Je älter man ist, desto höher ist statistisch gesehen das Risiko, zu sterben. Das ist trivial. Deswegen interessiert beim Vergleich von Sterberaten, z.B. zwischen zwei Landkreisen, oft nicht allein die rohe Sterberate, also die Zahl der Gestorbenen bezogen auf die Einwohner/innen, sondern man möchte die Sache auch altersbereinigt haben. Dann sieht man, ob sonst noch etwas im Spiel ist.
Alte und junge Regionen und eine etwas unbekannte Geschichte des kalten Krieges
Ein Beispiel: Im Landkreis Wunsiedel im nordöstlichen Oberfranken lag die rohe Sterberate 2010 bei 1.427,6 je 100.000 Einwohner/innen, im Landkreis Freising dagegen, Nähe München, lag sie bei 710,4 je 100.000 Einwohner/innen. Der Anteil der Bevölkerung, die 65 Jahre und älter ist, lag 2010 im Landkreis Wunsiedel bei 25,4 %, im Landkreis Freising bei 15,3 %. Wunsiedel ist der älteste Landkreis Bayerns, Freising der jüngste. Kein Wunder also, dass die Sterberate in Wunsiedel höher ist als die in Freising.
Aber das ist noch nicht die ganze Geschichte. Man kann jetzt altersbereinigte Sterberaten berechnen, d.h. eine Altersstandardisierung vornehmen. Bei einer Altersstandardisierung anhand der sog. „alten Europastandardbevölkerung“ errechnet sich für Wunsiedel eine altersbereinigte Sterberate von 620,9 je 100.000, für Freising kommt man auf 507,3 je 100.000. Das sieht schon besser für Wunsiedel aus, aber es hat offenkundig auch altersbereinigt eine höhere Sterberate, für die demnach andere Ursachen verantwortlich sein müssen. In diesem Fall spielen die sozioökonomischen Rahmenbedingungen der Region eine wichtige Rolle. Nordostbayern war lange Zeit „Zonenrandgebiet“, wie es so schön hieß, eine Region ohne wirtschaftliches Hinterland. Schlechtere sozioökonomische Lage bedeutet höhere Sterblichkeit, ein altes Gesetz der Sozialepidemiologie. In den Sterberaten Nordostbayerns machen sich die Folgen der europäischen Teilung bis heute bemerkbar.
Altersstandardisierung, leicht gemacht
Das war Geschichte, aber immer noch nicht die, die ich eigentlich erzählen will. Bevor das kommt, muss ich ein paar trockene Vorübungen machen und die Verfahren der Altersstandardisierung erklären. Man unterscheidet dabei im Wesentlichen zwei Methoden, die direkte und die indirekte Altersstandardisierung. Bei der direkten Altersstandardisierung gewichtet man die altersspezifischen Sterberaten einer Untersuchungspopulation mit den altersspezifischen Kopfzahlen einer Standardbevölkerung. Damit unterstellt man für die Vergleichsregionen einen gleichen Altersaufbau. Für viele Zwecke, z.B. für europäische Vergleiche, ist die schon erwähnte „alte Europastandardbevölkerung“ gebräuchlich. Man kann aber z.B. auch die deutsche Bevölkerung des Jahres 2010 nehmen, oder die bayerische des Jahres XY. Es kommt nur darauf an, für alle Vergleichsregionen die gleiche Standardbevölkerung zu nehmen.
Bei der indirekten Altersstandardisierung geht man in gewisser Weise umgekehrt vor. Man nimmt die altersspezifischen Sterberaten einer Standardpopulation, z.B. der bayerischen, und gewichtet diese mit den altersspezifischen Bevölkerungszahlen der Untersuchungspopulation, z.B. des Landkreises Freising. Daraus ergeben sich „erwartete Sterbefälle“, nämlich die Zahl der Sterbefälle, die in Freising zu erwarten wäre, wenn in Freising mit seinem Altersaufbau die gleichen Sterberaten bestehen würden wie in Bayern. Setzt man dann die reale Zahl der Sterbefälle in Freising mit der so berechneten erwarteten Zahl ins Verhältnis, erhält man die „Standardisierte Mortalitätsratio (SMR)“. Sie gibt an, wie sich die Sterblichkeit Freisings zu der Bayerns verhält. Ist die Sterblichkeit gleich, beträgt die SMR 1. Wäre sie in Freising höher als in Bayern, läge die SMR über 1, andernfalls unter 1. Die Abweichung von der 1 lässt sich als prozentuale Abweichung der Sterblichkeit Freisings von der Bayerns interpretieren.
Im Jahr 2010 lag die SMR Freisings bei 0,95, d.h. Freising hat altersbereinigt eine um 5 % geringere Sterblichkeit als Bayern. Für den Landkreis Wunsiedel errechnet sich eine SMR von 1,12, also eine um 12 % höhere Sterblichkeit als im bayerischen Durchschnitt.
Man erkennt sofort, wo der Vorteil der indirekten Altersstandardisierung liegt: Man hat für die SMR die Altersverteilung der Sterbefälle in Freising nicht verwendet. Bei kleinen Fallzahlen oder einer unsicheren Altersverteilung der Fälle ist das die Methode der Wahl. Der Nachteil liegt ebenfalls auf der Hand: In der SMR ist der Altersaufbau Bayerns bereinigt, d.h. der SMR liegt der Altersaufbau Freisings zugrunde. Das hat zur Folge, dass die indirekte Altersstandardisierung immer nur im Zweierverhältnis Untersuchungspopulation – Standardpopulation zu einem altersbereinigten Vergleich führt. Die SMR Freisings und die SMR Wunsiedels kann man eigentlich so nicht vergleichen, es sei denn, beide Landkreise haben nahezu den gleichen Altersaufbau. Man muss nicht lange googeln, um herauszufinden, dass das oft nicht beherzigt wird.
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