Eine These
Nebenan bei Mathlog geht es gerade um eine Rede des Wikimedia-Deutschland-Chefs Abraham Taherivand bei der re:publica letzte Woche.
Taherivand: „‘Freies Wissen‘ ist Wissen, das frei ist von Meinungen in einer Welt, die von Meinungen zunehmend destabilisiert wird.“
Ich will diesen Satz einmal als Aufhänger für den darin markierten Gegensatz von Meinung und Wissen nehmen, weil er so wichtig ist, auch recht eingängig, und trotzdem nur eine Meinung.
Es gibt in der Philosophie eine klassische Analyse des Begriffs des Wissens, Wikipedia hilft weiter: Wissen ist gerechtfertigte, wahre Meinung. Mit anderen Worten ist all das kein Wissen, was nicht stimmt und auch all das nicht, was zwar stimmt, aber ohne dass sich dafür gute Gründe anführen lassen. Dann weiß man nämlich nicht, dass man etwas weiß.
Ein Problem
Edmund Gettier hat dann in einem weltberühmten kurzen Aufsatz mit dem Titel „Is Justified True Belief Knowledge?” 1963 die klassische Analyse des Wissens infrage gestellt, weil eine Überzeugung auch mit augenscheinlich guten Gründen trotzdem nur zufällig wahr sein kann. Wiederum kann man bei Wikipedia nachlesen, um was es beim „Gettier-Problem“ geht, das muss uns hier im Detail nicht weiter beschäftigen.
Ein erster Gewinn dieses kleinen Ausflugs in die Philosophie: Wissen ist nicht das Jenseits der Meinungen, sondern eine Teilmenge unserer Meinungen, und zwar die Teilmenge unserer Überzeugungen, die sich durch bestimmte Bezüge, nämlich Wahrheit und Rechtfertigung, auszeichnet. Und vielleicht kommt noch etwas dazu, siehe das Gettier-Problem, aber das sei einmal dahingestellt.
Wahrheit
Ob eine Aussage wahr ist, kann man nicht immer herausfinden. Vor allem bei empirischen Gesetzesaussagen geht es nicht so einfach, wie seit Popper allgemein bekannt ist. Solche Gesetzesaussagen können wir falsifizieren, aber nicht verifizieren. Das macht die faktische Bestimmbarkeit von „Wissen“ schwierig. Manche Leute glauben außerdem, es gäbe nicht die eine Wahrheit, sondern nur perspektivische Betrachtungen oder gleichwertige Beschreibungen der Welt. Trotzdem bleiben die beiden Anker Wahrheit und Rechtfertigung für das, was Wissen ist, auch für seine perspektivischen Varianten, konstitutiv. Ohne den zumindest erkenntnisleitenden Willen zur Wahrheit, methodisch angeleitet z.B. durch Poppers Falsifikationismus, würden wir in der Tat nur in einem Meer beliebiger Meinungen herumschwimmen, zumal auch das Rechtfertigen ohne diese regulative Idee nicht auskommt. Dann wären Trumps „alternative Fakten“ alternativlos.
Dieses Rechtfertigen mit dem Willen zur Wahrheit ist etwas Undemokratisches. Die Welt des Wissens ist keine Demokratie, auch nicht, wenn man einer Konsenstheorie der Wahrheit anhängt, auch in diese ist die Differenz zum bloßen Meinen und Behaupten eingezogen, manche sagen, in einer petitio principii. Mag sein. Auch dazu gibt es viel Wissen bei Wikipedia, wer will, lese dort nach.
Meinungsstreit
Gehen wir einen Schritt weiter. Das Meer der Meinungen ist auch nicht der Mr. Hyde des Wissens, sondern eher die Ursuppe, in der alles entsteht. Ohne eine quirlige Produktion von Ideen, Rechthaberei und Streit wäre der Weg in den Dogmatismus kurz, zumal, wie gesagt, in vielen Bereichen niemand die Wahrheit für sich gepachtet hat. Daher schützt das Grundgesetz zu Recht die Meinungsfreiheit. „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“, heißt es in Art. 5 (1) des Grundgesetzes. Dann kommt noch die Einschränkung, dass dieses Recht Grenzen hat, was die Marktschreier des „Das wird man doch noch sagen dürfen“ gerne vergessen. Die Meinungsfreiheit ist aber kein Recht, das Meinungen gegen Kritik schützt. Das wäre schließlich ein Widerspruch in sich. Dann würde die Meinung gewinnen, die zuerst geäußert wurde. Im Grundgesetz steht aber, dass jeder das Recht auf Meinungsfreiheit hat, nicht nur der Schnellste. Und vor allem hätte dann das produktive Moment des Meinungsstreits keine Chance. Dieser Streit, wenn er aus dem Meer der Meinungen heraus auf Inseln des Wissens führen soll, muss sich wiederum, siehe oben, an seiner Orientierung an der Wahrheit, an guten Rechtfertigungen, messen lassen. Das Gesetz des Stärkeren ist kein erkenntnistheoretisches Gesetz, sofern man darunter nicht das Gesetz des stärkeren Arguments versteht.
Macht und Meinung
Trump kann seinen Meinungen vielleicht Geltung verschaffen, weil er Macht hat, so wie es früher die Kirche auch konnte, mit mehr Respekt vor der Notwendigkeit der Rechtfertigung übrigens. Gauland hat vielleicht Erfolg mit seinen Sprüchen, weil die Leute darin nur Stallgeruch suchen, Identitätsmarker, und ihnen egal ist, ob stimmt, was Gauland sagt. Aber Wissen entsteht so nicht. Wenn die Unterscheidung zwischen dem demokratischen Recht auf freie Meinung und der der Vernunft geschuldeten Pflicht zur gerechtfertigten Meinung zu sehr untergeht, dann droht, was Taherivand sagte, dass die Welt zunehmend destabilisiert wird. Man muss davon ausgehen, dass das den Trumps und Gaulands dieser Welt entgegenkommt. Meine Meinung.
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