Dass Insekten Blütenpflanzen bestäuben, weiß jedes Kind. Dass im Meer Mini-Krebse Algen befruchten, ist allerdings eine neue Entdeckung. Ein französisch-chilenisches Forscher-Team um Myriam Valero hat jetzt beschrieben, wie kleine Meeresasseln der Gattung Idotea Rotalgen bei der Fortpflanzung helfen.
Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass die tierische Hilfe bei der Pflanzen- und Algen-Befruchtung viel älter ist, als bisher angenommen..
Algen sind keine Pflanzen, sondern photosynthetisch aktive, pflanzenähnliche Lebewesen. Sie sind evolutiv wesentlich älter als Pflanzen. Darum ist auch ihre Sexualität viel ursprünglicher: Rotalgen sind zweigeschlechtlich. Ihre Fortpflanzung erfolgt im Generationswechsel, also abwechselnd sexuell und asexuell. Geht es um Sex, müssen die männlichen Geschlechtsprodukte (Gameten oder Spermatien) die weiblichen Geschlechtsorgane erreichen. Bis jetzt dachten BiologInnen, dass die männlichen Spermatien von Rotalgen durch Wasserbewegung, also Strömungen, ihr Meeres“blümchen“ erreichen. Ein Trugschluß!
Für die Rotalge Gracilaria gracilis übernehmen Meeresasseln der Gattung Idotea die Rolle von „Meeresbienen“ und verteilen die Spermatien zwischen den Rotalgen. Ganz ähnlich wie Bienen, nur ohne Flügel und mit viel mehr Beinen. Die kleinen Asseln leben in den Rotalgenbeständen und wuseln schwimmend und laufend zwischen den einzelnen Rotalgen-Exemplaren umher.
Die Oberflächen der männlichen Algen sind mit Fortpflanzungsstrukturen übersät, die Spermatien produzieren, also spermienähnliche Geschlechtsprodukte. Jede Spermatie ist mit einem klebrigen Schleim überzogen. Kommt eine Idotea vorbei, kleben die Spermatien am Asselpanzer fest und lassen sich huckepack bis zu einer weiblichen Alge transportieren. Dort trifft es auf weibliche Fortpflanzungsprodukte und es kann zur Befruchtung kommen.
Auch die Asseln profitieren von diesem Arrangement. Die Algen geben ihnen Unterkunft und Verpflegung: Idoteas klammern sich an die Algen, so sind sie vor starken Strömungen geschützt und sie können die kleinen Lebewesen fressen, die auf den Algen wachsen. Dies ist ein Beispiel für eine wechselseitige Interaktion – eine Win-Win-Situation für Pflanze und Tier – und das erste Mal, dass eine Interaktion dieser Art zwischen einer Alge und einem Tier beobachtet wurde.
Während diese ersten Ergebnisse nicht das Ausmaß angeben, in dem der Tiertransport von Gameten zur Algenbefruchtung im Verhältnis zur Rolle der Wasserbewegung beiträgt – früher wurde angenommen, dass dies das einzige Mittel zur Verbreitung von Gameten ist – bieten sie überraschende Einblicke in den Ursprung der Hilfe von Tieren bei der Befruchtung von Pflanzen und Algen. Vor dieser Entdeckung wurde angenommen, dass letztere vor 140 Millionen Jahren unter Landpflanzen entstanden sind. Rotalgen hingegen entwickelten sich schon vor über 800 Millionen Jahren, und ihre Befruchtung durch tierische Vermittler kann lange vor dem Ursprung der Bestäubung an Land liegen. Zusätzlich sind Krebse wie die Meeresasseln auch wesentlich älter als ihre Landverwandten, die Insekten.
Jetzt haben die ForscherInnen der Arbeitsgruppe für Evolutionsbiologie und Ökologie der Algen an der berühmten meeresbiologischen Station Roscoff eine Menge weiterer Fragen: Lösen die Asseln die Freisetzung von Spermatien aus? Können die Asseln männliche G. gracilis-Algen von weiblichen unterscheiden? Und vor allem: Welche anderen Arten von Algen und Mini-Krebsen haben noch ähnliche Interaktionen zur Befruchtung?
Roscoff liegt in der Bretagne, wo Algen-Anbau längst ein Wirtschaftsfaktor ist, genauso wie vor der chilenischen Küste. Da Algen als Nahrung für Menschen und Tiere sowie viele andere Anwendungen eine wachsende Bedeutung haben, sind die „Bienchen des Meeres“ also auch wirtschaftlich bedeutsam.
Quelle:
E. Lavaut, M.-L. Guillemin, S. Colin, A. Faure, J. Coudret, C. Destombe, M. Valero. Pollinators of the sea: A discovery of animal-mediated fertilization in seaweed. Science, 2022; 377 (6605): 528 DOI: 10.1126/science.abo6661
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