie von anderen Tieren gefressen, der Rest sinkt auf den Meeresboden und sedimentiert dort.
Bei der Ablagerung der Fäkalien und Tierleichen am Boden bleibt das enthaltene CO2 eingeschlossen. Diese ungestörte CO2-Ablagerung in meist mehreren Tausend Metern Tiefe für mehrere Jahrhunderte heißt Sequestrierung.
Zusätzlich durchwirbeln Wale bei ihren Tauchgängen die Wasserschichten und sorgen so auch für eine bessere Durchmischung mit Sauerstoff. Wale sind also aktive und wichtige Elemente der großen Stoffkreisläufe der Ozeane. Da sie wie eine lebende Umwälzpumpe wirken, bezeichnen ÖkologInnen sie als „Whale Pump“ (Mehr dazu im Meertext-Artikel „Von „Pee“ und „Poop“ – wie Wale den Ozean düngen).
Wale, Fische und ihr Kot fehlen im Ozean
Fische und Fischwärme haben die gleiche wichtige ökologische Funktion im CO2- und Sauerstoffkreislauf der Meere. Die meisten Fische sind zwar beträchtlich kleiner als Bartenwale, dafür kommen sie in größeren Mengen in Schwärmen vor.
Auch wenn sich manche Großwal-Bestände nach der gnadenlosen Jagd der letzten 400 Jahre allmählich erholen, bevölkert heute nur noch ein Bruchteil der Meeresriesen unsere Ozeane. Einige Bestände, wie etwa der pazifische Grauwal-Bestand vor der amerikanischen Küste, haben sich wohl mittlerweile vollständig erholt. Die Blauwalbestände hingegen sind immer noch so klein, dass das Überleben der Spezies gefährdet ist.
Bei Fischschwärmen schätzen WissenschaftlerInnen wie der Fischereibiologe Daniel Pauly, dass es heute bestenfalls noch die Hälfte der Biomasse gibt, die die Fischvölker vor dem Einsetzen der industriellen Fischerei hatten (Pauly hat das Konzept der Shifting Baselines entwickelt, das besagt, dass wir zu Beginn der Bestandsschätzungen von Meerestieren schon nur noch extrem reduzierte Bestände betrachtet haben und die Ozeane einst noch wesentlich stärker bevölkert waren.).
Mit viel mehr Walen und Fischen gelangte auch viel mehr Kot in die Meere, die durch diese Ökosystemleistungen deutlich stärker bevölkert waren, vom Phytoplankton bis zu den Endgliedern der Nahrungskette. Damit konnten die Ozeane insgesamt mehr CO2 binden und waren besser mit Sauerstoff durchmischt.
Künstlicher Walkot aus Reis
Das internationale Team um David King will nun mit künstlichem Walkot den Indischen Ozean düngen. Letztendlich erhoffen sie sich dadurch eine erhebliche Steigerung der Biomasse des Phytoplanktons, des Krills und letztendlich der Fischbestände.
Aus Reisabfall und Nährstoffen kreieren die ForscherInnen ihren künstlichen Walkot, die leeren Reishüllen stammen aus einer Reisproduktion im indischen Goa. Ob sie dabei eisenreichen Sand oder vulkanische Asche einsetzen, haben sie noch nicht entschieden. Angereichert würde die Substanz auf jeden Fall mit der richtigen Mischung von Silikaten, Phosphaten und Eisen. Dabei sorgen die Reishülsen für den Auftrieb der Brocken, so dass die Wirkung auch an der Meeresoberfläche sichtbar wird und die ForscherInnen ihren Versuch direkt überprüfen können.
Im nächsten Monat soll das Projekt erst einmal kleinskalig im Arabischen Meer ausprobiert werden. Falls dadurch wirklich das Phytoplankton-Wachstum angeregt wird, wollen sie es in größerem Maßstab im Indischen Ozean umsetzen und damit den Dünger ersetzen, den einst die Wale beisteuerten. King möchte dieses Projekt nicht als Geoengineering verstanden haben. Das habe nicht zu Unrecht einen negativen Beigeschmack, denn es hört sich nach größenwahnsinnigen WissenschaftlerInnen an, die Evolution spielen wollen.
Natürlich kann man an Begrifflichkeiten drehen, aber letztendlich würde auch künstlich produzierter Walkot eigentlich unter Geoengineering fallen oder zumindest ein sehr ähnlicher Ansatz sein. Darum habe ich den Begriff oben auch verwendet.
Das Projekt hört sich sehr einfach an.
Allerdings sind solche großen Eingriffe bisher noch nie gut gegangen: Der massenhafte Einsatz von Düngemitteln in der industriellen Landwirtschaft bewirkt in den Meeren unerwünschte Algenblüten, die nach ihrem Absterben zu Sauerstoffzehrung und sogenannten Todeszonen der Meere führen. Diese Todeszonen nehmen ständig zu und dehnen sich immer weiter aus.
Ein prominentes negatives Beispiel für den Zusammenhang von Düngung und einer sehr problematischen Algenflut ist die Sargasso-See, das weltweit einzigartige Ökosystem von treibenden Makroalgen. Ein gigantischer treibender Kelpdschungel bildet ein Insel-Ökosystem, dass unter anderem die Kinderstube für Meeresschildkröten und viele Fische ist. Überdüngung verändert diese Kelpinsel gerade tiefgreifend: Amazonas, Niger und andere große Flüsse transportieren eine Nährstoffflut in die Sargasso-See, die zum extremen Wachstum der Sargassum-Großalgen führt. Dabei verändert sich gerade das Artengefüge der Tange, zusätzlich verlagert sich der Ort des Algendschungels. Das führt jetzt seit einigen Jahren zu massenhaften Algenschwemmen auf karibischen Inseln und einigen südamerikanischen Küsten und wirft gigantische Probleme auf.
Der künstliche Walkot könnte durchaus einen Teil der echten Fäkalien ersetzen. Aber diese Düngung kann auch noch ganz andere Effekte auslösen, die den Meeren eher schaden, wie die o. g. Beispiele zeigen.
Was mir an dem Projekt auch nicht gefällt: Es muss erst einmal CO2 aufgewendet werden, um den Kunstkot zu produzieren, zu transportieren und zu verstreuen. Das mindert den beabsichtigten Klimaschutz-Aspekt schon wieder.
Wie wäre es stattdessen mit Meeresschutz?
Statt einer künstlichen Meeresdüngung könnte man positive Effekte auf das Klima sowie die Fisch- und Walbestände auch durch einen besseren Meeresschutz erreichen.
Dann müssten endlich die seit Jahrzehnten geforderten Meeresschutzgebiete (Marine Protected Areas) auch in der Hochsee geschaffen und durchgesetzt werden. Dazu würde auch ein Verbot oder zumindest die Reduzierung der Fischerei gehören, damit könnten Fischbestände von selbst wieder anwachsen.
Auch ein besserer Walschutz wäre wichtig: Der Walfang selbst ist heute das kleinste Problem, viel mehr Wale ersticken und verenden als Beifang in den unzerreißbaren Netzen der Fischerei. Das Verringern der Fischerei-Aktivitäten und ein besseres Management zur Vermeidung von Beifang würde viel zur Erholung der Walbestände beitragen. Ein weiterer Punkt ist, dass gerade wandernde Großwale häufig durch Schiffskollisionen sterben. Ein besseres Management des Schiffsverkehrs, der Wal-Wanderrouten kreuzt, könnte jedes Jahr viele Waltode verhindern. Durch sogenannte Blaue Korridore könnten die Wale auf ihren Wanderungen zwischen Aufzuchtorten und Nahrungsgründen geschützt werden. In letzter Zeit ist es gerade durch die Verlagerung der Nahrungsgründe durch die Meereserwärmung etwa im St. Lorenzstrom zu vielen Unfällen mit den stark bedrohten Glattwalen gekommen: Die Nahrung der Wale hatte sich in das Ästuar des St. Lorenzstroms verlagert, so dass es dort vermehrt zu Kollisionen mit Schiffen und Verheddern in Netzen der Küstenfischerei kommt.
Auf der anderen Seite des amerikanischen Kontinents geraten Grauwale durch eine Verlagerung ihrer Nahrungsressourcen in der Tschuktschen-See auf einmal in den Schiffsverkehr und die Küstenfischerei vor Kalifornien.
Auch die Einrichtung von großen Walschutzgebieten in der Hochsee müsste weiter vorangetrieben werden. Das gigantische Southern Ocean Whale Sanctuary existiert zwar, aber Japan betreibt darin immer noch kommerziellen Walfang unter dem Deckmäntelchen des wissenschaftlichen Walfangs. Gleichzeitig müssten die Fangmengen von Fischen in der Hochsee endlich reglementiert werden: Zuletzt hatte die riesige chinesische Fischfangflotte, die sich den Galapagos-Inseln näherte und alles Meeresleben verschlang, auch einen markierten Walhai gefangen, was für einen Aufschrei unter den Meeresschützern gesorgt hatte. Leider hat das nicht zu einem Stop dieser Fischpiraterie geführt, obwohl nachgewiesen ist, dass chinesische Fischer auch streng geschützte Arten weiter ausbeuten. Wichtig wäre es, endlich eine internationale Fischereiaufsicht durchzusetzen: Wir brauchen den Ozean und seine Lebewesen auch im Kampf gegen die Klimakrise.
Dann könnten wir uns künstlichen Walkot sparen.
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