Wir erheben alle ab und zu unsere eigenen Gesundheitsdaten: wenn wir Fieber messen, den Blutdruck, oder an einem psychologischen Test einer Gesundheitszeitschrift teilnehmen. Das kann man aber auch viel systematischer machen und mit neuen Technologien unterstützen: „Quantified Self“, „Life Logging“ oder „Body Tracking“ sind soziale Netze, die das Sammeln persönlicher Daten perfektionieren. Auf der Homepage der deutschen Quantified-Self-Community heißt es dazu:

„Quantified Self Projekte dienen meist der Selbstbeobachtung und Selbsterkenntnis durch das Sammeln und Auswerten von Daten. Ob Gesundheitswerte wie Gewicht oder Blutdruck, die emotionale Verfassung oder die persönlichen Finanzströme, meist geht es darum den betrachteten Bereich zu erfassen und durch Analyse besser verstehen zu lernen. Neben einem verbesserten Wissen über sich selbst bezwecken Self-Tracking und die dazu verwendeten Produkte häufig eine Steigerung der Motivation.“

Dazu gibt es Biosensoren, Schrittzähler, Smartphone-Apps etc. – alles kann gleich gespeichert und weiterverarbeitet werden, man kann die eigenen Daten z.B. mit Normwerten vergleichen oder mit Netzwerkpartnern austauschen. Diese Rund-um-die-Uhr-Selbstüberwachung soll uns also zu mehr Selbsterkenntnis und Motivation verhelfen, so die Quantified-Self-Community. Ob Schrittzähler wirklich bessere Menschen machen? Wer weiß, das Gehen auf dem Jakobsweg soll das ja auch bewirken, auch da werden Stationen gezählt und abstempelt.

Der „Spiegel“ hat das vor kurzem in seiner Ausgabe 19/2013 aufgegriffen und weist auf Berichte hin, nach denen die technischen Geräte, die hier zum Einsatz kommen, nur sehr unzuverlässige Daten liefern würden. Das wäre natürlich nicht so gut, obwohl vielleicht das Gefühl, sich selbst „unter Kontrolle zu haben“, auch schon reicht. Ist das jetzt ein sinnvoller Einsatz neuer technischer Möglichkeiten – oder die Übertragung eines gesellschaftlichen Überwachungswahns auf die eigene Person?

Kommentare (43)

  1. #1 michael
    22. Mai 2013

    > das Gehen auf dem Jakobsweg soll das ja auch bewirken

    Aber nur, wenn man ungekochte Erbsen in den Schuhen hat.

    >Ist das jetzt ein sinnvoller Einsatz …

    Wenn man nicht besseres zu tun hat,kann man sicher auch sein Schritte zählen, die Schwankungen des Bauchumfangs bewundern , … . Am besten mißt man soviel wie möglich und diskutiert die Meßwerte dann mit seinem Hausarzt aus.

  2. #2 PDP10
    23. Mai 2013

    “oder die Übertragung eines gesellschaftlichen Überwachungswahns auf die eigene Person?”

    IMHO wohl eher die Übertragung eines gesellschaftlich geforderten Selbstoptimierungswahns.

  3. #3 Joseph Kuhn
    23. Mai 2013

    @ PDP10:

    “eher die Übertragung eines gesellschaftlich geforderten Selbstoptimierungswahns”

    Sozusagen die personalisierte Variante des “kontinuierlichen Verbesserungsprozesses”, passend zum neoliberalen Zeitgeist und dem allgegenwärtigen Wettbewerbsdenken.

  4. #4 Arne Tensfeldt
    www.controlled-self.de
    23. Mai 2013

    ” Ist das jetzt ein sinnvoller Einsatz neuer technischer Möglichkeiten – oder die Übertragung eines gesellschaftlichen Überwachungswahns auf die eigene Person?”

    Überwachungswahn? für mich bietet das Thema Quantified Self Menschen die Möglichkeit, ein (vielleicht verloren gegangenes) Gefühl für den eigenen Körper zu bekommen. Wenn die innere Stimme stumm ist, hilft es mit den gewonnenen Daten dieser auf die Spur zu kommen.
    Die eigenen Aufzeichnungen bieten ein genaueres Feedback als die möglicherweise verschwommene Selbstwahrnehmung. Die Auseinandersetzung mit den Werten kann diese schulen und wieder objektivieren.
    Gruß Arne

  5. #5 Joseph Kuhn
    23. Mai 2013

    @ Arne Tensfeldt: Und warum ist die innere Stimme stumm? Warum ist das Gefühl für den eigenen Körper verloren gegangen?

    • #6 Arne Tensfeldt
      23. Mai 2013

      @ Joseph: das ist eine Erfahrung die ich als Trainer und Coach in den letzten Jahren gemacht habe. Zwar sind häufig grundlegende Informationen z.B. für gesunde Ernährung vorhanden, doch können diese nicht umgesetzt werden. Es fehlt an der “inneren Stimme”, der Motivation und der Selbstdisziplin für die praktische Anwendung. Hier kann es Helfen für einen Zeitraum zu Dokumentieren und Aufzuzeichnen.

  6. #7 Dr. Webbaer
    23. Mai 2013

    Ist das jetzt ein sinnvoller Einsatz neuer technischer Möglichkeiten – oder die Übertragung eines gesellschaftlichen Überwachungswahns auf die eigene Person?

    Beides.

    “Life Logging” heißt auch Google-Brille, gell. Google Glass wird sich durchsetzen, was einige Implikationen mit sich bringen dürfte. Man ist dann auch bei Verbrechen bspw. live dabei. Der Verbrecher, also auch der aktuelle Islamist, wird so allgemein greifbarer, wenn er mit seiner Machete herumhackt.

    MFG
    Dr. W

  7. #8 Dagmar Starke
    Düsseldorf
    23. Mai 2013

    Dazu fällt mir ein sehr lesenswertes Buch von Juli Zeh ein:
    Corpus Delicti (https://www.schoeffling.de/buecher/juli-zeh/corpus-delicti)

    Wie viel Gesundheitsoptimierungs- gekoppelt mit extensivem Überwachungswahn verträgt die Menschheit???

  8. #9 Joseph Kuhn
    23. Mai 2013

    @ Arne Tensfeldt: Das klingt so, als solle man eine – wie auch immer entstandene – Behinderung der Selbstwahrnehmung technisch kompensieren. Etwas eigenartig ist das doch schon, oder?

    @ Dagmar Starke: Vor allem, wie viel Aufforderungen zur Selbstoptimierung und Selbstüberwachung verträgt der einzelne Mensch, ohne eine technikinduzierte Hypochondrie zu entwickeln?

  9. #10 Ponder
    23. Mai 2013

    @ Joseph Kuhn:

    Letztlich geht es doch um nichts wirklich Neues und Spektakuläres:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Biofeedback

    Nur dass man für viele Funktionen plötzlich ein “ambulantes” Monitoring angeboten bekommt, welches in bestimmten Fällen durchaus nützlich sein kann. Den Hype darum bzw den kommerziellen großflächigen Austausch der Daten finde ich allerdings auch problematisch.

  10. #11 Dr. Webbaer
    23. Mai 2013

    Letztlich geht es doch um nichts wirklich Neues

    Doch, ischt völlig neu. – Das Humanpersonal wird sich an neue Entwicklungen im Bereich der IT oder des Webs zu gewöhnen haben.

    Annahmen, das die Sache gesundheitsgefährdend sei und zu Hypochondrie führen müsse, sind nur bedingt richtig.

    Die politisch möglichen Auswirkungen sind relevanter.

    MFG
    Dr. W

  11. #12 Ponder
    23. Mai 2013

    Doch, ischt völlig neu.

    Die “Social Network” – Komponente ist sicher neu.
    So ganz schlecht finde ich den Gedanken des Austauschs nicht – man könnte es für manche Themen als online-Selbsthilfegruppe betrachten:
    Es macht oft mehr Spaß, z.B. am Training oder einer Diät dranzubleiben, wenn andere dasselbe tun und man sich gegenseitig anspornen kann.
    Und wenn man auf der verlinkten Webseite bei den Tools schaut, findet man z.B. auch dieses:

    RunKeeper

    RunKeeper is a mobile application available on iPhone and Android to track your runs: distance, duration, speed, and calories consumed. The mobile application uses GPS to measure your distance. It also has several features to motivate you to run: 1) you can preset exercise intervals and distances; 2) it allows you to listen to music while running; 3) a voice informs you about the progress of your run; and 4) it stores a history of your runs. The mobile interface shows you a list of your runs, while the web site has Fitness Reports with visualizations of your runs.

    Es ist dabei wohl eine grundsätzliche Entscheidung im Vorfeld nötig, ob man die Ortungsdienste seines Smartphones unbedingt immer aktiviert halten möchte…

  12. #13 DH
    23. Mai 2013

    “Selbstoptimierungswahn”

    Volle Zustimmung zu dieser Formulierung.

    Da freut sich die “Elite” , Leute , die man gar nicht mehr unter Druck setzen muß , damit sie sich zum homo oeconomicus machen , sondern die das im vorauseilenden Gehorsam gleich selbst besorgen.

    Gehirnwäsche ist halt immer effektiver als offene Repression.

  13. #14 Ponder
    23. Mai 2013

    @ DH:
    Dann müssten Sie konsequenter Weise auch Smartphones und eigentlich jede Art von Internetnutzung ablehnen – alles, womit man persönliche Daten im Web in Umlauf bringt bzw profiltaugliche Spuren hinterlässt.

    Diese neue Technologie kann aber auch sinnvoll und alltagserleichternd im Patienten-Monitoring eingesetzt werden:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Home_Monitoring

  14. #15 Joseph Kuhn
    23. Mai 2013

    @ Ponder: Die Spezifik des “Quantified Self” besteht nicht darin, Datenspuren zu hinterlassen oder neue Formen der Telemedizin hervorzubringen. Da schauen Dritte auf meine Daten. Beim “Quantified Self” steht die technisch unterstützte Selbstbeobachtung im Mittelpunkt, oder etwas polemischer, das technisch unterstützte Misstrauen mir selbst gegenüber: Es könnte sein, dass etwas mit mir nicht stimmt, nicht so ist, wie es sein sollte oder bei den Anderen ist. Es fehlt an der “inneren Stimme” (Arne Tensfeldt), also kann man sich nicht darauf verlassen, dass alles in Ordnung ist und man braucht eine “äußere Stimme”. Mir kommt das vor wie eine Art umgekehrter Schizophrenie, dort treten innere Stimmen an die Stelle des realen Weltkontakts.

  15. #16 Ponder
    23. Mai 2013

    Beim “Quantified Self” steht die technisch unterstützte Selbstbeobachtung im Mittelpunkt, oder etwas polemischer, das technisch unterstützte Misstrauen mir selbst gegenüber: Es könnte sein, dass etwas mit mir nicht stimmt, nicht so ist, wie es sein sollte

    Das kann ich beim Blick in deren Forum in dieser polemisch formulierten Einseitigkeit nicht erkennen:

    https://forum.quantifiedself.com/

    Da geht es um alle möglichen Anwendungen, vom Trainingsprogramm über Essgewohnheiten und wie man sie verändern möchte bis hin zu solch amüsanten Beobachtungen:
    https://forum.quantifiedself.com/showthread.php?tid=286
    Ich konnte kein generelles hypochondrisches Fixiertsein auf die eigene Befindlichkeit feststellen, sondern im Gegenteil viele kreative Ideen – mehr ein Experimentieren mit den Möglichkeiten der Datenvisualisierung für alltagstaugliche Fragestellungen.
    Natürlich kann sich ein zwanghaft veranlagter Mensch durch Selbstmonitoring auch unter Druck setzen. Aber das kann man auch, wenn man z.B. seine Kassenbons in die Notizfunktion im Handy eintippt – auch eine spezielle Form von Selbstmonitoring 😉

  16. #17 Joseph Kuhn
    23. Mai 2013

    @ Ponder:

    Auf der Seite igrowdigital finden sich z.B. Feststellungen wie diese:

    “Viele Menschen versuchen durch Selbstbeobachtung, Potentiale zur Verbesserung der eigenen Lebensqualität zu identifizieren. Die Anhänger der Methoden des Quantified Self erfassen verschiedene Parameter ihres Lebens möglichst exakt, um durch Analyse von Messwerten Einsichten bezüglich des eigenen und individuellen Wohlergehens zu erhalten.”

    “Durch schnelle Rückmeldung kleinster positiver Veränderungen entsteht eine Bestätigung, auch wenn vom subjektiven Standpunkt des Menschen noch kein wirklicher Fortschritt erkennbar ist.”

    “Digitale Produkte für Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung können uns helfen, ein gesünderes und zufriedeneres Leben zu führen. Dazu ist es notwendig dass die Produkte uns kennen und auf unsere individuellen Bedürfnisse eingehen.”

    Dazu sollen u.a. “Sensoren für Bewegungs-, Schlaf- und Pulsmessung” dienen. Wer’s mag. Und wer daran glaubt, dass man so gesünder und zufriedener wird. Bitte schön.

  17. #18 klauszwingenberger
    24. Mai 2013

    @ Joseph Kuhn:

    Diese Sprüche sind eine Übersetzung des Modewortes “Achtsamkeit” ins Apparatesprech. Oder anders ausgedrückt: es ist der Versuch, so etwas wie “Wellness” quantifizierbar auszudrücken.

    Na ja, ich vermute, die ohnehin Gutaufgelegten werden sich bestätigt sehen, und die notorischen Hypochonder machen sich damit umso verrückter. Wie das bei der “Selbstbeobachtung ” meistens der Fall ist.

  18. #19 Ponder
    24. Mai 2013

    @ Joseph Kuhn:

    Think positive!
    Endlich werden wir für ganz viele Fragestellungen aussagekräftige Normalwerte haben, die nicht nur auf den Versuchspersonenstunden weiblicher Psychologiestudenten <23 Jahren basieren …

  19. #20 Joseph Kuhn
    24. Mai 2013

    @ Ponder: Naja, Normwerte aus einer Art selbstselektivem, unstandardisiertem wildem Screening sind auch nicht unbedingt das, was man sich unter methodischen Gesichtspunkten so wünscht.

    Aber zugegeben, das positive Denken will mir bei dem Thema nicht so ohne Weiteres gelingen. Wobei natürlich ein Schrittzähler schon hilfreich ist, wenn man an die Schrittgeschwindigkeit des Grim Reapers denkt.

    Was Psychologiestudierende als Versuchspersonen angeht: Da man in der Experimentalpsychologie ursprünglich nach “psychologischen Gesetzen” gesucht hat, war das eigentlich kein Problem. Echte psychologische Gesetze müssten sich ja in allen Menschen gleichermaßen zeigen, von zufälligen Störgrößen abgesehen (daher mehrere Versuchspersonen, damit man die zentralen Tendenzen ermitteln konnte). Dass du dich heute darüber lustig machen kannst, zeigt, dass da – zumindest in einigen Forschungsbereichen – irgendetwas nicht so ganz geklappt hat. Aber die Quantified-Self-Elektroniker haben sicher durchdachtere Modelle des Zusammenhangs zwischen dem, was sie messen, und dem, was das Gemessene aussagen soll 😉

  20. #21 HT
    24. Mai 2013

    “Dazu gibt es Biosensoren, Schrittzähler, Smartphone-Apps etc. – alles kann gleich gespeichert und weiterverarbeitet werden, man kann die eigenen Daten z.B. mit Normwerten vergleichen oder mit Netzwerkpartnern austauschen. “

    Im Grunde genommen hat man das bereits in vielerlei Form: Man hat Foren für das Joggen, Radfahren, Bodybuilding und Fitness im allgemeinen. Ich verstehe die Kritik nicht wirklich, weil es im Grunde genommen etwas ist, was es bereits gibt, nur mit regelmaessigeren und kürzeren Intervallen.

    „…oder die Übertragung eines gesellschaftlichen Überwachungswahns auf die eigene Person?“

    Ich halte diesen Vergleich für überzogen. Ab wann beginnt Deiner Meinung nach der Wahn? Wenn sich jemand morgens und abends auf die Waage stellt? Wenn man zusätzlich täglich die Kalorien der Speisen zählt? Wenn jemand die Pulsuhr mit ins Fitnessstudio nimmt? Wenn ich alles mit anderen ausdiskutiere? Welche Intervalle mit welchen Messungen sind in Ordnung? Wenn die eben genannten Selbstueberwachungsmoeglichkeiten einen Sportler helfen, warum nicht auch dem Durchschnittsmenschen?

    Und im Gegensatz zur gesellschaftlichen Überwachung bin ich es selbst, der über die Qualität und Quantität der Messungen entscheidet.

    „Beim “Quantified Self” steht die technisch unterstützte Selbstbeobachtung im Mittelpunkt, oder etwas polemischer, das technisch unterstützte Misstrauen mir selbst gegenüber“

    Das hat man an sich bei jedem Gesundheits-Check. Brauche ich an sich keine Untersuchungen, wenn ich mich gut fühle?

  21. #22 Joseph Kuhn
    24. Mai 2013

    @ HT:

    “Brauche ich an sich keine Untersuchungen, wenn ich mich gut fühle?”

    Gerade dann. Nach einem bekannten Bonmot ist schließlich nur der gesund, der noch nicht genug untersucht wurde. Wer sich also gut fühlt, mit dem stimmt sicher etwas nicht.

    Im Ernst: Bei solchen Entwicklungen gibt es immer mehr als eine Seite. Das etwas auszuloten, ist Sinn und Zweck dieser Diskussion.

    Und was Untersuchungen ohne Anlass angeht: Das müsste man am konkreten Fall diskutieren, z.B. was wird gemessen, wie verlässlich ist die Messung, was soll aus den Daten folgen, woher kommen die Normwerte, wie sind Abweichungen zu bewerten, hat man es mit einem Bereich zu tun, bei dem die gängigen Screening-Kriterien einschlägig wären (was vermutlich bei den Sachen, um die es bei Quantified-Self-Technologien geht, eher weniger der Fall ist) usw. usw.

  22. #23 Ponder
    24. Mai 2013

    @ Joseph Kuhn:

    Es tut mir Leid, wenn der Eindruck entstanden ist, dass ich mich lustig mache – und der Kommentar zur Generierung besserer Normwerte war nicht ganz Ernst gemeint!

    Allerdings finde ich – nach längerem Nachdenken und mehreren Blicken in die User-Foren – dass man wirklich unsinnigere Dinge mit seinem Smartphone anstellen kann als dieses (oft ja eher spielerische & neugieraktive) Selbstmonitoring.
    Den von dir verlinkten Aufsatz zum “Grim Reaper” finde ich gut – zeigt er doch einen Anwendungsbereich dieses Ansatzes, der immer mehr Bedeutung gewinnen wird.

    Schau dich mal im Web um unter dem Stichwort Telemedizin:
    im Grunde experimentieren diese Monitoring-Freaks mit Themen, die für Menschen mittleren Alters oder älter in Gesundheitsfragen tatsächlich relevant sind:
    Reduktion von Übergewicht, Ausdauertraining, mentales Training…
    Hier ein paar Publikationen mit telemedizinischen Fragestellungen:
    https://dtz-ev.de//3/Publikationen/

    Vielleicht findet manches, das in den Selbstmonitoring-Communities spielerisch entwickelt wird, konzeptionell einmal nützliche Anwendung in der Patientenversorgung, zumal die Bevölkerung immer älter wird und auf dem Lande insbesondere Fachärzte und die zertifizierten Zentren schlecht erreichbar sind.

    Einen Aspekt finde ich noch wichtig zu erwähnen:
    es ist doch zu begrüßen, wenn sich junge Leute spielerisch mit dem Messen und Verarbeiten von Bioparametern befassen. Auf diese Weise lernen sie (unter Anleitung erfahrener User in den Foren) wenigstens ansatzweise, mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen umzugehen:
    welche Art Monitoring, welche Parameter und Darstellung sind für meine Fragestellung geeignet? – Was sagt das alles am Ende wirklich aus?- Was kann ich im Versuchsaufbau optimieren? – Usw usf
    Das sind doch im Grunde sinnvolle Aktivitäten – im Vergleich zu vielem, was man sonst mit Smartphone und Internet anstellen kann.

    Außerdem denke ich nicht, dass Menschen auf die Dauer vom Selbstmonitoring so fasziniert sind, dass sie einen Parameter nach dem anderen erfassen wollen:
    viele haben ganz bestimmte Gebiete, die ihnen wichtig sind, vor allem im Fitnessbereich. Da wird ohnehin, wie hier ein Vorredner geschildert hat, schon exzessives Selbstmonitoring betrieben.

    Ich selbst würde mich z.B. über eine App freuen, die mir meine ab und an auftretenden Herzrhythmusstörungen beim Spazierengehen/ Walken meldet – gibts wohl auch schon.

  23. #24 DH
    24. Mai 2013

    @ Ponder

    Sie haben schon Recht , es ist auch eine Frage der Abwägung, Internet geht mit wenig bis gar keiner Preisgabe persönlicher Daten , smartphone , in der Tat nicht unbedenklich , genauso wie die freiwillige Angabe von Konsumgewohnheiten für ein paar lächerliche digits oder wie das Zeug auch immer heißen mag.

    Muß jeder für sich selbst entscheiden , aber bitte nicht wundern bei negativen Folgen .

    Dieses Prinzip der sich selbst beobachtenden Selbstoptimierung tendiert aber schon in jene “moderne” Richtung , daß der Einzelne halt ums Verrecken nicht in Ordnung ist , so wie er ist , eine Sichtweise , die uns der Zeitgeist seit nunmehr langen Jahren versucht , ganz kräftig aufs Auge zu drücken , in den verschiedensten Formen.

  24. #25 Joseph Kuhn
    24. Mai 2013

    @ Ponder:

    “Es tut mir Leid, wenn der Eindruck entstanden ist, dass ich mich lustig mache”

    Schade, so manche experimentalpsychologischen Befunde hätten es verdient.

    Telemedizin: Eine wichtige Entwicklung, das sehe ich auch so. Und natürlich gibt es auch bei den Selbstmonitoring-Anwendungen viel Sinnvolles oder zumindest Interessantes. Das ist die eine Seite. Die andere Seite gibt mir aber mehr zu denken, gerade wenn damit so weitreichende Heilsversprechen verbunden sind. Bessere Menschen werden wir im Allgemeinen nicht, wenn wir Messwerte über unsere Körperfunktionen ablesen, sondern wenn wir die Missstände in der Welt wahrnehmen und, soweit möglich, ändern.

  25. #26 Basilius
    25. Mai 2013

    Wieder mal ein schöner Artikel. Besonder gelungen fand ich aber diesen Spruch:

    Mir kommt das vor wie eine Art umgekehrter Schizophrenie, dort treten innere Stimmen an die Stelle des realen Weltkontakts.

    Wobei ich grundsätzlich eher zur vorsichtig optimistischen Haltung von Ponder tendiere.

  26. #27 miesepeter3
    25. Mai 2013

    Früher gab es ein paar Spinner, die mit fernasiatischen Verrenkungsübungen und Insichhineinlauschen in Form von ebenfalls asiatischen Meditationstechniken ihre Körper und Seelen in Form halten wollten.
    Das bedeutete aber auch viele Stunden Selbstkasteiung und Bemühungen, die Reaktionen des Körpers kennenzulernen und zu interpretieren.
    Nun machen das ein paar medizinisch-technische Spielereien. Man selbst muß fast nichts mehr tun. Das ist natürlich viel bequemer. Und damit, so meint man, kriegt man die Sache in den Griff. Die Spinner werden nicht alle, nur irgendwie technischer.
    Sozusagen “Sprung in der Schüssel durch Technik”.

  27. #28 Joseph Kuhn
    25. Mai 2013

    Kommentar eines Sportwissenschaftlers:
    https://www.ingo-froboese.de/blog/quantified-self-die-diktatur-der-korperdaten/

    Und ein hörenswerter podcast mit der Philosophin Svenja Flaßpöhler.

  28. #29 Statistiker
    25. Mai 2013

    Wieder mal eine Methode mehr, aus dem Menschen einen “gläsernen Menschen” zu machen.

    Die Krankenkassen freuen sich und erheben morgen schon Risioprämien, und wer nicht mitmacht, ist verdächtigt und kommt in Webbärs Islamisten-Datei (Da ist ja jeder drin, der nicht seiner Meinung ist).

    Ohne mich.

    @ Ponder: Ich habe weder Handy noch Smartphone. Und ich verschicke intime Briefe mit der Post.

  29. #30 Wolfgang
    25. Mai 2013

    Meine eigene Erfahrung: Nutze keinen der beschriebenen Dienste, habe mir aber selbst in Google Drive eine Tabelle erstellt, in der ich meine Trainingseinheiten möglichst genau logge und dann auch auswerte. Fanatismus? Nein, würde ich nicht sagen. Ich glaube noch nicht einmal, dass es mir viel Motivation gibt. Ich glaube auch nicht, ich dadurch effektiver trainiere. Es ist schlicht und einfach: Es macht Spaß meine Leistungen in einer Statistik auszuwerten.

    Zur gläsernen Mensch Diskussion: Ich bin Bioinformatiker und sage… mal ganz locker bleiben. Mich erinnert diese ganze Diskussion irgendwie an die Diskussionen, als die ersten Fernseher in die Wohnzimmer kamen: “Die weichen einem das Hirn auf.” hieß es damals plakativ. In meinen Augen überwiegen die Vorteile gebündelter Information eindeutig den Risiken. Heute muss noch niemand etwas befürchten, wer nicht gerade in Facebook oder Google+ öffentlich sein Leben unter seinem Realname loggt. Und selbst wenn, muss man schon ziemlich blöd sein, um nicht abschätzen zu können, was man besser für sich behält. Ich tackere auch nicht meinen PIN für die Bank an meine Haustüre.

  30. #31 Joseph Kuhn
    26. Mai 2013

    “Mich erinnert diese ganze Diskussion irgendwie an die Diskussionen, als die ersten Fernseher in die Wohnzimmer kamen: “Die weichen einem das Hirn auf.” hieß es damals plakativ.”

    … DSDS, Germany’s next Topmodel, Supergator das Killerkrokodil … weicht eindeutig das Hirn auf.

    Das Interessante an der Quantified Self-Bewegung ist, wie beim Fitness-Denken (“fit” = angepasst?) insgesamt, die Ambivalenz, die darin steckt. Die Rationalität bzw. der Spaß, sich an den aufgezeichneten Werten zu orientieren, ist etwas, was dem modernen Glauben an die ständige Kontrollbedürftigkeit und Optimierungsbedürftigkeit des Menschen entspricht. Die Geschichte hat, wenn man so will, einen “Subtext”, oder anders formuliert, sie zeigt eine Funktionalität für etwas, das über die Ziele und Absichten der Anwender hinausgeht und gewissermaßen “hinter dem Rücken” der Anwender abläuft. Da kann man natürlich die Achseln zucken und sagen, was soll’s, das ist doch bei allem so – auch wenn ich Auto fahre, funktioniere ich z.B. in einem Verkehrskonzept, das ich mir nicht selbst ausgedacht habe und das nicht unbedingt das ist, was ich will – aber ich glaube nicht, dass diese Geschichte, um im Bild zu bleiben, wirklich schon dechiffriert ist. Die Thesen von Svenja Flaßpöhler in dem verlinkten Podcast finde ich z.B. interessant. Geht es wirklich um einen “männlichen Blick” auf den Körper, oder gilt das nur für die Schrittzähler-Fraktion, aber z.B. nicht für die Kalorien-Fraktion? Und bringt das Quantified Self wirklich ein “Maschinenmodell” des Körpers zum Ausdruck? Was meint hier überhaupt “Maschine” (eher Auto, eher Computer)? Warum sieht sie das überhaupt kritisch, ist “Selbstobjektivierung” nicht eine Voraussetzung für einen objektiven Blick auf sich selbst? Reichlich Diskussionsstoff, finde ich.

  31. #32 Dr. Webbaer
    26. Mai 2013

    … DSDS, Germany’s next Topmodel, Supergator das Killerkrokodil … weicht eindeutig das Hirn auf.

    Weichen eindeutig das Hirn auf.’ – würde der Nicht-TV-Konsument hier fordern wollen.

    Der Trick bei den neuen Medien, das TV wird hier absehbarerweise noch ein wenig fristen, in D hat man ja jetzt die TV-Zwangsabgabe, es wird dennoch allgemein ins Web gehen, ist natürlich der selektive Zugriff oder Konsum.

    So wird es auch bei den neu anfallenden Datenmengen sein, die nun generiert und anzunehmenderweise zu beträchtlichen Teilen auch allgemein verfügbar werden.

    Dem sich derart Offenbarenden sei berichtet, dass die Allgemeinverfügbarkeit zur Auswertung durch Bots oder “Google&Facebook” führen wird und dass das Konsequenzen haben könnte.

    MFG
    Dr. W

  32. #33 Joseph Kuhn
    26. Mai 2013

    @ Dr. Webbär: Vor den ersten drei Pünktchen muss man sich natürlich dazu denken: “So etwas wie” – dann passt das “weicht” wieder 😉

  33. #35 Joseph Kuhn
    26. Mai 2013

    Zum Thema passend:

    1. Ein Buch mit dem Titel “Der Mensch in Zahlen. Ein Datensammlung mit über 20.000 Einzelwerten”. Die Neuauflage könnte ja vielleicht ein Autorenkollektiv aus der Quantified Self-Bewegung schreiben – damit die Daten, wie viel Zeit wir im Stau oder auf dem Klo verbringen, nicht zu sehr veralten.

    2. Die noch bis August 2013 laufende Ausstellung “Mensch in Zahlen” im Universum Bremen. Interessanterweise unter Beteiligung der AOK. Ob es Quantified Self-Apps demnächst auf Kassenrezept gibt?

    3. Der Roman “Harte Zeiten” von Charles Dickens. Die Rationalisierbarkeit des Lebens (in allen Nuancen der Wortbedeutung) ist eines der Themen, die dort behandelt werden. Dickens wendet sich gegen das utilitaristische Denken, alles möglichst nützlich zu organisieren. Was er wohl zu den Quantified Self-Technologien gesagt hätte?

    4. Das Buch “Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik” von Peter Sloterdijk. Ich habe das Buch nicht gelesen, aber der ZEIT-Rezension zufolge könnte es einiges zum besseren Verständnis der Quantified Self-Bewegung beitragen.

  34. #36 Dr. Webbaer
    28. Mai 2013

    Herr Kuhn:
    Sind alles anzunehmenderweise solide Empfehlungen, nichtsdestotrotz darf angemerkt werden, dass die zunehmend möglich werdende Gesamterfassung menschlichen Seins, so soll das einmal vollmundig genannt werden, Implikationen oder Folgen tragen wird, die sich am besten ex post oder noch besser in einem späteren Ex-Inter werden erfassen und beschreiben lassen.

    Wie fühlt man sich in Anbetracht zukünftiger eher harter Datenlagen eigentlich als Psychologe, schwimmt da was weg?

    MFG
    Dr. W

  35. #37 michael
    28. Mai 2013

    > Wie fühlt man sich in Anbetracht zukünftiger eher harter Datenlagen eigentlich als Psychologe, schwimmt da was weg?

    Musst Du doch selbst am besten wissen. Alle Dir nicht passenden Erkenntnisse ignorieren oder klein schwätzen und ansonsten immer dasselbe predigen, ist doch Dein Markenzeichen.

  36. #38 Joseph Kuhn
    29. Mai 2013

    @ Dr. Webbär:

    ” … am besten ex post … beschreiben lassen. … schwimmt da was weg?”

    Hinterher ist man immer klüger (Unbekannt). Alles fließt (Heraklit). Wetterbericht heute: Regen (Quantified Outside).

  37. #39 Dr. Webbaer
    29. Mai 2013

    Die d-sprachige Wikipedia wartet einleitend mit dem Satz ‘Psychologie ist eine empirische Wissenschaft.’ auf, was irgendwie lustig ist.

    MFG
    Dr. W (der sich wohl mehr oder weniger unbewusst darauf bezogen hat)

  38. #40 Lasik-Dubai
    1. Juni 2013

    Also ich muß meine Gesundheitsdaten nicht im Internet aufschreiben. Ich messe mir doch nicht ständig Blutdruck oder Fieber und an meine Augentropfen denke ich auch so jeden Morgen.

  39. […] wollen wir doch alle. Irgendwie. Mir geht dieser Optimierungswahn in allen Lebensbereichen immer mehr auf die Nerven. Den größten […]

  40. […] einem Jahr hatten wir hier auf Gesundheits-Check über die „Quantified Self“-Bewegung diskutiert. Beim „Quantifed Self“ geht es um die Selbstbeobachtung und Selbstoptimierung anhand von […]

  41. #43 CHANEL iPhone
    https://yourwhip.com/kwwe/0j9d7fuaels.html
    22. Mai 2016