In Art. 65 des Grundgesetzes steht, dass der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt. Bekanntlich tun das aber seit einiger Zeit die Finanzmärkte. Wer die „Finanzmärkte” sind, weiß man nicht so genau, aber wovon sie leben, weiß man. Die Finanzmärkte leben von Geld. Irrtümlicherweise hatte man manche dieser Halbweltwesen einmal als „systemrelevant” bezeichnet. Aber die anhaltenden Finanzkrisen zeigen vor allem eins: sie sind systemgefährdend.
Finanzmärkte sind so etwas wie Geldvampire. Von diesem Stoff brauchen sie immer mehr, auch wenn es ihre Wirte das Leben kostet. Das kann man wörtlich nehmen, sie spekulieren mit Lebensmitteln, mit Wasser und auch im Gesundheitswesen sind sie schon lange aktiv. Ein wichtiger Teil des Geschäftsmodells der privaten Krankenversicherungen besteht z.B. darin, mit den Altersrückstellungen ihrer Versicherten an den Finanzmärkten zu spekulieren. An einem reinen Versicherungsgeschäft hätten sie möglicherweise gar kein Interesse. Auch hier geht es darum, immer mehr Geld ins System zu spülen. Dabei helfen jetzt die Rating-Agenturen. Standard & Poor´s hat einen Bericht „Mounting Medical Care Spending Could Be Harmful To The G-20’s Credit Health” veröffentlicht, der warnt, die steigenden Gesundheitsausgaben der Länder könnten dazu führen, dass künftig kein Industrieland mehr eine Triple A-Bewertung bekommt und harte Einschnitte in der Gesundheitsversorgung nötig seien. Schon die ersten Zeilen des Berichts sagen, wie Standard & Poor´s die Welt sieht:
Steadily rising health care spending will pull heavily on public purse strings in the coming decades. If governments do not change their social protection systems, they will likely become unsustainable, in Standard & Poor’s Ratings Services’ view.
Population aging will lead to profound changes in economic growth prospects for countries around the world, we believe, as governments work to build budgets to face ever greater age-related spending needs. Governments’ main policy actions so far have consisted of decreasing pension outlays. We believe that getting a firmer grip on rising health care spending is at least equally important.
Interessant ist das Rezept, das die Agentur empfiehlt.
• “Streamlining health care system, through broader use of technology, containing costs of medical prescriptions, and discouraging abuses of the system;
• Changing the balance between public and private sector financing and provision of services; and
• Reducing the scope and generosity of coverage.”
Also mehr private Finanzierung und Einschränkung von Leistungen. Das ist ein Gesundheitswesen für die Finanzmärkte, wie in den USA. Dort haben die Gesundheitsausgaben verglichen mit anderen Industrieländern einen sehr hohen Anteil am Bruttoinlandsprodukt – bei gleichzeitig ziemlich mäßiger Versorgungsleistung, zumindest für all die, die knapp bei Kasse sind. Dafür wird eben ein großer Teil der Gesundheitsausgaben privat aufgebracht, darauf kommt es den Finanzmärkten an. Besondere Fachkompetenz hat Standard & Poor´s bei seiner Analyse übrigens nicht bewiesen, der Unterschied zwischen den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland (ca. 6 % Anteil am BIP) und den Gesundheitsausgaben insgesamt (ca. 11 % Anteil am BIP) war den Herren zumindest fremd. Sie sehen in Deutschland einen drohenden Anstieg der Gesundheitskosten von 6 % heute auf 11 % im Jahr 2050 – und das Deutsche Ärzteblatt druckt das sogar kommentarlos nach. Auch die Prognoseleistung der Agentur lässt viele Fragen offen, schon die Gesundheitsausgaben der nächsten 40 Jahre lassen sich nur mit viel Mut zum Ratespiel vorhersagen, aber das passt ja zu einer Rating-Agentur.
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