Der Vorschlag des „Münsteraner Kreises“, das Biotop des Heilpraktikerwesens künftig stärker unter den Aspekten Qualität und Patientensicherheit zu regulieren, hat viel Medienaufmerksamkeit erfahren. Angesichts des politischen Rückhalts, den die evidenzbefreite Alternativmedizin insgesamt und auch das Heilpraktikerwesen haben, glaube ich zwar nicht, dass das Papier des Münsteraner Kreises schon der Durchbruch ist, aber das macht es nicht weniger notwendig.
Erwartungsgemäß laufen die Heilpraktiker Sturm gegen die Vorschläge des Münsteraner Kreises. Die sind eigentlich recht einfach: Entweder schafft man den Heilpraktiker ganz ab oder man qualifiziert den Beruf, indem man auf einer Ausbildung in einem Gesundheitsberuf aufsetzt und dann über eine ausreichende Weiterqualifizierung die selbständige Berufsausübung als „Fachheilpraktiker“ in einem definierten Behandlungsgebiet ermöglicht. Die sektoralen Heilpraktiker gäbe es also weiterhin, auf einem höheren Kompetenzniveau.
Die Heilpraktiker wollen dagegen die alte Laienmedizin beibehalten. Sie verweisen darauf, dass sie jetzt schon gut ausgebildet seien und von ihren Patienten ausweislich der großen Nachfrage doch unzweifelhaft als hilfreich erlebt würden. Bestenfalls räumt man ein, dass es einzelne schwarze Schafe gebe und – Whataboutism ist in diesen Diskussionen Standard – dass in der „Schulmedizin“ doch auch nicht alles gut laufe. Das stimmt zwar, aber daraus folgt kein Freifahrtschein für Quacksalberei bei den Heilpraktikern.
Ich glaube, dass man der Laienheilkunde nicht mehr einen derart breiten Schutzraum wie zu Zeiten des Heilpraktikergesetzes 1939 einräumen kann, zumal selbst damals schon das Ende dieser Form der Laienheilkunde anvisiert war. Über die Möglichkeit z.B. physiotherapeutischer oder podologischer Behandlungen bei einem „Fachheilpraktiker“, der ohne ärztliche Verordnung arbeiten darf, kann man dagegen nachdenken, warum nicht.
Ein interessanter Sonderfall der sektoralen Heilpraktiker sind die Heilpraktiker mit einer auf Psychotherapie beschränkten Erlaubnis. Vor 1999 war das eine hilfreiche Einrichtung, weil damit Psychologen eine Behandlungserlaubnis erlangen konnten, ohne unmittelbar von den Ärzten abhängig zu sein. Durch das Psychotherapeutengesetz 1999 sind mit den Psychologischen Psychotherapeuten und den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zwei Heilberufe mit Approbation eingeführt worden. Dahinter standen u.a. ebenfalls Bemühungen um eine überfällige Qualitätssicherung in der Psychotherapie.
Daneben gibt es aber immer noch die sektoralen Psychotherapie-Heilpraktiker, die als Ausbildungsnachweis wie alle Heilpraktiker nur einen Hauptschulabschluss haben müssen. In Bayern waren 2016 nach Zählung der Gesundheitsämter von den insgesamt 23.575 Heilpraktikern 7.071 Heilpraktiker mit einer auf Psychotherapie beschränkten Erlaubnis, ca. 30 %. Zum Vergleich: Im selben Jahr waren bei der bayerischen Psychotherapeutenkammer 6.097 Psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten registriert.
Die Bundespsychotherapeutenkammer hat nun im Anschluss an das Papier des Münsteraner Kreises gefordert, den sektoralen Heilpraktiker Psychotherapie abzuschaffen. Es gäbe genug approbierte Psychotherapeuten, um den Behandlungsbedarf zu decken. Ob dem wirklich so ist, ist nicht einfach zu beantworten, weil es keine valide Bedarfsermittlung für die Versorgung psychischer Störungen gibt. Was man weiß, ist, dass es sowohl lange Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz gibt (und deswegen nach wie vor in vielen Fällen keine leitliniengerechte Behandlung möglich ist), und dass viele psychisch ernsthaft erkrankte Menschen erst sehr spät, manchmal gar nicht, Kontakt zum Versorgungssystem bekommen. Der DEGS1-Studie des Robert Koch-Instituts zufolge ist weniger als die Hälfte der Betroffenen in Behandlung.
Innerhalb des kassenärztlichen Systems gibt es noch einmal einen besonderen Versorgungsengpass, weil es nach wie vor nicht genug Psychotherapeuten mit Kassenzulassung gibt und die Krankenkassen sich seit Jahren gezwungen sehen, Psychotherapien auch im Wege der Kostenerstattung für Psychotherapeuten zu finanzieren, die zwar eine Approbation, aber keine Kassenzulassung haben. Wie viele solcher Kostenerstattungsfälle es gibt, ist übrigens nicht bekannt, die Daten sind „sensibel“.
Können Heilpraktiker die Versorgungslücken schließen? Sollen sie sie schließen? Hier ist zunächst anzumerken, dass auch psychisch kranke Menschen einen Anspruch auf bestmögliche Behandlung auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand haben. Um das sicherzustellen, hat man schließlich das Psychotherapeutengesetz eingeführt. Heilpraktiker sollen also hier gerade keine Versorgungslücken auf einem qualitativ niedrigeren Niveau schließen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es natürlich auch unbegabte Psychotherapeuten gibt, an denen die jahrelange Therapieausbildung spurlos vorüberging. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen Heilpraktikerleistungen nicht ohne weiteres erstatten dürfen. Auch das hat seinen Sinn, an der Behandlungsqualität soll eben nicht gespart werden.
Das in diesem Zusammenhang von den Heilpraktikern immer wieder vorgebrachte Argument, sie seien doch hinreichend qualifiziert und die Gesundheitsämter würden das bei der Erlaubniserteilung prüfen, stimmt so nicht. Psychologen müssen z.B. in manchen Ländern für die eingeschränkte Heilpraktikererlaubnis gar keine Prüfung machen, das Psychologiestudium als solches gilt dann als ausreichend. Des Weiteren müssen zwar die Psychotherapeuten für die Approbation nachweisen, dass sie ihre Behandlungsverfahren beherrschen, aber die Gesundheitsämter prüfen bei den Heilpraktikern keineswegs, ob diese das, was sie später tun wollen, gut können: Sie prüfen vielmehr vor allem, ob Heilpraktiker genug wissen, um die Finger davon zu lassen, was sie nicht gut können bzw. nicht tun dürfen. Das geht bekanntlich häufig schief und die Presseberichte führen dann seit vielen Jahren regelmäßig und stets ergebnislos zu der Forderung, bei den Heilpraktikern doch endlich strengere und zeitgemäße Regeln einzuführen. Wir wissen bis heute nicht einmal, was Heilpraktiker eigentlich machen, oder wie viele es wirklich gibt.
Auch das Argument des „Deutschen Dachverbands für Psychotherapie“ (DVP), der vor allem die psychotherapeutisch tätigen Heilpraktiker organisiert, über die Heilpraktiker gäbe es Alternativen zur Richtlinientherapie (das sind die Verfahren, die von den Kassen finanziert werden), trägt nicht. Wenn es evidenzbasierte Therapieverfahren gibt, die aus welchen Gründen auch immer noch nicht von den Kassen finanziert werden, muss man sich darum bemühen, diese Evidenz beim Gemeinsamen Bundesausschuss geltend zu machen, so wie dies z.B. bei der Gesprächspsychotherapie geschieht. Der DVP reklamiert hier letztlich wiederum nur einen Schutzraum für Verfahren mit Evidenzproblemen.
Soll man also die Psychotherapie-Heilpraktiker abschaffen? Oder soll man ähnlich, wie es das Papier des Münsteraner Kreises vorschlägt, auch hier eine „Kompetenzlösung“ anstreben und z.B. für fachlich vorqualifizierte Berufe, z.B. Heilerziehungspfleger, Logopäden oder Ergotherapeuten, einen auf bestimmte Tätigkeitsbereiche spezialisierten „psychosozialen“ Heilpraktiker einführen? Psychotherapie im Sinne einer Krankenbehandlung bliebe den approbierten Therapeuten vorbehalten, aber ob Heilpraktiker nicht im weiteren Bereich der psychosozialen Unterstützung einen sinnvollen Beitrag zur Versorgung leisten können, könnte man doch einmal diskutieren. Falls nicht, was spricht dagegen?
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