Am nächsten Morgen brach ich extra zeitig auf, um in Halle noch einmal ins Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte zu pilgern. Mein erster Weg führte natürlich sofort nach oben. Dann zweimal nach links. Und dann tastete ich mich vorsichtig in den abgedunkelten Raum vor und wartete geduldig, bis die kleine laute Gruppe Menschen vor mir verschwand. Über mir drehte sich ein herrlicher Sternenhimmel mit dem silbrigen Band der Milchstraße.
Dann war es still im Raum und ich war allein. Und tauchte ein in den goldenen magischen Glanz der Himmelsscheibe von Nebra. Fast 10 Minuten stand ich allein davor und versank in ihre prähistorischen Welten, das Abbild des astronomischen und astrologischen Wissens von vor über 3600 Jahren. Wie jedes Mal vollständig gebannt von der Kunstfertigkeit der Bronzescheibe und ihren goldenen Applikationen. Mittlerweile besser informiert über ihr umfassendes astronomischen Wissen, was meinen Respekt vor ihren Erdenkern nur noch größer macht.
Über meine zweite Begegnung mit dem goldenen Artefakt hatte ich 2021 mehr geschrieben und dabei auch einen Teil ihrer Informationen mit vorgestellt.
„Die Himmelsscheibe ist einer der bedeutendsten archäologischen Funde des vergangenen Jahrhunderts. Sie zeigt die weltweit älteste konkrete Darstellung astronomischer Phänomene, die wir kennen.“ schreibt das Landesmuseum. Sonne, Mond, Plejaden. Winter- und Sommersonnenwende. Den Sternenhimmel zu ihrer Zeit, der sich von unserem unterschied.
Ein einzigartiges Artefakt, bisher ist weltweit nirgendwo ein ähnliches Objekt gefunden worden. Dafür ist mittlerweile geklärt, dass die Himmelsscheibe tatsächlich vor Ort entstanden ist und nicht etwa als Import aus den Hochkulturen Kleinasiens ins heutige Sachsen-Anhalt kam. Seit über 20 Jahren wird sie erforscht und hat zu einer Reihe spektakulärer Entdeckung in dieser Region geführt, die offenbar über die Jahrtausende ein wichtiges Zentrum im Fernverkehr zwischen Ost und West, Nord und Süd war. Mehrfach brachten Menschengruppen, die vor allem von Osten aus einwanderten, ihre innovativen Kulturtechniken und ihre Handwerkskunst mit und schufen Neues. Wer aus welchem Anlass dieses Himmelsabbild aus Bronze und Gold anfertigen ließ, wissen wir nicht. Der Fundkontext ist spärlich, schriftliche Überlieferungen aus dieser Kultur gibt es nicht.
Trotzdem haben Wissenschaftlerinnen dem metallenen Himmelsabbild mittlerweile umfangreiche Informationen entlockt.
Wer mehr darüber wissen möchte, dem seien die ausgezeichneten Texte und Videos des Landesmuseums zur Himmelsscheibe empfohlen. Die interdisziplinäre und internationale Erforschung dieses einzigartigen Gold-Artefakts und das Landesmuseum mit seinen herrlichen Ausstellungen sind eng mit der Person Harald Mellers verknüpft. Der Archäologe wurde 2001 Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt und Direktor des sachsen-anhaltischen Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle – 2002 konnte er dann die Himmelsscheibe für das Museum erwerben. Sie stammt aus einer Raubgrabung von 1999 und allein schon die Umstände ihrer Sicherstellung ist eine wilde Geschichte.
Harald Mellers weitere Karriere war und ist eng mit der Himmelsscheibe verknüpft, so wie er die vormals unbekannte Kultur um sie herum mittlerweile in einen Kontext mit anderen archäologischen Stätten in Europa und darüber hinaus gestellt hat. So war die Bronzescheibe im Sommer in einer großartigen Stonehenge-Ausstellung im British Museum zu sehen, allerdings nicht annähernd so gut präsentiert, wie in den Ausstellungen in Halle.
Wer mehr über dieses einzigartige Artefakt erfahren möchte, auf dessen Basis die Aunjetitz-Kultur im Herzen Europas neu beschrieben wurde, wird in der Ausstellung im Abschnitt „Bronzerausch“ fündig.
Die Aunjetitzer Kultur (tschechisch Únětická kultura; benannt nach dem böhmischen Fundort Únětice/Aunjetitz) beschreibt eine Kultur der frühen Frühbronzezeit im Zeitraum von ca. 2300 v. Chr. bis 1600/1500 v. Chr. In dieser Zeit löste Metall das bis dahin übliche Material Stein ab und ermöglichte schnelle technologische Fortschritte. Das neue Material war, anders als Stein, formbare und umformbar und die Kunst des Schmiedens kamen wohl mit Einwandern aus den östlichen Steppen ins Herz Europas und verbreitete sich schnell weiter. Mehr zu dieser Kultur und der Himmelsscheibe haben Kai Michel und Harald Meller in ihren gemeinsamen Büchern gut verständlich beschrieben. (An einigen Stellen sind Fakten, Interpretation und Spekulation für meinen Geschmack nicht sauber genug getrennt, dafür sind die Bücher anschaulich geschrieben und lassen sich gut lesen. Welche Details der Interpretationen zutreffen und welche nicht, wird die zukünftige Forschung ergeben. Leseempfehlung!).
Die Himmelsscheibe gilt als einer der wichtigsten archäologischen Funde des 20. Jahrhunderts und wurde 2004 unter Mellers Leitung in der Landesausstellung „Der geschmiedete Himmel – Die weite Welt im Herzen Europas vor 3600 Jahren“ erstmals präsentiert. In dieser Ausstellung habe ich sie zum ersten Mal kurz gesehen, wir waren gemeinsam mit Wolfhard Schlosser nach Halle und später nach Goseck gefahren. Der mittlerweile leider verstorbene Astrophysiker Wolfhard Schlosser war als Archäoastronom maßgeblich an der Entschlüsselung ihrer astronomischen Informationen beteiligt, wir hatten ihn auf der Starkenburg-Sternwarte zweimal zu Vorträgen eingeladen und lauschten ihm andächtig (Da die Starkenburg-Sternwarte Kleinplaneten-Entdeckungen sammelt wie andere Leute Briefmarken oder Primzahlen-Pärchen, ist nach ihm ein Asteroid benannt: (58896) Schlosser).
An der astronomischen Erforschung der Himmelsscheibe beteiligt war auch die bereits genannte Mechthild Meinike. In enger Zusammenarbeit mit Wolfhard Schlosser und den ArchäologInnen arbeitete die versierte Amateurastronomin mit daran, die Astro-Rätsel aufzuspüren und ihnen mehr Informationen aus der Lebewelt unserer VorfahrInnen zu entlocken. Die Himmelsscheiben-Forschung war auch der Startschuss, mit moderner Technologie alte Grabungen und Grabungsfunde in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus noch einmal zu überprüfen und immer mehr bis dahin übersehene Details zusammenzufügen.
So wurde die durch Luftbilder in den 1990er Jahren entdeckte Kreisgrabenanlage von Goseck 2003 freigelegt – sie stellte sich als das älteste Sonnenobservatorium Europas heraus, etwa 6900 Jahre alt. Bei unserem Besuch 2004 war das Gelände noch ein matschiger Acker, auf dem man selbst mit viel gutem Willen kaum etwas erkennen konnte. Darum planen wir längst einen weiteren Besuch, direkt in Goseck und in der dazu gehörigen Ausstellung im Schloß Goseck. Als Ortsansässige machen die Merseburger Sternfreunde dort zur Winter- und auch Sommersonnenwende astronomische und archäoastronomische Führungen unter freiem Himmel. Auch das Ringheiligtum Pömmelte ist mittlerweile erforscht.
Die beiden Kreisanlagen blieben so lange verborgen, weil sie, anders als etwa Stonehenge, aus Holz gebaut waren. Hölzerne Konstruktionen überdauern keinesfalls Jahrtausende. Erst auf Luftbild-Aufnahmen war am Wachstum der Pflanzen die darunter liegenden Reste zu erkennen, durch Grabungen konnten die Holzkreise und viele Funde als Kontext erkundet werden.
Das Landesmuseum, das Sonnenobservatorium Goseck, das 4000 Jahre alte Ringheiligtum in Pömmelte, die Arche Nebra und die Dolmengöttin bei Langeneichstädt bilden heute die touristische Route „Himmelswege“. Die fünf Stationen, in deren Zentrum die Himmelsscheibe von Nebra steht, erzählen von der Astronomie unserer Vorfahren und archäologischen Spuren aus über 7000 Jahren. Offenbar war diese Gegend fruchtbar und schon sehr lange besiedelt.
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