Für die AfD ist die Welt einfach: Schuld an allem sind die Ausländer, der Euro und die Merkel, Reihenfolge je nach Bedarf. Wenn es um die Gesundheit des deutschen Volkskörpers geht, führen die Ausländer die Schuldigenliste an. Die einen schleppen Krankheiten ein, die anderen lassen sich von unseren Krankenkassenbeiträgen Goldzähne machen.

Aus dieser Geisteshaltung heraus stellt die AfD immer wieder auch Bundestagsanfragen. Vor einem Jahr hatte die AfD z.B. wissen wollen, wie es mit Behinderungen infolge von Verwandtschaftsehen aussieht. Ergebnis: Die weitaus meisten Behinderungen sind nicht angeboren und Ausländer unter den Behinderten unterrepräsentiert. Ergo: Thema für die AfD abgehakt, wie man die tatsächlich relevanten Risiken für Behinderungen vermindert oder den Alltag von Menschen mit Behinderungen verbessern kann, interessiert sie nicht.

In diesem Jahr fragt die AfD die Bundesregierung nach der Rolle von Verwandtenehen für die Säuglingssterblichkeit. Vor allem im Berliner Bezirk Neukölln vermutet sie da Zusammenhänge, schließlich leben dort viele Muslime, bei denen wie früher wohl auch in den Dörfern hierzulande gerne im sozialen Nahbereich geheiratet wird. Die Säuglingssterblichkeit in Neukölln ging bereits letztes Jahr durch die Medien. Sie lag den Daten der Berliner Gesundheitsberichterstattung zufolge schon Anfang der 1990er Jahre über dem Berliner Durchschnitt, wer weiß, wie lange schon davor.

Bestimmte genetische Risiken treten bei Verwandtschaftsehen tatsächlich häufiger auf, aber ob sie die Säuglingssterblichkeit in Neukölln messbar beeinflussen, ist unklar, es ist eher unwahrscheinlich. Einer der wichtigsten Risikofaktoren bei der Säuglingssterblichkeit ist die Frühgeburtlichkeit – wenn man so will, der medizinische Fortschritt. Viele der betroffenen Kinder wären früher gar nicht lebend auf die Welt gekommen. In der Todesursachenstatistik wird der Verwandtschaftsgrad der Eltern übrigens nicht erfasst, es gibt in Deutschland seit 1945 auch keine Erbgesundheitskartei mehr. Ich bin gespannt, was die Bundesregierung antworten wird.

Die AfD fragt auch danach, ob „der Bundesregierung außer Berlin-Neukölln andere Regionen mit außergewöhnlich hoher Säuglingssterblichkeit bekannt [sind], und wenn ja, welche?“ Diese Frage lässt sich gut beantworten. Bei der Säuglingssterblichkeit geht es absolut gesehen um sehr kleine Fallzahlen. Damit man halbwegs stabile Daten hat, sollte man entweder mehrere Jahre aggregieren oder den räumlichen Bezug entsprechend wählen. Geht man auf die Ebene der Raumordnungsregionen, die sich über die Datenbank INKAR bequem herunterladen und bei Bedarf mit anderen Regionalmerkmalen korrelieren lassen, stand 2015, dem letzten dort dokumentierten Jahr für die Säuglingssterblichkeit, die Raumordnungsregion Altmark mit 5,8 gestorbenen Säuglingen je 1.000 Lebendgeborenen ganz oben. Der Ausländeranteil dort lag – ebenfalls 2015 – mit 3,4 % sehr niedrig. Den höchsten Ausländeranteil hatte die Raumordnungsregion München mit 19,2 %, dafür lag hier die Säuglingssterblichkeit mit 2,3 gestorbenen Säuglingen je 1.000 Lebendgeborenen sehr niedrig. Ähnlich sieht es bei der Raumordnungsregion Rhein-Main aus, zweithöchster Ausländeranteil (18,6 %), Säuglingssterblichkeit 2,1 je 1.000.

Weder auf Kreisebene noch auf der Ebene der Raumordnungsregionen korrelieren Säuglingssterblichkeit und Ausländeranteil in erwähnenswertem Umfang. Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit bei ausländischen Kindern ist insgesamt erfreulich, sie hat sich der der deutschen Kinder weitgehend angenähert. Erhöhte Risiken gibt es bei Zuwanderern, die noch nicht lange in Deutschland leben und z.B. das Vorsorgesystem nicht gut kennen oder bei denen Fluchtbelastungen nachwirken.

Eine Beratung von Paaren, die verwandt sind, hinsichtlich genetischer Risiken ist sicher sinnvoll. Aber mit Blick auf die Säuglingssterblichkeit sollte man sich vor allem um andere Dinge kümmern, vom Rauchen in der Schwangerschaft bis hin zur Verbesserung der Frühgeborenenversorgung einschließlich einer besseren Balance aus Wohnortnähe und Mindestmengen. An das heikle Thema Mindestmengen will die AfD aber nicht ran, sie tritt lieber populistisch für den Erhalt auch kleinster Geburtsstationen mit allen Leistungen ein.

——
[Edit: Bei der Säuglingssterblichkeit der Raumordnungsregion Rhein-Main hatte sich ein Schreibfehler eingeschlichen. Sie lag 2015 bei 2,1 je 1.000, nicht bei 2,3.]

Kommentare (17)

  1. #1 borstel
    12. Juni 2019

    Ach ja, Neukölln! Das Feindbild der AfD. Diese dummen Kerle sollten aufhören, Steuergeld mit solchen Anfragen zu verschwenden.

  2. #2 RPGNo1
    12. Juni 2019

    Wollen wir mal raten, wann ein AfD-Funktionär die Eugenikgesetze des Dritten Reichs lobend erwähnt?
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Verh%C3%BCtung_erbkranken_Nachwuchses

    *Sarkasmus Ende*

  3. #3 Noch'n Stephan
    13. Juni 2019

    Danke für die Infos, Josef. Bei all dem bullshit, den die afd verbreitet, ist es immer hilfreich, wenn man irgendwo die passenden Hintergründe finden kann.

    Vielleicht noch eine Ergänzung aus eigener ‘Beobachtung’:

    Ich weiß nicht, wie Säuglingssterblichkeit von Neukölln bestimmt wird. Aber in Neukölln hat eine der größten Geburtsstationen in Berlin mit großer Neugeborenen Intensivstation. Das Krankenhaus ist Anlaufstelle für werdende Eltern weit über den Bezirk hinaus. Kann das zu einer statistischen Verzerrung führen?

    • #4 Joseph Kuhn
      13. Juni 2019

      @ Noch’n Stephan:

      “Neugeborenen Intensivstation … Anlaufstelle für werdende Eltern weit über den Bezirk hinaus. Kann das zu einer statistischen Verzerrung führen?”

      Die Säuglingssterblichkeit wird in der amtlichen Statistik nach dem Wohnortprinzip berechnet, d.h. der Einzugsbereich des Klinikums hat keinen Einfluss.

      Dass der Kommentar nicht automatisch freigeschaltet wurde, hat mit der aktuellen Filtereinstellung zu tun. Mit etwas Glück geht es beim nächsten Mal von alleine.

  4. #5 nihil jie
    13. Juni 2019

    Aber die Aristokraten in der AfD sollten sich doch am besten mit den Verwandtschaftsehen auskennen. Die Wundersame Alice bräuchte diesbezüglich nur die Storchfrau befragen 😉

  5. #6 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    13. Juni 2019

    Eine Gefahr für Ungeborene und Säuglinge, die aus Arabien stammt, wird von den Rechten aber ganz übersehen: der konzentrierte AL KOHOL.

  6. #7 zimtspinne
    13. Juni 2019

    Wieso stammt der aus Arabien? Kennt man die Wiege des Alkohols überhaupt so genau?

    Und wieso ist gerade in Neukölln die Säuglingssterblichkeit höher? Oder weshalb gibt es dort besonders viele Frühgeburten oder besonders viele Frühgeburten im kritischen Stadium, die häufiger nicht überleben?
    Irgendwann wird man sich einmal kritisch damit befassen werden, ob alles, was medizinisch machbar ist, auch wirklich immer ausgeschöpft werden sollte und muss, bis zum Gehtnichtmehr.
    Dann könnte man die Schwangerschaft und Geburt auch vorn vornherein ganz auslagern, nicht auf Leihmütter, sondern auf künstliche GebärMütter.
    Und dann wundert man sich über eine rasant wachsende Gegenbewegung, die alles natürliche, vorsintflutliche verehrt und verklärt und den Aberglauben zurückholt in die Gedanken.
    sorry, das schweift jetzt ab, aber ich konnte mich nicht zurückhalten.
    [ohgotthilfe, es wird ja tatsächlich bereits über künstliche Gebärmuttern/mütter nachgedacht und dran geforscht]

  7. #8 Noch'n Stephan
    13. Juni 2019

    @Josef Kuhn
    Danke fürs Freischalten und die Info.

  8. #9 RPGNo1
    13. Juni 2019

    @zimtspinne
    Nerdwissen 😉

    Deutsch Umschrift Arabisch
    Alkohol al-kuḥūl الكحول

  9. #10 wereatheist
    Nachbarbezirk von Neukölln
    13. Juni 2019

    @zimtspinne:
    Nicht der Alkohol, sondern das Wort Al-kohol ist Arabischen Ursprungs.
    So wie auch viele Sternnamen, z.B. Al-gol, Al-nitak, Al-nilam, Al-kor, Al-tair, Al-debaran und Al-deramin.
    Dazu Wörter wie Al-kali, Al-gebra, Al-gorithmus und Al-abaster.
    Zur Säuglingssterblichkeit in Neukölln: Ist es verwunderlich, wenn Sozialstatus (d.h. Armut) und Bildungsgrad mit der fast optimalen oder nicht so optimalen Nutzung von Gesundheitsangeboten korrelieren?
    Suchterkrankungen der Mütter dürften bei der Türkischen oder Arabischen community gegenüber Deutschen “Sozial Schwachen” eher unterrepräsentiert sein.

  10. #11 Alisier
    13. Juni 2019

    FAS ist in der Tat ein recht deutsches Phänomen.
    Saufende muslimische Schwangere eher eine Seltenheit.

  11. #12 zimtspinne
    13. Juni 2019

    Das müsste dann aber in jedem Brennpunkt so sein.

    Außerdem ist Schwangerschaft keine Krankheit. Da bedarf es außer bei Risikoschwangerschafter keiner gesonderten und erhöhten Nutzung von Gesundheitsangeboten.
    Sich halbwegs einen passenden Lebensstil zuzulegen, falls der davor nicht so passend war für die neue Situation, dürfte völlig ausreichen.
    Dass Alkohol, andere Drogen und Qualmerei völlig tabu sein sollten, ist ja wohl jedem bekannt.
    Frau muss da gar nicht bis ins Detail wissen, auf welche Arten das Ungeborene geschädigt werden kann (Bildung; das wissen auch viele Bessergebildete nicht so genau), es reicht zu wissen, das geht alles nicht und muss auch so verantwortungsbewusst umgesetzt werden.

  12. #13 zimtspinne
    13. Juni 2019

    Man kann nicht mit “Armut” für alles eine Entschuldigung haben, das gilt ja auch für die schwierige Kindheit.
    Irgendwann müssen die Menschen auch mal für sich Verantwortung übernehmen und können sich nicht rausreden.
    Außerdem waren unsere Großmütter und Urgroßmütter auch großteils arm und viel weniger gebildet als heute, hatten dazu noch etliche Schwangerschaften mehr auszutragen und trotzdem verhielten sich die meisten wohl halbwegs verantwortungsbewusst.
    Täten Frauen das nicht intuitiv, wäre die Menschheit wohl schon längst ausgestorben.
    Naja und dann muss man auch dazu sagen, dass Fehl- und Frühgeburten eigentlich auch was völlig normales sind…. etwa ein Viertel aller Schwangerschaften werden vom Körper selbst abgebrochen, aus Gründen, aber ich rechne damit, auch diese werden eines Tages noch den Rettungsversuchen der Hochleistungsmedizin anheim fallen…… ^^

    • #14 Joseph Kuhn
      13. Juni 2019

      @ zimtpinne:

      “Irgendwann müssen die Menschen auch mal für sich Verantwortung übernehmen”

      Säuglinge tun sich noch etwas schwer mit der Eigenverantwortung.

      “Außerdem waren unsere Großmütter und Urgroßmütter auch großteils arm … etliche Schwangerschaften mehr auszutragen und trotzdem verhielten sich die meisten wohl halbwegs verantwortungsbewusst.”

      Woher wissen Sie das mit den verantwortungsbewussten Großmüttern? Und: Ende des 19. Jahrhunderts starb jedes vierte Kind im ersten Lebensjahr, in armen Gegenden noch mehr. So richtig gut ist Ihr Argument nicht.

      “dann muss man auch dazu sagen, dass Fehl- und Frühgeburten eigentlich auch was völlig normales sind”

      Fehlgeburten zählen nicht zur Säuglingssterblichkeit. Und Frühgeburten sind auch nicht “völlig normal”, auch wenn ihre Zahl aus verschiedenen Gründen zunimmt.

  13. #15 wereatheist
    Nich weit vom Drogenkaufhaus Görli
    13. Juni 2019

    @zimtspinne:

    Das müsste dann aber in jedem Brennpunkt so sein.

    Jep. Aber Statistik is ne Bitch, Du brauchst genügende Fallzahlen und eine vernünftige Erfassung von Daten.

    Außerdem ist Schwangerschaft keine Krankheit

    Sicher nicht, aber trotzdem ein Sterberisiko von Frauen vor der Menopause.

    Da bedarf es außer bei Risikoschwangerschaften keiner gesonderten und erhöhten Nutzung von Gesundheitsangeboten.

    Ich hab das Relevante mal für dich hervorgehoben: wenn Migrantinnen/’Assis’/Junkies gewisse Dienste bei Risikoschwangerschaften weniger nutzen als Bewohner Zehlendorfer Villen, gibts mehr Säuglingssterblichkeit.

  14. #16 Trottelreiner
    16. Juni 2019

    @Alisier:

    Saufende muslimische Schwangere eher eine Seltenheit.

    Depends. Alkohol ist zwar haram, aber es gibt durchaus auch muslimische Alkoholiker, letztes Jahr hate ich z.B. ich in einer Kleinstadt im Ruhrgebiet an einer Bushaltestelle einem volltrunkenen Türken und seinem Verwandten getroffen, daß der Volltrunkene eine Misbaha trug und in meiner Erinnerung irgendwann die Schahada zitierte macht die Sache noch surrealer.

    Anderes Problem, Nikotin scheint bei “normalen” Muslimen beiderlei Geschlechts zumindest nicht haram zu sein, bei strikteren Muslimen glaube ich eine Tendenz zur Ablehnung wahrzunehmen, ähnlich wie bei religiösen Christen.

    Und Nikotinkonsum korreliert in meiner Erfahrung recht stark mit prekärer sozialer Lage, neben einer eventuellen AD(H)S-Selbstmedikation (ich hatte bei meiner letzten Arbeitsstelle einige entsprechende Begegnungen) muß man sich einfach mal vor Augen halten das etliche Betroffene 2 oder mehr Jobs gleichzeitig haben, Nikotin ist da eine legale Psychostimulans wenn man nicht gleich zu Speed greifen will…

  15. #17 Joseph Kuhn
    18. Juli 2019