Ist der Mond jetzt von Bärtierchen bewohnt?
Diese Überschriften geisterten in dieser Woche durch die Medien.
Der Hintergrund: im April sollte die israelische Mondsonde Beresheet (hebräisch für Genesis /Schöpfung) auf dem Erdtrabanten landen.
Sie hatte u. a. Bärtierchen an Bord. Bei der Landung war ein Motor ausgefallen und die Sonde machte am 11.04. eine Bruchlandung auf der Mondoberfläche. Dabei könnten auch die achtbeinigen Mini-Raumfahrer auf die Mondoberfläche geraten sein. Die etwa 600 Kilogramm schwere und 1 mal 2,3 Meter große Beresheet dürfte mit etwa 3540 Kilometer/Stunde auf dem Mond aufgeschlagen sein.
Die NASA Sonde Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) hat die Absturzstelle gefunden und fotografisch dokumentiert. Ein am 22.04 aufgenommenes Bild zeigt einen etwa 10 Meter breiten Fleck.
Beresheet ist konstruiert worden vom israelischen SpaceIL-Unternehmen – einer Non-Profit-Organisation. Ihr Ziel: die erste israelische Mondlandung und dadurch ein „Apollo“-Effekt – also die Begeisterung junger Menschen für die Raumfahrt. Das Etablieren der technologischen Anforderungen und Fähigkeiten für Raumfahrt im Bildungssystem.
Zur Finanzierung des Mondflugs hatte Beresheet die Payload (bezahlte Fracht) verschiedener Organisationen und Unternehmen an Bord.
Darunter die Bärtierchen und Zellproben.
Aus dieser Nachrichtlage ergeben sich für mich einige Fragen:
- Aus welchem Grund hatte die Sonde ausgerechnet Bärtierchen an Bord?
- Könnten einige dieser Tiere die Bruchlandung überlebt haben?
- Ist die Bestückung einer Mondsonde mit Lebewesen und DNA-Proben überhaupt vertretbar aus Sicht der Planetary Protection?
- Ist es ethisch vertretbar, lebende Organismen ins All zu schießen – ohne Rückflugticket?
Diese Fragen habe ich dem Arch Mission Team gestellt – der CEO Nova Spivack hat mir geantwortet.
Beresheets seltsame Fracht
Die israelische Mondsonde Beresheet des israelischen privaten Raumfahrtunternehmen SpacelL sollte als erst privates Raumfahrzeug auf dem Mond landen. Unter ihrer Payload war die Ladung der Arch Mission Foundation.
Die Arch Mission Foundation will nichts weniger als das Gedächtnis der Menschheit sein: Ein Back-up des Planeten Erde (The Memory of Humanity: The Arch Mission Foundation is a non-profit organization that maintains a backup of planet Earth, designed to continuously preserve and disseminate humanity’s most important knowledge across time and space.
The Arch Mission Foundation is preserving the knowledge and biology of our planet in a solar system wide project called The Billion Year Archive.)
Und so gelangten Tausende von Bärtierchen und irdischen DNA-Proben an Bord der israelischen Mondsonde. Die Bärtierchen waren allerdings in einer inaktiven Form zum Raumflug aufgebrochen: sie waren getrocknet.
Bärtierchen oder Tardigrada sind Kulttiere der Astro-Wissenschaftler und Freaks. Die mikroskopisch kleinen Verwandten der Gliederfüßer mit acht Beinen und Rüssel leben in feuchter Umgebung, etwa im Moos oder Meer. Irgendwann im Laufe ihrer langen Evolution haben Sie sich für eine außerordentliche Robustheit entschieden, die sie heute zu perfekten Astronauten macht. Sie überleben ihre totale Austrocknung, extrem niedrige oder hohe Temperaturen, trotzen radioaktiver Bestrahlung und dem Vakuum des Weltalls. Widrige Umweltbedingungen wie etwa Trockenheit überdauern sie als Dauerstadien – sie können zum Tönnchenstadium einschrumpeln.
Aufgrund dieser Eigenschaften werden sie regelmäßig für Experimente auf der ISS und an anderer Stelle im Weltall eingesetzt.
Warum hat die Arch Mission Foundation Bärtierchen als Teil ihrer Bibliothek ins Weltall geschossen?
Das habe ich Nova Spivack gefragt, den Gründer und CEO.
Nova Spivacks Antwort war sehr kurz – und nahezu identisch mit seinen Tweets dazu:
„To possibly preserve some DNA samples and seeds of life from our era, at an offsite location.”
Warum sie diese Auswahl getroffen haben und weshalb ausgerechnet Bärtierchen die Erde repräsentieren sollen (für nachfolgende Generationen und eventuelle Außerirdische Besucher), die Antwort ist er mit leider schuldig geblieben.
Ansonsten ist noch genug DNA dabei, um die Erde nach was auch immer wieder zu bevölkern.
Wie waren die Bärtierchen gelagert?
Ein Teil der Bärtierchen ist also in Epoxydharz versiegelt worden, zusammen mit menschlichen, pflanzlichen und Mikroorganismen-Zellen. Andere sind auf Kapton-Klebeband befestigt worden. Diese Tardigraden-Behältnisse waren dann mit DNA-Proben von 25 Menschen und Spuren exotischer Pflanzen zwischen die Nickelscheiben gelegt worden. Auf den Nickelscheiben sind Tausende Werke der Weltliteratur eingraviert.
Könnten einige Bärtierchen den Absturz überlebt haben?
Nova Spivack meint „Ja!“.
Andere Leute teilen diesen Optimismus nicht so ganz: Zunächst müssten die Tardigraden nämlich aus ihrem Tönnchenstadium mit Wasser erweckt werden, um aufzuerstehen. Rein theoretisch könnte man das probieren. Wie viele von ihnen dann die lange Trockenheit, die Kälte, das Vakuum und die Strahlung überlebt haben, ist fraglich.
Ob sie dann noch fortpflanzungsfähig sind, ist noch einmal eine andere Frage – wahrscheinlich eher nicht.
Um die Bärtierchen wieder in den Wachzustand zu versetzen, müssten sie an Wasser, Sauerstoff und an Nahrung gelangen, erklärte der Biochemiker William Miller (Baker University in den USA). Das sei unter den auf dem Mond herrschenden Bedingungen quasi unmöglich. Außerdem könne man nicht sicher davon ausgehen, dass die Tierchen die Explosion der Sonde überlebt haben.
Falls sie das überlebt haben sollten, ist es fraglich, ob jemals jemand zum Nachschauen und Wässern kommen wird.
Vielleicht sind sie auch längst alle ins große intergalaktische Sporennetzwerk eingegangen. Wer weiß.
Planetary Protection
Meine nächste Frage zielte auf die Planetary Protection ab – den Planetaren Schutz:
Der Planetare Schutz soll verhindern, dass irdische Lebensformen wie Mikroorganismen oder Biomoleküle mit Raumfahrzeugen andere Planeten, Monde, Asteroiden, oder Kometen erreichen und kontaminieren – als Vorwärts-Kontamination. Außerdem soll verhindert werden, dass mit zurückkehrenden Raumfahrzeugen mögliche extraterrestrische Lebensformen die irdische Biosphäre kontaminieren – das wäre die Rückwärts-Kontamination.
Spivacks kurze Antwort: „The Moon is Type 1-destination. Nearly 100 bags of human waste Swere left by the Apollo astronauts – containing trillions of microorganisms. China recently landed a small plant experiment.”
„The Moon is Type 1-destination“ – dabei bezieht er sich auf die Kategorien, die COSPAR zum planetaren Schutz definiert hat.
COSPAR (Committee on Space Research) ist der Ausschuss für Weltraumforschung zu Beginn des Raumfahrtzeitalters von den raumfahrenden Staaten gegründet wurde. Sie haben auch Guidelines zur Planetary Protection erarbeitet, COSPAR (Committee on Space Research) unterscheidet dabei fünf Kategorien.
De facto stimmt Spivacks Aussage nicht: Der Mond gehört nämlich nicht zu Kategorie 1, sondern zur Kategorie 2.
Category II: Any mission to locations of significant interest for chemical evolution and the origin of life, but only a remote chance that spacecraft-borne contamination could compromise investigations. Examples include the Moon, Venus, and comets. Requires simple documentation only, primarily to outline intended or potential impact targets, and an end of mission report of any inadvertent impact site if such occurred.
Zwischen “not of direct interest for understanding the process of chemical evolution or the origin und “of significant interest relative to the process of chemical evolution and the origin of life, but where there is only a remote chance that contamination carried by a spacecraft could compromise future investigations.” liegt zumindest für mich doch ein gradueller Unterschied.
Auch wenn es hier letztendlich nur eine aufwändigere Dokumentation bedeutet.
Den Rest seiner Aussage finde ich unsäglich: “Nearly 100 bags of human waste Swere left by the Apollo astronauts – containing trillions of microorganisms. China recently landed a small plant experiment.”
Wenn da eh schon so viel Dreck und Mikroorganismen sowie ein chinesisches Pflanzenexperiment liegen, kann man noch etwas mehr Dreck/Mikroorganismen daneben ablegen.
Und es geht ja nicht nur um Abfall, sondern um theoretisch überlebensfähige Organismen.
Zu dem Thema steht im Scientific American gerade etwas mehr:
“Tardigrades Were Already on the Moon – It may not be smart to add more, but nature probably beat us to it anyway” schreibt der Caleb A. Scharf on August 8, 2019, Director of astrobiology at Columbia University im Scientific American.
Da mir neu ist, dass der Mond längst von Tardigraden bewohnt sein soll, habe ich den Beitrag mit großem Interesse gelesen:
“Big impacts can send billions of cm-scale chunks from the surface of the Earth out across the solar system. Some of those pieces may take thousands of years to drop onto other planetary bodies, wending their way through an unseen web of orbital pathways, but they will get there. Indeed, computer modeling of impact ejecta suggest that even far flung places like Titan around Saturn should – albeit rarely – be recipients of pieces of Earth over time. Places like Mars, or the Moon, get far more detritus.“
Scharf schreibt, dass durch Impacts, also Meteoriteneinschläge auf der Erde, größere Brocken der Erdoberfläche mitsamt ihrem Leben herausgerissen und ins All geschleudert worden sein können. Die könnten dann theoretisch bis zum Mond oder Mars gelangt sein, so dass, rein hypothetisch, Mars und Mond längst von Erdorganismen bevölkert sein könnten.
Und darum sei es überhaupt kein Problem, dass jetzt (auch) mit dem israelischen Lunar Lander Bärtierchen und Zellen auf den Mond geraten sind.
Über solche Statements kann ich in einer Zeit, in der wir über die irdischen Müllberge und über invasive Arten diskutieren und viele Leute endlich zu begreifen zu beginnen, dass unsere Müll- und Wegwerf-Kultur kurz- und langfristige Probleme bedeutet, nur den Kopf schütteln. Scharfs Beitrag finde ich so aufgesetzt parteiisch, dass er schon an einen Gefälligkeits-Artikel zur Unterstützung der Arch Mission Foundation heranreicht.
Ich finde beide Statements wenig durchdacht – ein rationaler und verantwortungsbewußter Mensch sollte sein Handeln besser reflektieren und die Folgen zu Ende denken.
Für Arch Mission Foundation ist das natürlich ein Freibrief, wie Nova Spivacks Tweet vom 06. August zeigt.
Einige andere Astrobiologen sehen Scharf übrigens kritisch. Die Astrobiologin Monica Vidaurri – sie ist u. a. Raumfahrt-Beraterin des Goddard Space Flight Center – reagierte ähnlich entsetzt wie ich. Sie wies auch darauf hin, dass durch die Privatisierung der Raumfahrt auch die Einhaltung der internationalen Regelwerke, auf die sich die großen Raumfahrtagenturen verständigt haben, schwierig wird. Auch damit hat sie recht – eine ähnliche Diskussion hatten wir bereits vor ca 6 Jahren nach einem Vortrag von David Salt (ESA) über den Beginn der privaten Raumfahrt auf der Starkenburg-Sternwarte.
Ist es o. k. Bärtierchen oder andere Organismen ins All zu schießen?
Tiere zu verbrauchen, um Menschenleben zu retten, ist eine Sache – ich bin die letzte, die ein totales Verbot von Tierversuchen fordert.
Tiere für astrobiologische und raumfahrtmedizinische Experimente einzusetzen, überzeugt mich auch meist noch.
In diesem Fall sind die Tardigraden aus den diffusen Gründen der Arch Mission Foundation zum Mond gesendet worden. Es gab kein weiteres Ziel, kein durchdachtes Experiment mit einer Erkenntnis dabei. Tiere einfach so zu verbrauchen, weil man es kann, widerspricht meinen Ansprüchen an ethisches Handeln.
Einige persönliche Gedanken zum Abschluß
Sowohl der Name der Sonde, als auch das Anliegen der Arch Mission Foundation und ihr aus meiner Sicht sinnloser Verbrauch von Tieren gefallen mir nicht.
Das israelische Unternehmen hat seine Mission mit einem religiösen Bezug versehen, die Beresheet hatte auch eine Bibel an Bord (und nicht inAnlehnung an den Star Trek Kinofilm „Die Rache des Khan“). Beim Gebrauch des Begriffs „Schöpfung“ im Kontext mit Wissenschaft stellen sich mir immer schnell die Nackenhaare auf, zu oft bin ich auf die kruden Thesen der Kreationisten gestoßen. Dann ausgerechnet eine Raumsonde mit einem solchen religiös-dogmatischen Begriff zu benennen, finde ich zumindest anrüchig.
Die Vorstellung des Arche Noah-Prinzips der Arch Mission Foundation gruselt mich. Falls die Menschheit sich ausrotten sollte, kommen die übrig gebliebenen Lebensformen sicherlich bestens allein zurecht.
Falls alles Leben ausgelöscht werden sollte – wer und was sollte dann eine Wiederbesiedlung zu welchem Zweck betreiben?
Das ganze Anliegen ist einfach unlogisch und selbstherrlich. Als ob ein Sonnensystem ohne Menschen nicht vorstellbar wäre.
Über die Sorglosigkeit im Umgang mit Tieren und des Einbringen von irdischen Organismen auf die Mondoberfläche in einer Zeit, in der wir es eigentlich besser wissen sollten, habe ich bereits weiter oben geschrieben.
Insgesamt spricht aus dieser Konstellation Beresheet (Genesis) und Arch Mission Foundation eine Überheblichkeit und Überhöhung der eigenen Bedeutung gepaart mit dem Wunsch, gern selbst mal eben Schöpfungsgeschichte zu schreiben oder vielleicht per Back-up auf dem Mond gleich unsterblich zu werden, die an missionarischen Eifer im Kontext mit Kolonialismus erinnert.
Ich finde es unsäglich.
Gerade im Bereich der Raumfahrt könnte man doch mal etwas moderner denken und nutzbringende Projekte einbringen, die einen Benefit für alle Menschen bedeuten. Und zwar nicht als Denkmal für die mögliche Ausrottung irdischer Lebensformen, sondern für die Erhaltung des Lebens gerade jetzt! Experimente, die einen echten Beitrag zur Grundlagenforschung liefern, wären doch wohl eine Minimalforderung!
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