Fast jeden Tag kann man in der Zeitung lesen, dass der demografische Wandel die Kosten im Gesundheitswesen in die Höhe treiben wird. Alte Menschen, so das gängige und auch nicht ganz falsche Bild, sind nicht mehr so gesund, das kostet Geld. Schaut man sich die Krankheitskosten nach Alter einmal an, so kann man den Eindruck gewinnen, dass dem wohl unvermeidlich so sein wird:

Je älter, desto mehr Kosten, also je mehr alte Menschen in einer Gesellschaft, desto höhere Kosten hat diese Gesellschaft auch insgesamt, so scheint es:

Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Beispielsweise fällt z.B. ein großer Teil der Krankheitskosten im Verlaufe eines Lebens im letzten Lebensjahr an – und das liegt glücklicherweise meist im höheren Lebensalter. Ob die Leute dann 80 oder 90 werden, ändert daran erst einmal nichts. In einer einfachen Aufgliederung der Krankheitskosten nach Alter ist der Einfluss des Alters durch die “Sterbekosten” confundiert. Außerdem ist noch unklar, ob es in den nächsten Jahrzehnten zu einer Verkürzung der Krankheitszeiten im Alter kommt („compression of morbidity“) oder nicht, d.h. ob die steigende Lebenserwartung mehr gesunde Lebensjahre oder mehr Lebensjahre in Krankheit und Pflege bringen wird. Auch davon hängt die demografisch bedingte Kostenentwicklung im Gesundheitswesen natürlich erheblich ab. Im Moment neigen viele Gesundheitsökonomen dazu, die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Krankheitskosten eher gelassen zu sehen, verglichen mit anderen Einflussfaktoren auf die Gesundheitsausgaben (z.B. den medizinisch-technischen Fortschritt). Wer mehr darüber erfahren will, dem sei die zwar schon etwas ältere, aber sehr gute Broschüre „Gesundheit und Krankheit im Alter“ des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2009 empfohlen, dort gibt es auch interessante Ausführungen zu den Folgen des demografischen Wandels für die Gesundheitsausgaben.

Was auch immer die Zukunft in dieser Hinsicht bringen mag, Informationen über die Kosten im Gesundheitswesen sind jedenfalls ziemlich wichtig, wie man nicht zuletzt an der großen Medienaufmerksamkeit für dieses Thema ablesen kann – zumal sich in unserer Welt ja fast alles um’s liebe Geld dreht. Erst vor kurzem hatten wir hier darüber diskutiert, dass die Rating-Agentur Standard&Poor’s die Kreditwürdigkeit Deutschlands herunterstufen will, wenn die Gesundheitsausgaben weiter steigen (Gesundheitsausgaben und Krankheitskosten sind übrigens nicht ganz dasselbe, aber das spielt hier keine Rolle). Da sollte man meinen, dass die amtliche Statistik die Bedeutung von aktuellen Informationen über die Krankheitskosten auch entsprechend hoch einstuft. Aber auf einer Sitzung des Fachausschusses „Statistiken des Gesundheitswesens“ beim Statistischen Bundesamt konnte man vor ein paar Tagen erfahren, dass die Krankheitskostenrechnung, aus der die oben angeführten Daten stammen und die bisher zweijährlich durchgeführt wurde, für 2010 ausgesetzt werden soll. Man braucht das Personal wohl an anderer Stelle. Auch wenn damit nicht die ganze Statistik zu diesem Thema betroffen ist, sind das keine guten Nachrichten. Das Statistische Bundesamt wäre sicher gut beraten, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Aber alles hat zwei Seiten: Vielleicht wird Standard&Poor’s dann mehr Mühe haben, Deutschland herunterzustufen, weil sie nicht mehr wissen, wie es mit den Krankheitskosten in Deutschland weitergeht.

Kommentare (8)

  1. #1 Hein
    21. September 2012

    Welche Kosten sind in dieser Grafik enthalten? Sind es die Kosten, die im bundesweiten Durchschnitt für einen Menschen im Gesundheitssektor ausgegeben werden? Oder sehen wir hier Kosten, die die Krankenkassen, pro Versichertem zahlen?

  2. #2 Joseph Kuhn
    21. September 2012

    @ Hein: Das Statistische Bundesamt schließt hier verschiedene Ausgabenträger ein, um ein volkswirtschaftliches Gesamtbild zu bekommen. Enthalten sind z.B. die Gesundheitsausgaben der öffentlichen Haushalte, der Krankenkassen, der Rentenversicherung usw. – und als Krankheitskosten gilt davon, was sich Krankheiten zuordnen lässt. Dieses Rechenwerk ist ziemlich aufwändig und darin liegt auch der hohe Wert der Arbeit des Statistischen Bundesamtes.

  3. #3 Hein
    23. September 2012

    Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die Absicht dieses Artikels verstanden habe. Geht es um eine Diskussion zu den steigenden Gesundheitskosten? Hierzu stellt sich mir folgende Frage:
    Wer hat ein Interesse daran, die Gesundheitskosten zu begrenzen? Wer Geld aus dem Gesundheitstopf erhalten kann, wünscht sich sicherlich, dass dieser Topf immer größer wird. Die Krankenkassen sind auch nicht wirklich motiviert, die Kosten zu senken, da die Kosten ja für alle Kassen anfallen und bei Bedarf die Beiträge erhöht werden müssen. Ich bin mir noch keiner einflussreichen Gruppe bewusst, die in diesem Markt für die Begrenzung der Kosten eintreten könnte.

  4. #4 Joseph Kuhn
    23. September 2012

    @ Hein: Sorry für die etwas versteckte Storyline. Mir geht es darum, dass ich nicht verstehen kann, warum das Statistische Bundesamt die Krankheitskostenrechnung für 2010 aussetzen will. Wenn man Personal für statistische Aufgaben im Zusammenhang mit der Eurokrise braucht, soll man von mir aus die Statistik über den Medienbestand von Bibliotheken einmal aussetzen oder die Rebflächenerhebung oder was auch immer, aber nicht die Krankheitskostenrechnung. Oder noch besser: Man soll das nötige Personal einstellen.

  5. #5 Ludger
    26. September 2012

    Im Moment neigen viele Gesundheitsökonomen dazu, die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Krankheitskosten eher gelassen zu sehen, verglichen mit anderen Einflussfaktoren auf die Gesundheitsausgaben (z.B. den medizinisch-technischen Fortschritt).

    Das kann man m.E. nicht trennen, weil der medizinisch-technische Fortschritt sich besonders die Erkrankungen betrifft, die im Alter zunehmen. Beispielhaft dafür TAVI ( https://de.wikipedia.org/wiki/Herzklappenersatz#Transkatheter-Aortenklappenimplantation_.28TAVI.29 ).

  6. #6 Joseph Kuhn
    26. September 2012

    @ Ludger: Ja, das ist in der Tat so. Wobei der medizinische Fortschritt andererseits nicht nur kostensteigernd wirken muss, er kann in bestimmten Fällen z.B. auch teure Pflegebedürftigkeit hinausschieben.

    Die “Gelassenheit” der Ökonomen kommt vor allem daher, dass man gelernt hat, dass sich die künftige Kostenentwicklung nicht einfach als Extrapolation der gegenwärtigen altersspezifischen Kosten entlang der demografischen Entwicklung ergibt, ein paar Hinweise dazu sind oben gegeben. Für alle diese Diskussionen braucht man aber eine möglichst gute Krankheitskostenrechnung, daher finde ich die Absichten des Statistischen Bundesamtes in dieser Hinsicht bedenklich.

  7. #7 Ludger
    26. September 2012

    möglichst gute Krankheitskostenrechnung

    Richtig, das ist aber nur eine Rückschau. Ich wünsche mir eine Patientenverfügung für alle Patienten. Vielleicht müssen dann nicht mehr demente bettlägerige Greise/innen zur Dialyse oder werden mit PEG-Sonden ernährt, wissen nicht, was ihnen passiert und werden um einen natürlichen Tod betrogen.

  8. […] ist, welche Kosten der Diabetes im Gesundheitssystem verursacht. Das Statistische Bundesamt, das Krankheitskosten leider nur bis zum Jahr 2008 ausweist, beziffert die Kosten des Diabetes für 2008 auf 6,3 Mrd. Euro. Dabei werden die […]