Auch die philosophische Debatte um die Willensfreiheit sowie die damit verknüpfte Diskussion um die daraus zu ziehenden strafrechtlichen Konsequenzen sind natürlich Thema in Haslers Buch. Da beides aber zum gängigen und altbekannten Repertoire dieser Diskussion gehört, gehe ich hier nicht weiter darauf ein – die Kritik an den Arbeitstechniken der Hirnforschung und dass er die Probleme der Psychopharmakologie für sein Anliegen erschließen konnten, erschienen mir die interessanteren Aspekte des Buches. Hasler schließt seine Streitschrift trotz allem mit einer optimistischen und wohlwollenden Aussicht: Er sieht die Hirnforschung nach ihrem Hype zwar zunächst ins „Tal der Enttäuschungen“ absteigen, danach gäbe es aber die Chance für einen „Pfad der Erkenntnis“, also eine Entwicklung mit realistischen Erwartungen und brauchbaren Ergebnissen. Möge es so kommen.
Das Buch kostet 22,80 Euro und ist im Bielefelder transcript-Verlag erschienen. Der transcript-Verlag macht bereits seit einiger Zeit mit interessanten Büchern zu biomedizinischen und biophilosophischen Themen auf sich aufmerksam. Felix Haslers Buch ist – einer Streitschrift angemessen – nicht in schwerem Wissenschaftsdeutsch, sondern journalistisch flott geschrieben, eingeteilt in gut lesbare kurze Abschnitte. Seine Ausführungen stehen aber trotzdem nicht unbelegt im Raum, er zitiert ausgiebig Studien und andere Referenzliteratur, so dass die Möglichkeit gegeben ist, tiefer in die jeweiligen Themen einzusteigen. Auch wer dem Autor an der einen oder anderen Stelle inhaltlich nicht folgen mag, wird von der umfangreichen Sammlung der Argumente und den unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema profitieren. Das Buch regt zum Nachdenken an, und dazu braucht man, wie zum Lesen, das Gehirn. Soviel immerhin ist sicher.
Nachtrag 1.1.2013:
Unter dem Titel “Mythos Determinismus. Wieviel erklärt uns die Hirnforschung?“ hat im letzten Jahr Brigitte Falkenburg, in Physik promovierte Philosophieprofessorin an der TU Dortmund, ebenfalls ein Buch vorgelegt, das sich kritisch mit den Deutungsansprüchen der Hirnforschung auseinandersetzt. Sie geht ausführlich auf die Reichweite naturwissenschaftlicher Forschungsmethoden und der damit gegenwärtig tatsächlich belegten Zusammenhänge zwischen Gehirn und mentalen Prozessen ein. Kernpunkte ihrer Argumentation betreffen Methodenprobleme des Experimentierens mit mentalen Prozessen, die Asymmetrie des Erfolgs von zerlegenden und synthetischen Erklärungswegen in der Hirnforschung sowie die schon in der Physik problematischen Beziehungen zwischen Kausalität und Determinismus. Dem Zeitbewusstsein und seiner Rückführbarkeit auf eine „objektive Zeit“ widmet sie ein eigenes Kapitel, ebenso der Analyse des Kausalitätsbegriffs und seiner uneinheitlichen Verwendung in der Physik. Wie der Titel des Buchs erwarten lässt, sieht sie die deterministischen Implikationen der Hirnforschung als nicht belegt an. Abschließend gibt sie angesichts des besonderen phänomenologischen Unterschieds zwischen mentalen und neuronalen Prozessen, ähnlich wie schon Thomas Nagel in seinem Buch „Der Blick von nirgendwo“, zu bedenken, dass möglicherweise noch eine angemessene ontologische Sprache fehlt, um den Zusammenhang beider Aspekte überhaupt sinnvoll auf den Begriff zu bringen. Von Gerhard Roth, einem der Hirnforscher, die als Kritiker der Willensfreiheit gelten, gibt es übrigens einen längeren Kommentar zu diesem Buch, im Kern hebt er darauf ab, Falkenburgs Kritik treffe eine Position, die er gar nicht vertrete. Das mag sein, aber sie trifft auf jeden Fall die öffentliche Rezeption der Hirnforschung, wie auch Felix Hasler. Falkenburgs Buch ist populärwissenschaftlich angelegt und kann seine Kernargumente gut vermitteln, einzelne Argumente und Beispiele sind allerdings ohne physikalische Vorkenntnisse nur schwer verständlich. Es ist im Springer-Verlag erschienen und kostet 24,95 €.
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