Der Film „Matrix“ spielt mit der Differenz von Sein und Schein, von Realität und Wahrnehmung. In der „Matrix“ glauben die Menschen, ein normales Leben zu führen, dieses ist aber nur eine Simulation. Die Affäre um die Abhöraktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes NSA nimmt inzwischen Dimensionen an, die an diesen Film erinnern. Wie der SPIEGEL meldet, späht die NSA in einem bisher ungeahnten Umfang Kommunikationsverbindungen in „befreundeten Ländern“ aus, Deutschland sei, da nur „Partner dritter Klasse“, sogar regelrecht ein „Angriffsziel“. Einrichtungen der EU wurden auch bespitzelt, EU-Justizkommissarin Reding stellt deswegen nun die Verhandlungen über eine transatlantische Freihandelszone infrage. US-Präsident Obama rechtfertigt das Ganze als Terrorbekämpfung, ein großer Teil der Amerikaner sieht kein Problem in der ganzen Sache und heute wurde in den Nachrichten ein früherer Bush-Berater mit der juristisch wohl korrekten, aber politisch etwas befremdlichen Äußerung zitiert, das Recht auf Schutz der Privatsphäre gelte ohnehin nur für Amerikaner. Der Bundesnachrichtendienst wusste angeblich von alldem nichts, die Kanzlerin schweigt und der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft regt an, sich an den amerikanischen Überwachungsmethoden ein Vorbild zu nehmen. Ich muss gestehen, ich bin etwas verwirrt. Um die Freiheit zu verteidigen, muss sie aufgehoben werden. Die Bedrohung der Freiheit erfordert ihre Einschränkung. Und die Verteidiger der Freiheit – wer ist das dann jetzt noch mal?

Kommentare (26)

  1. #1 michael
    1. Juli 2013

    Nun, solang die Geheimdienste nur schnüffeln und nicht gleich die Beweise auf Ihren PC installieren ☻, ist ihre Freiheit ja nicht Gefahr, oder ?

    > Chef der deutschen Polizeigewerkschaft

    Wie sang Kreisler noch :

    Außerdem an jeder Ecke zwei Kanonen für die Leut’.
    Sie werd’n seh’n, wie sich Ihr Schutzmann drüber freut.

    Warum die Amis aber D ausschnüffeln, ist mir ein Rätsel. Was fürchten die wohl? Die Energiewende ? Die Klimakanzlerin ? Die CSU ?

  2. #2 Roland B.
    1. Juli 2013

    Dürfte einfach Wirtschaftsspionage sein. Oder weil es bei uns halt noch viele US-Militäreinrichtungen gibt.

  3. #3 Stephan
    1. Juli 2013

    Ach Herr Kuhn,

    Sie sollten es doch besser wissen. “Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten!”.

    Ganz klar diese Aussage (Behauptung), oder?

    Wo liegt der Fehler?

    https://wiki.piratenpartei.de/Ich_habe_nichts_zu_verbergen!

    https://www.heise.de/tp/artikel/23/23625/1.html

    😉

  4. #4 Ludger
    1. Juli 2013

    Das ist fast alles nicht neu:
    <blockquote<
    Die Zeit 1998: ( https://www.zeit.de/1998/39/199839.c_krypto_.xml )
    “Es mehren sich die Anzeichen, daß ausländische Nachrichtendienste unbemerkt Informationen aus deutschen Computernetzen abzapfen. Die NSA hat weltweit das Abhör- und Auswertungssystem Echelon installiert, das auch vom bayerischen Bad Aibling aus zivile Kommunikation erfaßt.”

    Das ist wahrscheinlich auch nicht alles. Solange Chips aus amerikanischer Produktion kommen, muss man auch mit Hardwarehintertürchen rechnen (siehe Zeit-Artikel). Neu ist das Verwanzen von Arbeitsgruppen des Europäischen Parlamentes. Da verlieren die großen alten Demokratien ihren Vorbildcharakter, ähnlich wie beim Waterboarding und bei Guantanamo. Das ist Faschismus: Wir können das, also dürfen wir das, basta!

  5. #5 Joseph Kuhn
    1. Juli 2013

    Wenn Verhältnisse zwischen Partnern dadurch bestimmt werden, dass man ständig versucht, den anderen auf Stärken, Schwächen und Nutzen zu taxieren, steht das schon vom Prinzip her einer Freundschaft im Wege. Im privaten wie im öffentlichen Bereich. Vielleicht geht es im öffentlichen Bereich auch nicht anders, es gibt ja den Spruch, dass Staaten keine Freunde haben, nur Interessen. Schade eigentlich.

  6. #6 griesl
    1. Juli 2013

    welchen umfang hat denn das ganze ?
    sind 15 mio datensätze pro tag viel ?
    was ist ein datensatz ?
    wieviele datensätze wurden zb aus frankreich oder italien im gleichen zeitraum gesammelt ?
    wie verhält es sich mit proxys ?
    wieviele klassen gibt es eigentlich ?

    https://eumvno.files.wordpress.com/2010/07/2010_0629_cablemap_telegeography.jpg
    copyright eumvno kA ^^
    das ist ne karte von übersee-kabeln.

    liegt nicht die eigentliche misere darin, dass der britische und amerikanische geheimdienst, nicht nur politische ansätze verfolgen soll, sondern auch wirtschaftliche ?
    … und das dann stark an wirtschaftsspionage grenzt, wenn daten abgefangen werden ?
    fragen über fragen.

  7. #7 Ludger
    2. Juli 2013

    #6
    “liegt nicht die eigentliche misere darin, dass der britische und amerikanische geheimdienst, nicht nur politische ansätze verfolgen soll, sondern auch wirtschaftliche ?

    Das sind nicht nur die und es ist schon seit Jahrzehnten so:

    https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=siemens%20spionage%20tgv%20indien&source=web&cd=7&cad=rja&ved=0CGAQFjAG&url=http%3A%2F%2Fwww.jaeger.uni-koeln.de%2Ffileadmin%2Ftemplates%2Fpublikationen%2Faipa%2FAIPA_3-2009.pdf&ei=4l_SUeHgLYXMOKeHgaAH&usg=AFQjCNFe-Xe2v2V9yQvz81aTONbQu-mQCg&bvm=bv.48572450,d.ZWU , Daniel Wolff ,
     
    Wirtschafts‐ und Industriespionage im 
    deutschen Wirtschaftsraum: Eine 
    analytische Betrachtung von Akteuren, 
    Methoden und Gefahren   
    Seite 18:
    “2.2 Begriffsabgrenzung Wirtschaftsspionage […]
    Ein Beispiel hierfür ist der oft zitierte Fall der Auftragsvergabe  für  den  südkoreanischen  Hochgeschwindigkeitszug  KTX:  Das  TGV‐Konsortium GEC‐Alsthom erlangte  (durch ein  vermutlich  vom  französischen  Auslandsgeheimdienst DGSE abgefangenes Fax) Kenntnis von den Angebotsbedingungen des von Siemens geführten ICE‐
    Konsortiums und konnte die Ausschreibung in 
    letzter Sekunde durch eine Anpassung des eigenen Vertragsangebotes für sich  entscheiden (Homann et. al. 2005: 4; Ulfkotte 1999: 66; o.V. 1996; Office of the National Counterintelligence Executive o.J.: 287). […]”

  8. #8 Uli
    2. Juli 2013

    Der “Partner dritter Klasse” war im Original vermutlich eine “third party”, was eigentlich eher “Dritte” oder “Andere” bezeichnet.

  9. #9 Bitskin
    3. Juli 2013

    Richtig third party hat nichts mit dritter Klasse zu tun, genau wie public viewing im eigentlichen Leichenbeschau bedeutet.

  10. #10 roel
    *****
    3. Juli 2013

    @Uli und Bitskin

    Hat mal jemand die Originalformulierung?

  11. #11 Dr. Webbaer
    4. Juli 2013

    US-Präsident Obama rechtfertigt das Ganze als Terrorbekämpfung, ein großer Teil der Amerikaner sieht kein Problem in der ganzen Sache und heute wurde in den Nachrichten ein früherer Bush-Berater mit der juristisch wohl korrekten, aber politisch etwas befremdlichen Äußerung zitiert, das Recht auf Schutz der Privatsphäre gelte ohnehin nur für Amerikaner.

    Das hätte man vom Friedensnobelpreisträger eher nicht erwartet, korrekt!, lol.

    Allerdings dienen die Maßnahmen auch der Terrorbekämpfung, hochspezialisierte Software scannt dementsprechend und hat sicherlich schon Leben gerettet.
    Abär diese Sache dient ebenfalls als unzureichende Rechtfertigung alle zu bespitzeln.

    Der Bundesnachrichtendienst wusste angeblich von alldem nichts, die Kanzlerin schweigt und der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft regt an, sich an den amerikanischen Überwachungsmethoden ein Vorbild zu nehmen.

    Die Kanzlerin schweigt, um nicht zu lügen. Jeder hat wohl Derartiges geahnt, oder?

    Ich muss gestehen, ich bin etwas verwirrt. Um die Freiheit zu verteidigen, muss sie aufgehoben werden.

    Technische Anmerkung: Das Bespitzeln hebt die Freiheit nicht auf.

    MFG
    Dr. W

  12. #12 Joseph Kuhn
    4. Juli 2013

    In der BR-Sendung “quer” gab es heute den ultimativen bayerischen Kommentar zum Thema: “Ozapft is”.

  13. #13 Dr. Webbaer
    5. Juli 2013

    Queer, schon verstanden, Herr Dr. Kuhn, es mag auch ogzapft sein, *hörhö*, aber ansonsten sind natürlich die Kommentarleistungen des staatlich verordneten Apparats in D auch nicht viel besser als diejenigen der hiesigen Kommentatorenkräfte, ‘MJ’ und ‘G.W.’ vielleicht einmal ausgenommen.

    Man wird sich nun bezüglich der Überwachung aus den Staaten nun nicht mehr in die Lederhose lügen können, oder?

    MFG
    Dr. W

  14. #14 rolak
    5. Juli 2013

    “Ozapft is”

    Yep, und zwar die Mediathek – schönen Dank für den Tip, Joseph.

    Als Ergänzung zu dem aktuellen Spiegel-Artikel im post vielleicht noch diese etwas ältere Ausgabe, die deutlichst belegt, daß bis vor kurzem auf gar keinen Fall irgendjemand etwas gewußt haben kann.
    Wenn ich meinen Erinnerungen trauen kann, ists mit Sicherheit nicht die früheste Beschreibung der Machenschaften (bzw des Normalgeschäfts) der Dienste, doch auf die Schnelle fand sich nichts Älteres.

  15. #15 michael
    5. Juli 2013

    Eigentlich könnte die NSA ja mal mit Hilfe ihres Datenschatzes mal folgende Frage beantworten:

    Wo sind die 100_000 DM jetzt, die Schreiber damals dem Herrn Schäuble gegeben hat?

    @rolak
    Im Emacs gab es ja schon seit 1987 (laut copyright vermerk in spook.el) die Möglichkeit mit dem spook-kommando nsa-geeignete Stichwörter seiner Mail hinzuzufügen. https://www.catb.org/jargon/html/N/NSA-line-eater.html

  16. #16 Sven Türpe
    6. Juli 2013

    Inwieweit schränkt es unsere Freiheit ein, dass die Exekutive eines anderen Staates von der ihren Gebrauch macht?

  17. #17 Joseph Kuhn
    6. Juli 2013

    “Inwieweit schränkt es unsere Freiheit ein, dass die Exekutive eines anderen Staates von der ihren Gebrauch macht?”

    Sven Türpe, 6. Juli 2013

    Antwortvorschlag:

    “die ganzen »Sicherheits«maßnahmen der jüngeren Vergangenheit schaffen augenscheinlich genau das Gegenteil. Unsicherheit nämlich, Unsicherheit darüber, welche Folgen ein Handeln heute haben kann, das bis gestern keinen etwas anging.”

    Sven Türpe, 19. Januar 2008, https://erichsieht.wordpress.com/2008/01/19/vorratsverdacht/

  18. #18 rolak
    6. Juli 2013

    pwnd 🙂

  19. #19 Sven Türpe
    8. Juli 2013

    Weder neige ich zum Dogmatismus noch schäme ich mich meiner Erkenntnisprozesse. Wir können also zu den Sachfragen zurückkehren: Inwieweit schränkt es unsere Freiheit ein, dass die Exekutive eines anderen Staates von der ihren Gebrauch macht? Welche schädliche Wirkung kann man einer Spionage zuschreiben, die erst durch Enthüllungen bekannt wird, die also für sich genommen offenbar keine erkennbaren Einflüsse auf unsere Leben und unsere Gesellschaften ausübt?

  20. #20 Joseph Kuhn
    8. Juli 2013

    @ Sven Türpe:

    Worin bestehen denn Ihre Erkenntnisprozesse zwischen 2008 und 2013? Ihre Äußerung von damals hat doch was für sich.

  21. #21 Sven Türpe
    15. Juli 2013

    Mein Glaube an die Macht der Geheimhaltung ist geschwunden: praktisch, technisch und konzeptionell. Praktisch halten wir immer weniger geheim, weil der Nutzen des Netzes und seiner Dienste so groß ist, dass sich die Abschottung dagegen nicht lohnt. Technisch erleben wir gerade den Siegeszug statistischer Modelle, die beispielsweise aus dem Einkaufsverhalten im Supermarkt ermitteln, ob eine Frau schwanger ist. Daten und Wissen sind nicht mehr weitgehend deckungsgleich wie in der Datenbankära; um Wissen gezielt für mich zu behalten, müsste ich alle Daten geheimhalten, die Rückschlüsse darauf zulassen. Konzeptionell bin ich zu der Einsicht gelangt, dass sich nur gutartige Gegner von Informationsmangel beeindrucken lassen. In einem Rechtsstaat werde ich freigesprochen, wenn die Beweise gegen mich nicht ausreichen. In einem Schurkenstaat hingegen muss ich damit rechnen, dass man mir willkürlich schadet.

  22. #22 Joseph Kuhn
    15. Juli 2013

    @ Sven Türpe: Sie beginnen mit dem Einkaufsverhalten und sind zwei Sätze später beim Thema Anklage. Solche Assoziationen liegen offensichtlich heute nahe, das passt doch gut zu Ihrer Antwort aus 2008. Dabei dürfte eine ungerechtfertigte Anklage infolge abgehörter Daten für die meisten Leute absolut unwahrscheinlich sein, Komplikationen bei der Einreise in die USA könnte man sich, wenn man Presseberichten glauben darf, da schon eher vorstellen.

  23. #23 Sven Türpe
    17. Juli 2013

    In erster Linie sind Assoziationen nicht dadurch zu verhindern, dass man ein paar Daten über sich selbst verschweigt. Im Gegenteil, je weniger Daten vorliegen, desto ungenauer und riskanter werden die Zuschreibungen aus Modellen. Zum Scheitern verurteilt ist zudem, der Versuch, überhaupt noch detailliert zu verfolgen und zu steuern, wer welche Daten worüber erhält und was er damit anstellt oder daraus schließen könnte. Bereits einfache standardisierte Bankdienstleistungen, wie sie PayPayl erbringt, verteilen Daten an eine dreistellige Zahl von Unternehmen. Der Zug der allgemeinen Geheimhaltung ist abgefahren.

    Komplikationen bei der Einreise in fremde Ländern wird man folglich kaum dadurch vermeiden können, dass man sich in irgendeiner Form unsichtbar zu machen versucht. Die USA — die Deutschen die visafreie Einreise ermöglichen, was sehr nett ist — dürften in dieser Hinsicht nicht an erster Stelle stehen. In andere Länder kommt man viel schwerer oder umständlicher hinein, und es gibt ja auch kein Anrecht darauf, komplikationslos in andere Länder einzureisen. Wenn dies also alles ist, was uns droht, können wir das Thema abhaken.

  24. #24 Joseph Kuhn
    29. Juli 2013
  25. […] wollen alle sicher leben. Manchmal übertreiben wir es damit vielleicht ein wenig, z.B. bei der Datensicherung. Oder in der Hygiene. Eine Kollegin hat mich heute auf diese schöne Internetseite des “Center […]

  26. […] verdächtig, warum ich das sage, werden sie gleich verstehen. Auch über NSA & Co. haben wir hier auf Gesundheits-Check […]