Mit dem Auslaufen der vorläufigen Verlängerung der Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat hat die Debatte erwartungsgemäß an Schärfe zugenommen. Zuletzt ist der schon länger schwelende Streit um die Bewertungsprozeduren des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) eskaliert, hier auf Gesundheits-Check haben wir das ein Stück weit verfolgt und versucht, das Ganze zu verstehen. Die Sachlage in diesem Punkt stellt sich demnach wie folgt dar:
Umweltverbände werfen dem BfR vor, die von der Industrie eingereichten Unterlagen nicht oder nicht mit der nötigen Sorgfalt eigenständig geprüft zu haben, der Industrie zu leichtfertig folgend kritische Studien als untauglich eingestuft zu haben und nicht klar dokumentiert zu haben, wo man Bewertungen der Industrie wörtlich übernommen hat und wo nicht. Zuletzt wurde ein Plagiatsgutachter damit beauftragt, relevante Passagen des Bewertungsberichts auf ungekennzeichnete Passagen zu prüfen, er ist fündig geworden, aber auch diese Arbeit ist zunächst nur eine weitere Boje im Strudel der wechselseitigen Vorwürfe.
Das BfR entgegnet wie schon früher, man habe sehr wohl alle Unterlagen der Industrie und auch die übrige Literatur eigenständig geprüft und bewertet, die Bewertungen der Industrie habe man da, wo es nichts dazu zu sagen gab, nach gängiger Praxis übernommen: „Es ist dabei üblich und anerkannt, dass die Bewertungsbehörden nach kritischer Prüfung der Originalstudien auch Passagen aus eingereichten Dokumenten in ihre Bewertungsberichte integrieren.“ Das steht in der Tat in der Einleitung eines Kapitels des Bewertungsberichts. Zudem sei der Bericht „nach einer öffentlichen Konsultation und fachlichen Prüfung von jedem einzelnen EU-Mitgliedsstaat geprüft, überarbeitet, gemeinsam diskutiert und von der EFSA verabschiedet und veröffentlicht“ worden. Die Umweltverbände verstünden einfach das Verfahren nicht.
Teil des Streits sind Gutachten der Emeriti Helmut Greim (für die Industrie) und Eberhard Greiser (für die Umweltverbände), die beide für sich beanspruchen, wissenschaftlich neutral gearbeitet zu haben und denen wiederum von der je anderen Seite vorgeworfen wird, genau dies nicht zu tun. Helmut Greim soll sogar seinen Namen für Artikel hergegeben haben, die von Monsanto vorformuliert wurden.
Das BfR verweist in seiner bisher letzten Entgegnung auf das Recht von „Vereinen, Organisationen wie auch Medien, die Arbeit der wissenschaftlichen Behörden kritisch zu hinterfragen. Dies ist ein wichtiges Element eines demokratischen Systems (…). Man tut aber dem öffentlichen Diskurs keinen Gefallen, wenn Wissenschaft diskreditiert wird und dies auf Unkenntnis der gesetzlichen nationalen wie auch internationalen Verfahren beruht.“
Dem kann man nur zustimmen. Vor diesem Hintergrund gestatte ich mir vom Rande des Spielfelds – ich kann weder beim toxikologischen Streit um Glyphosat fachkompetent mitreden noch bei der Rolle des Glyphosateinsatzes in der Landwirtschaft insgesamt – einmal mehr die Frage, die ich auch schon nebenan in meinem ersten Blogbeitrag zu dem Thema gestellt habe: Wie konnte es zu diesem Schlamassel kommen und wie kann man so etwas künftig vermeiden?
In der einschlägigen Verordnung (EG) Nr. 1107/209 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln heißt es in Art. 11 (2) zum Entwurf des Bewertungsberichts: „Der berichterstattende Mitgliedstaat nimmt eine unabhängige, objektive und transparente Bewertung vor dem Hintergrund des neuesten Stands von Wissenschaft und Technik vor.“
Zumindest beim Punkt „Transparenz“ ist es nicht optimal gelaufen. Transparenz definiert sich nicht nur nach den Maßstäben dessen, der etwas transparent machen soll, sondern auch nach den Maßstäben derer, für die etwas transparent gemacht werden soll. Dabei ist klar, dass wissenschaftliche Befunde ebenso wie behördliche Stellungnahmen bei Sachverhalten mit fundamentalen Interessenkonflikten immer umstritten sind. Das ist beim Rauchen, der Atomenergie, dem Nutzen neuer Arzneimittel oder den Dieselabgasen nicht anders als beim Glyphosat. Nicht immer ist die Evidenzlage so klar wie bei den gesundheitlichen Folgen des Rauchens. Für die Politik geht es dann wie für einen Patienten beim Arzt darum, dass unter Unsicherheit und unter Berücksichtigung der Gesamtsituation eine möglichst gute „informierte Entscheidung“ getroffen werden muss. Dass die eigentliche politische Entscheidung nicht nur wissenschaftlichen Orientierungen folgen kann, sondern eine Abwägung von Interessen vornehmen muss, auch von gesundheitlichen und wirtschaftlichen Interessen, ist unumgänglich, das macht das Wesen von Politik aus. Solche Abwägungen genügen aber umso eher dem Allgemeininteresse, je mehr die wissenschaftlichen Aspekte dabei korrekt einbezogen wurden. Darauf zielen die drei in der EU-Verordnung genannten Kriterien Unabhängigkeit, Objektivität und Transparenz der behördlichen Bewertung ab und das ist ein wichtiges Element der Legitimität der darauf gestützten politischen Entscheidung selbst.
Das BfR verweist darauf, sein Vorgehen sei die „ allgemeine, national und international übliche sowie anerkannte Vorgehensweise, die nicht nur bei Pflanzenschutzmitteln, sondern auch bei Arzneimitteln, Bioziden und Chemikalien etabliert sei“. Ich kann auch das nicht beurteilen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Dokumentations- und Transparenzstandards in all diesen Bereichen ganz identisch sind. Daher würde ich mir wünschen, dass man diese Standards, sofern nicht bereits geschehen, einmal systematisch vergleicht und aus diesem Vergleich das für die jeweiligen Bereiche Optimale herausdestilliert. Sich auf die Evaluation und ggf. Verbesserung strittiger Standards zu verständigen, sollte auch bei harten Interessengegensätzen möglich sein. Davon hätten alle etwas.
Kommentare (77)