Interessenkonflikte im Zeichen der Moderne
Sorry, dass schon wieder die Homöopathie Thema ist. Aber ähnlich wie seinerzeit Passivrauchen oder Glyphosat oder aktuell der Klimawandel ist der Streit um die Homöopathie auch ein öffentlicher Schauplatz des Umgangs mit wissenschaftlicher Evidenz in Interessenkonflikten.
Unsere Zeit ist eine Zeit, in der nur schwer ganz offen gegen Wissenschaft, gegen Demokratie oder gegen Patientensouveränität argumentiert werden kann. Es geht dabei schließlich um elementare gesellschaftliche „Orientierungsmarken“ des Selbstverständnisses der Moderne. In der Konsequenz werden sie bei tiefgreifenden Interessenkonflikten nicht direkt geleugnet oder frontal angegriffen, sondern nach Möglichkeit instrumentalisiert. So wie die AfD für echte Freiheit und Demokratie eintritt, so die Homöopathen für die wahre Wissenschaft.
Im Moment tragen die Grünen einen „Kulturkampf“ um die Homöopathie aus, wie es nebenan Marcus Anhäuser formuliert hat. Bei manchen älteren Grünen gibt es eine noch aus der Zeit der alternativen Gesundheitsbewegung der 1970er und 1980er Jahre stammende Sympathie für die Homöopathie. Sie war damals ein Symbol für eine Medizin, die nicht dem Paradigma einer naturwissenschaftlich verengten Medizin folgt, wie sie z.B. von Ivan Illich oder Thomas McKeown zurecht kritisiert wurde. Die Homöopathie war vielmehr ein Symbol für eine dem Menschen zugewandte, seine Autonomie achtende, seine Selbstwirksamkeit unterstützende statt durch ärztlichen Paternalismus ignorierende Medizin.
Aber solche Symbole können sich historisch überleben. Bei der Homöopathie ist das der Fall. Inzwischen ist die Last der Studienlage gegen die Homöopathie erdrückend, auch wenn die Homöopathie-Lobby das bestreitet – wie gesagt, auch Wissenschaft wird in diesem „Kulturkampf“ für die eigenen Interessen in Anspruch genommen. Daran ändert es nichts, dass es innerhalb der Homöopathieszene durchaus Leute gibt, die der „normalen“ Wissenschaft insgesamt die Legitimation absprechen und gleich ganz andere Wissensformen propagieren, meist verbrämt als „pluralistisches“ oder „undogmatisches“ Wissenschaftsverständnis, eine Anleihe aus der postmodernen Gedankenwelt. Aber das ist vermutlich auch unter den Homöopathen, zumindest der ärztlichen Homöopathen, eine Minderheit.
Die Grünen im Kulturkampf
Bei den Grünen gibt es nun für die 44. Bundesdelegiertenkonferenz im November in Bielefeld drei Anträge zur Homöopathie. Einen, der fordert, die Kassenfinanzierung der Homöopathie zu beenden, zwei, die sich dagegen wenden. Die Pro-Homöopathie-Anträge bemühen, wie nicht anders zu erwarten, die oben genannten Orientierungsmarken.
Darauf, wie wissenschaftlich die Homöopathie ist, was von der Bewertung der Studienlage durch die Lobby zu halten ist, vom Argument der „Wahlfreiheit“ als Gegenargument zur Evidenzbasierung oder vom Argument der Orientierung am aufgeklärten Patienten in einer oft weltanschaulich verkrusteten, bisweilen sektenartig agierenden Szene, will ich hier nicht mehr eingehen, dazu gibt es im Internet, auch hier auf Gesundheits-Check, genug zu lesen.
Ich will vielmehr auf einen einfachen, aber aufschlussreichen Punkt aufmerksam machen. Vor kurzem haben alternativmedizinische Verbände einen offenen Brief an den KBV-Chef Andreas Gassen geschrieben, weil der die Kassenfinanzierung der Homöopathie infrage stellt. Die Kassenfinanzierung sichert ein hochpreisiges Niveau der Homöopathika auf Kosten der Allgemeinheit, daher hat insbesondere die Pharmaindustrie ein Interesse daran, den Status quo zu erhalten. Die gutsituierte Homöopathie-Kundschaft wäre darauf nicht angewiesen, für sie geht es eher ums Prinzip, d.h. um das Symbol.
Lobbyismus im Kulturkampf
Einer der Pro-Homöopathie-Anträge für die grüne Delegiertenkonferenz wiederholt nun wörtlich Passagen aus dem offenen Brief der Verbände an Gassen:
Der Verbändebrief an den KBV-Chef:
„Es gibt im Übrigen auch eine Reihe vom BfArM, im Rahmen des Zulassungsverfahrens wirksamkeitsgeprüfter homöopathischer Arzneimittel! Bezweifeln Sie neuerdings die fachliche Qualifikation der deutschen Zulassungsbehörde zur Wirksamkeitsbeurteilung von Arzneimitteln? (…) Ihre Aussage zum fehlenden Wirksamkeitsbeleg homöopathischer Arzneimittel steht damit auch im Widerspruch zur Zulassungspraxis des BfArM.“
Der Antrag für die Delegiertenkonferenz:
„Es gibt im Übrigen auch eine Reihe von der deutschen Arzneimittelbehörde BfArM im Rahmen des Zulassungsverfahrens wirksamkeitsgeprüfter homöopathischer Arzneimittel mit Zulassungsstatus! Bezweifeln die Kritiker*innen der Homöopathie neuerdings die fachliche Qualifikation der deutschen Zulassungsbehörde zur Wirksamkeitsbeurteilung von Arzneimitteln? Die Behauptungen zum fehlenden Wirksamkeitsbeleg homöopathischer Arzneimittel stehen damit auch im Widerspruch zur Zulassungspraxis des BfArM.“
Mit anderen Worten: Die Lobby stellt einen Antrag bei der Delegiertenkonferenz. Jetzt stelle man sich einmal vor, Lobbyisten von Big Pharma würden das tun, und frage sich, wie das wohl von den Delegierten aufgenommen würde, dann merkt man, mit welch unterschiedlichen Maßstäben in solchen Interessenkonflikten gemessen wird.
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