Auf der Philippinen-Insel Bohol, im Abatan-Fluß, lebt ein Bohrwurm, der Gestein durchbohrt. Bohr“würmer“ sind in Wirklichkeit bohrende Muscheln: Die Schalenklappen sind klein, aber massiv gebaut und außen mit starken Zähnen besetzt, sie sitzen wie eine Bohrkrone am Kopfende des Weichtiers. Da das fahlweiß-durchsichtige Tierchen immerhin 10 Zentimeter lang und mehrere Zentimeter dick wird, können die Bohrlöcher und Gänge recht groß sein. Dr. Reuben Shipway und seine Kollegen der Northeastern University haben sich diese Felsenfresser genauer angeschaut und sie als neue Art beschrieben: Lithoredo abatanica.

Bohrmuscheln: Drill, baby, drill!

Bohrmuscheln der Gattung Teredo – wie Teredo navalis – sind die bekanntesten „Bohrwürmer“, sie leben in den Meeren der warmen und gemäßigten Zonen. Zurzeit der hölzernen Schiffe waren sie eine Gefahr für die Schifffahrt, mit Kupferplatten beschlagene Holzrümpfe sollten ihnen Einhalt gebieten. Neben Schiffsrümpfen befallen die Bohrmuscheln auch hölzerne Bauwerke am Wasser, wie Piers, Brückenpfeiler oder Buhnen. So richten sie bis heute ganz Schäden in Millionenhöhe an.
Die Weichtiere bohren sich Kopf voran ins Holz, sind also xylotrepetisch, und fressen das Holz auch, sind also xylotroph. Endosymbiontische Bakterien geben dann Enzyme wie Cellulase und Glucosidase ab und können so die Zelluloseanteile der Holzsplitter in nahrhafte Zucker umwandeln. Zusätzlich filtern Bohrwürmer noch aus ihrem eingestrudelten Atemwasser Plankton heraus. Die Muschel ist wurmartig gestreckt und kleidet ihren Bohrgang mit einer Kalkschicht als Wohnröhre aus.

Lithoredo abatanica unterscheidet sich von seinen Holz liebenden Verwandten erheblich: Diese Bohrmuscheln lebt im Süßwasser und bohrt dort, im Abatan-Fluß, den weichen Kalkstein an. Lithoredo nimmt den „Bohrschutt“ zwar auch auf, verdaut ihn aber nicht, sondern scheidet ihn krümelweise wieder aus – damit ist er einzigartig im Tierreich!
Lithoredos
Bohrtätigkeit ist in diesem Fluß so umfangreich, dass er das gesamte Ökosystem des Flusses dort verändert hat, erklärte Reuben Shipway.
Die Felsen im Fluss sind mit Bohrgängen durchlöchert und von Bohrmuscheln bevölkert. In aufgegebenen Bohrlöchern sind sofort Nachmieter eingezogen, wie kleine Fische und Krebse.
Durch das große Angebot von Wohnhöhlen dürfte sich das Artenspektrum in diesem Fluß beträchtlich verändert haben.

Der Worm-Wednesday, der ein Mollusken-Mittwoch war

Französische Biologen hatten diese unerwarteten Fluß-Bohrmuscheln schon 2006 entdeckt, aber erst 2018 wurden sie im Rahmen der Biodiversitäts-Bestandsaufnahme näher beobachtet und wissenschaftliche beschrieben. Die bohrenden Weichtiere sind nur in diesem Fluß und nur in einem weniger als 5 Kilometer langen Flußabschnitt gefunden worden und sie sind so anders, dass sie eine eigene Bohrmuschel-Gattung bekommen haben, erklärt Dan Distel die Lithoredo-Verwandtschaftsbeziehungen. Ihre Ernährung ist ein noch nicht gelüftetes Geheimnis, die Biologen mutmaßen, dass diese Bohrmuscheln vielleicht mehr Plankton filtrieren oder auch über die Bakterien Nährstoffe erhalten. Der ausgeschiedene Steinstaub hatte jedenfalls exakt die gleiche Konsistenz wie der Stein.

Quelle:
Reuben Shipway et al. 2019. A rock-boring and rock-ingesting freshwater bivalve (shipworm) from the Philippines. Proc. R. Soc. B 286 (1905); doi: 10.1098/rspb.2019.0434

Übrigens: Auch wenn die über 10 Zentimeter langen bleichen Steinbohrer fetter als ein normaler Schiffsbohrwurm aussehen: Den Größenrekord hält der Holzbohrer Kuphus polythalamia mit einem Körper von 1.5 Metern. Er bohrt sich in Mangroven und hat extremophile Bakterien in seinen Kiemen, die den Schwefelwasserstoff aus dem Schlamm in Nährstoffe umwandeln.

Kommentare (20)

  1. #1 Spritkopf
    28. November 2019

    Na sowas. Ein Bericht über Lithoredo und keine Erwähnung der Steinlaus? 😉

  2. #2 RPGNo1
    28. November 2019

    Da stellen sich mir doch gleich mehrere Fragen.

    Wieso hat sich den “Wurm” auf Fels spezialisiert, welches ihm außer eventuellen Schutz nichts bietet? Der Aufwand scheint im Verhältnis zum Ergebnis unverhältnissmäßig.

    Warum lebt die Bohrmuschel nur in diesem einem eng begrenzten Flussabschnitt? Was hindert sie daran, ihr Habitat zu erweitern?

  3. #3 Bettina Wurche
    28. November 2019

    @RPGNo1: Diese Fragen und noch viel mehr haben die Wissenschaftler auch – als nächstes wollen sei eine Genom-Untersuchung von Bohrmuschel und Bakterien machen, um diese Symbiose besser zu verstehen (steht in einem der verlinkten Zeitungsartikel) . Da ist jedenfalls noch viel zu tun.

  4. #4 Bettina Wurche
    28. November 2019

    @Spritkopf: Da wären noch so viele witzige Anmerkungen ´drin gewesen : )

  5. #5 Berta Heike
    Münich
    28. November 2019

    Buh.. ein Bohrwurm.. Ich bin bisschen schockiert. Das erinnert an Loriot, der fünf Minuten lang über die aussterbende Gattung der Steinlaus dozierte 🙂 Ich wußte gar nicht dass die steinzersetzende Spezies, die eigentlich eine Verwandte des Schiffsbohrwurms, gibt es in echt.

  6. #6 Bettina Wurche
    28. November 2019

    @Berta Heike: Naja, zu Zeiten von Loriots Steinlaus wusste das ja auch noch niemand, da haben Bohrmuscheln brav ihr Holz gegessen. Es ist aber nicht der erste Fall, dass jemand sich ein possierliches Tierchen ausgedacht hat, das sich später als realitätsnah herausstellte. War beim Säbelzahnhörnchen ja auch so:
    https://blog.meertext.eu/2011/11/08/sabelzahnhornchen-%E2%80%93-gab-es-wirklich/

  7. #7 RPGNo1
    28. November 2019

    @Bettina Wurche

    Es gab Säbelzahn”hörnchen”?

    Erst wollte ich tatsächlich in den Ach-wie-süss-Modus” verfallen, aber nach dieser künstlerischen Interpretation halte ich mich doch ein bisschen zurück. 🙂

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/kreidezeit-saebelzahneichhoernchen-streiften-durch-patagonien-a-795628.html

  8. #8 Bettina Wurche
    28. November 2019

    @RPGNo1: Ja, genau, um die patagonischen Funde geht es. Ja, die waren Furcht erregend – für einen nicht zu großen Käfer. Die Fangzähne waren ein Fünftel so lang wie der Schädel, also ganze 5 mm. “The animal’s fangs would’ve been about 0.2 inches (5 millimeters) long, about one-fifth the length of its head.”
    https://www.livescience.com/16839-saber-toothed-squirrel-scrat-ice-age.html
    Wie im Meertext-Artiekl auch stand: “Die gesamte Sippschaft der Dryolestidae wird aufgrund ihrer Winzigkeit von manchen Wissenschaftlern als „Pip-squeak“ bezeichnet, also als Winzling oder Würstchen.”
    Aus unserer Perspektive ist ein “Oh wie süß” durchaus angemessen. Die Paläontologen sollen bei dem Anblick einen Lachkrampf bekommen haben, weil sie das bis dahin fiktive Säbelzahnhörnchen in Echt gefunden hatten

  9. #9 Frank
    28. November 2019

    Kleines Detail: Teredo navalis ist keine Gattung, sondern hat den Rang einer Tierart.

  10. #10 Bettina Wurche
    28. November 2019

    @Frank: Selbstverständlich – ist korrigiert

  11. #11 RPGNo1
    28. November 2019

    @Bettina Wurche

    Ich möchte trotzdem keine 5 mm langen nadelspitzen Zähne in meinem Fleisch gespürt haben. 🙂

  12. #12 Uli Schoppe
    28. November 2019

    Ich muss bei sowas immer an Frank Schätzing denken

  13. #13 Bettina Wurche
    28. November 2019

    @Uli Schoppe: Ja, Schätzing hat dabei großartig recherchiert! Ganz schön gruselig, was alles so existiert, vor allem diese mutierten Würmer

  14. #14 erik schreiber
    metropole bickenbach
    29. November 2019

    ich bin über wissenschaft.de hier gelandet und fand die Artikel sehr lesenwert. Ich bin immer wieder erstaunt, was für Wesen diesen Planeten bevölkern. Wieder etwas schlauer geworden. danke.

  15. #15 meregalli
    30. November 2019

    Es wundert mich, dass niemand in diesem Zusammenhang die datteri di mari, prstaci, Steinbohrer erwähnt. Bis vor wenigen Jahren noch in slowenischen Speisekarten angeboten.

  16. #16 tomtoo
    30. November 2019

    Na wenn es rausgeht wie es reinkommt, sinds wohl Balaststoffe. ; )

  17. #17 Bettina Wurche
    2. Dezember 2019

    @Erik: Erik? Der berühmte Verleger? So sorry fürs späte Freischalten.

  18. #18 Bettina Wurche
    2. Dezember 2019

    @tomtoo: Ja, mehr Ballast geht wohl kaum : )))

  19. #19 Bettina Wurche
    2. Dezember 2019

    @meregalli: Lithophaga, ja klar, die dürften lecker sein. Die Muscheln selbst filtrieren Plankton. Ich meine, dass ich auf Helgoland auch fossile felsbohrende Muscheln gefunden habe, habe sie aber nicht recherchiert bekommen. O. k., aber die Schiffsbohrer-Familie war bislang auf Holz beschränkt und auf Salzwasser.

  20. #20 RPGNo1
    13. Dezember 2019

    Noch ein Wurm … in Form eines rosafarbenen Penis!

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/kalifornien-warum-an-einem-strand-tausende-penisfische-strandeten-a-1301117.html

    Die Natur bringt schon seltsame Lebewesen hervor. 🙂