Demenzerkrankungen gehören zu den großen Herausforderungen des Gesundheitssystems in einer alternden Gesellschaft. Die häufigste Form, die Alzheimererkrankung, nimmt mit der Zahl alter Menschen zu – und zwar sehr stark. Gibt es in der Altersgruppe der 65-69-Jährigen gerade einmal ein gutes Prozent dementiell Erkrankter, steigt die Erkrankungshäufigkeit bei den Über-90-Jährigen auf 40 % und nimmt auch bei den Hochaltrigen noch weiter zu. Eine Hochrechnung der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft geht davon aus, dass durch den demografischen Wandel in Deutschland die Zahl der dementiell Erkrankten von heute etwa 1,5 Millionen bis 2030 auf mehr als 2 Millionen steigen könnte. Medikamente, die Demenzen vom Alzheimer-Typ heilen können, gibt es bisher nicht, derzeit können Medikamente den Verlauf der Erkrankung nur geringfügig verzögern. Erfreulicherweise mehren sich in letzter Zeit dagegen die Hinweise, dass sich auch dementiellen Erkrankungen durch Lebensstilinterventionen vorbeugen lässt, so dass vielleicht der Anstieg der Erkrankungszahlen doch etwas vom demografischen Wandel abgekoppelt werden könnte. Allerdings sind erkannte Risikofaktoren noch keine vermiedenen Risikofaktoren, das gilt auch für Lebensstilinterventionen zur Prävention von Demenzerkrankungen, etwa Anregungen zu mehr Bewegung oder sozialer Integration.
Ganz im Schatten der Altersdemenzen, ohne öffentliche Aufmerksamkeit, gibt es auch Kinder mit Demenzerkrankungen, ein Paradebeispiel für seltene Erkrankungen. Gerade einmal ein paar hundert Fälle gibt es in Deutschland. Der Bayerische Rundfunk macht aktuell auf den Fall Hannah Vogel aufmerksam, ein neunjähriges Mädchen aus Oberbayern, das an NCL2 erkrankt ist. Ausgeschrieben heißt das Neuronale Ceroid Lipofuszinose Typ 2 – eine Erkrankung, von der ich vorher noch nie gehört habe. Diese Form kindlicher Demenz führt zu einem schnellen Abbau sensorischer, motorischer und geistiger Fähigkeiten und endet tödlich. Krankheitsspezifische Selbsthilfegruppen und eine qualifizierten Palliativversorgung haben daher hier eine besondere Bedeutung.
Wie bei vielen seltenen Erkrankungen gibt es auch bei kindlichen Demenzen vergleichsweise wenig Forschung, auch wenn sich in den letzten Jahren einiges verbessert hat. Das Tragische am Fall Hannah Vogels ist, wie der Bayerische Rundfunk berichtet, dass es inzwischen ein vielversprechendes Medikament des amerikanischen Herstellers BioMarin gibt, das aber noch nicht zugelassen ist und vom Hersteller daher nicht für eine Behandlung bereitgestellt wird. Zurückhaltung bei der Behandlung mit neuen Medikamenten ist im Prinzip sinnvoll, weil man über die Risiken noch wenig weiß, das gilt erst recht, wenn ein Medikament noch nicht zugelassen ist, also noch Studien ausstehen und die amtliche Prüfungsprozeduren nicht abgeschlossen sind. Bei Krankheiten, die tödlich verlaufen, kann jedoch eine Behandlung im Rahmen eines „individuellen Heilversuchs“ erfolgen, im Englischen „compassionate use“, Behandlung aus Mitgefühl. Dieses Mitgefühl verweigert die Pharmafirma derzeit, die Gründe dafür sind letztlich nicht wirklich klar.
Die Mutter des Mädchens hat daher eine Online-Petition eingerichtet, die sich an den CEO BioMarin Jean-Jacques Bienaime und die BioMarin Deutschland GmbH richtet. An die Politik wäre darüberhinaus zu appellieren, sich Gedanken um ein Regelverfahren in vergleichbaren Fällen zu machen, auch was die Finanzierung der Behandlungen angeht.
Kommentare (24)