Zurzeit erregt ein Fall einer seltenen Spätkomplikation der Masern in den Medien Aufmerksamkeit: Ein sechsjähriges Mädchen in Aschaffenburg ist an SSPE erkrankt, dieses Kürzel steht für „subakute sklerotisierende Panezephalitis”. SSPE tritt einige Jahre nach der Erstinfektion auf und verläuft tödlich.
Die SSPE-Fälle sind mit den steigenden Impfraten zurückgegangen, aber es sterben in Deutschland jährlich immer noch etwa 5 Menschen an SSPE. Seit 1998 waren es 53. Der SSPE-Fall des Mädchens richtet den Blick wieder einmal auf ein Problem, das Länder ohne Impfpflicht haben: Sie müssen für Impfungen werben, gut informieren und sich auch mit den Behauptungen irrationaler Impfgegner auseinandersetzen.
Masern werden gemeinhin als „Kinderkrankheit” bezeichnet. Das klingt irgendwie harmlos. So wie ein neues Auto seine Kinderkrankheiten hat, die dann irgendwann verschwinden. Manche Eltern meinen, es sei besser, die Kinder nicht impfen zu lassen, z.B. weil angeblich eine natürlich durchgemachte Masernerkrankung die Entwicklung des Kindes fördern würde oder die Impfung erhebliche Risiken mit sich bringen würde. Für viel Verunsicherung hat 1998 ein Bericht des britischen Arztes Andrew Wakefield in der angesehenen Fachzeitschrift Lancet geführt, in dem ein Zusammenhang zwischen der Kombinationsimpfung gegen Mumps, Masern und Röteln (MMR-Impfung) und Autismus hergestellt wurde. Das hat sich in den folgenden Jahren als falsch herausgestellt, mysteriöse Geldzahlungen an Wakefield wurden bekannt, 2010 hat Lancet den Wakefield-Bericht offiziell zurückgezogen und 2011 war im Deutschen Ärzteblatt zu lesen, dass Wakefield seine Daten wohl gefälscht hat.
Auch bei der Masernimpfung können Komplikationen und Impfschäden auftreten, aber verglichen mit den Komplikationen der Masernerkrankung sind sie extrem selten. So tritt z.B. eine Masernenzephalitits in 1 von 1.000 Erkrankungsfällen auf, bei der Masernimpfung in weniger als 1 von 1.000.000 Fällen. Bei jeder Masernepidemie erkrankt ein erheblicher Teil der Kinder so ernst, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen, manche mit bleibenden Schäden. Weltweit sind 2008 nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation noch immer ca. 160.000 Kindern infolge einer Maserninfektion gestorben. Vor 30 Jahren, vor Beginn der weltweiten Impfkampagnen, waren es der WHO zufolge jährlich sogar 2 ½ Millionen Kinder.
Harmlos sind die Masern also ganz und gar nicht. Und eine Kinderkrankheit sind sie auch nicht. Erwachsene können daran genauso erkranken (mit der Masernimpfung verschiebt sich sogar das Altersspektrum der Erkrankten nach hinten). Ob ein Kind geimpft wird oder nicht, müssen in Deutschland die Eltern entscheiden. Dazu gehört es, beim Arzt mögliche Kontraindikationen einer Impfung abklären zu lassen, z.B. akute Erkrankungen oder eine Immunschwäche, und dazu gehört auch, sich über die seltenen, aber nicht ausgeschlossenen Komplikationen einer Impfung einerseits und die erheblich häufigeren Komplikationen einer Erkrankung andererseits zu informieren. Ohne Wissen gibt es keine verantwortliche Entscheidung. Mit mehr Wissen im Rucksack sollte zumindest eines nicht mehr stattfinden: die Teilnahme an Masernpartys, die in impfkritischen Milieus da und dort gefeiert werden, um Kinder absichtlich zu infizieren.
Um die Masern auszurotten, strebt die Weltgesundheitsorganisation eine Impfrate von 95 % an – sowohl für die erste als auch für die zweite Impfung, denn zweimal soll geimpft werden. Gute Daten zur Durchimpfung hat man bei den Einschulungskindern: 2009 waren in Deutschland 96,1 % einmal und 90,2 % zweimal gegen Masern geimpft (Robert Koch-Institut, Epidemiologisches Bulletin 16/2011). Das ist einerseits gegenüber 1999 ein erfreulicher Fortschritt (damals waren 90 % der Kinder einmal und nur 15 % zweimal geimpft), andererseits reicht es noch nicht, um den Masern den Garaus zu machen.
Bis Mitte November wurden deutschlandweit in diesem Jahr schon ca. 1.600 Masernfälle gemeldet (die Daten sind beim Robert Koch-Institut abrufbar), so viele wie schon seit Jahren nicht mehr – ein deutlicher Hinweis auf Impflücken in der Bevölkerung.
Da nicht nur grob irrationale Impfkritiker, die selbst die Existenz von Viren bezweifeln, gegen die Impfung sind, sondern nicht selten auch gut gebildete, aber „alternativmedizinisch” eingestellte Eltern, sollte eine gute Aufklärung über die Krankheit Masern, die Impfung und das Pro und Contra, z.B. beim Hausarzt, die Impfbereitschaft eigentlich erhöhen und desinformativen Impfkritiken etwas Wind aus den Segeln nehmen. Wissen ist gesund.
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