Panta rhei – alles fließt – lautet das dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschriebene Wort, nach dem sich stets alles ändert und alles was ist, nur im Wandel besteht. Die Krankenversicherung ist ein schönes Beispiel dafür. So unverzichtbar sie an sich für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist, so unstet ist ihre konkrete Form. Gesundheitsreformen gehören zu den verlässlich wiederkehrenden Themen einer jeder Legislaturperiode, mal mit größeren, mal mit kleineren Reformschritten.

In der nächsten Legislaturperiode könnte es wieder einmal einen größeren Reformschritt geben, wenn die Dualität von gesetzlicher und privater Krankenversicherung angegangen wird. Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung als „Vollversicherung“, also der Abdeckung der grundlegenden Krankheitsrisiken in zwei Systemen, gibt es in Europa nur noch in Deutschland. Viele Ökonomen sehen darin aufgrund verschiedener Problemlagen kein Zukunftsmodell, auch der Wirtschafts-Sachverständigenrat hatte sich z.B. in seinem Jahresgutachten 2004/2005 für ein integriertes Krankenversicherungssystem ausgesprochen. Wie dieses integrierte Krankenversicherungssystem aussehen soll, ob es z.B. eine gesetzliche Bürgerversicherung geben sollte oder einen einheitlichen Versicherungsmarkt, etwa wie in den Niederlanden, wäre zu diskutieren.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat – sicher auch mit Blick auf die kommende Legislaturperiode – gerade ein interessantes Buch dazu vorgelegt: „Die Krankenversicherung der Zukunft“, es ist im KomPart-Verlag erschienen und kostet 17,80 Euro.

Es enthält neben ökonomischen Strukturanalysen zur gesetzlichen und privaten Krankenversicherung u.a. Ergebnisse einer Studie zum Vergleich der beiden Versicherungssysteme in der Wahrnehmung der Versicherten.

Die Studie bestätigt zum einen einige bekannte Dinge. So beurteilen privat Versicherte ihre Situation bei den Wartezeiten auf einen Arzttermin positiver als gesetzlich Versicherte (durchschnittliche Bewertung 2,2 auf einer Schulnoten-Skala von 1 bis 5; GKV-Versicherte: 2,9). Dafür sehen sich fast doppelt so viele PKV-Versicherte wie GKV-Versicherte unnötigen Untersuchungen bzw. Behandlungen ausgesetzt (14 % versus 6 %). Ähnlich wie die GKV-Versicherten registrieren die PKV-Versicherten eine Verschlechterung von Versicherungsleistungen in den letzten Jahren (25 % der PKV-Versicherten, 22 % der GKV-Versicherten), 45 % erwarten weitere Leistungseinschränkungen in der Zukunft (GKV: 41 %). Die Beitragsentwicklung in der PKV veranlasst viele Versicherte zu Tarifwechseln: 29 % sind in diesem oder dem letzten Jahr in einen Tarif mit erhöhter Selbstbeteiligung und/oder reduziertem Leistungsanspruch gewechselt – besonders häufig Rentner und Selbständige.

Zum anderen zeigt die Studie, dass die PKV-Versicherten sozialpolitisch mehrheitlich keineswegs auf dem Ego-Trip sind: So sagen z.B. 74 % der PKV-Versicherten, dass Gesunde den gleichen Beitrag zahlen sollten wie Kranke, 71 % sind zudem der Meinung, dass Besserverdienende mehr bezahlen sollten wie Geringverdiener. Die private Krankenversicherung folgt dagegen dem sog. „Äquivalenzprinzip“: Gleiche Risiken sollen gleiche Beiträge nach sich ziehen.

Daraus darauf zu schließen, dass die PKV-Versicherten sich eigentlich die GKV für alle wünschen, wäre aber verfehlt: 46 % der PKV-Versicherten sind dafür, das Versicherungssystem zu lassen, wie es ist (GKV: 36 %), 35 % der PKV-Versicherten plädieren dafür, die gesamte Bevölkerung in der GKV zu versichern (GKV-Versicherte: 57 %), 17 % möchten die GKV dagegen ganz abschaffen (GKV: 5 %).

Die Dinge zu lassen, wie sie sind, ist allerdings nicht nur mit Verweis auf Heraklit keine gute Option. Der demografische Wandel und der medizinische Fortschritt bringen GKV und PKV gleichermaßen unter Druck. Lange war dabei vor allem die GKV das Sorgenkind der Gesundheitspolitik, im Moment scheint das Geschäftsmodell der PKV in der Krise zu sein. Beispielsweise lässt sich der gesetzlich vorgeschriebene Rechnungszins (für die Anlagen der PKV) angesichts der niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt nicht mehr so einfach erwirtschaften, die Finanzmarktkrise macht die Anlagen zudem unsicherer – mit den Bankenrettungen wurden auch Versicherungsanlagen in großem Stil gerettet, worauf Hartmut Reiners in dem gleichen Buch hinweist. Und trotz Altersrückstellungen steigen die Beiträge in der PKV im Alter manchmal stärker als an, als es die Einkommen der Versicherten vertragen. So musste in diesem Jahr ein Notlagentarif eingeführt werden, weil ca. 150.000 PKV-Versicherte ihre Prämien nicht mehr zahlen können.

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Kommentare (8)

  1. #1 Ludger
    9. September 2013

    Man kann ja ganz klein anfangen und vorerst mal die Beihilfe abschaffen (mit Kompensation bei der Gehaltszahlung) und die Gehaltsfortzahlung im Falle einer lang dauernden Erkrankung am Krankengeld orientieren.

  2. #2 Joseph Kuhn
    11. September 2013

    Im aktuellen Ärzteblatt wird gerade eine Variante der integrierten Krankenversicherung, die “Bürgerversicherung”, auf’s Korn genommen, mit einigen bedenkenswerten und einigen etwas fadenscheinigen Argumenten:
    https://www.aerzteblatt.de/pdf/110/35/a1612.pdf.
    Das Thema ist “in”.

  3. #3 Roland
    Stuttgart
    15. September 2013

    Liegt das wirkliche Problem nicht woanders? Haben wir nicht geradezu einen Interessenverbund Mediziner/Pharmaindustrie/Apotheker, deren groesste Katastrophe ein hoeherer Prozentsatz von “Gesunden” darstellt? Es kommen jedes Jahr eine gewisse Anzahl (ich weiss die genaue Zahl nicht) von Menschen mit einer dieser Ausbildungen auf den “Markt”. MUSS dann nicht das “System” qua Automatik teurer werden – die Anzahl der Leute ist etwa gleich, die werden eher weniger.

  4. #4 rolak
    15. September 2013

    jedes Jahr eine gewisse Anzah

    Klar, Roland, und weil seit Einführung der Krankenversicherung kein Arzt mehr aus dem aktiven Arbeitsleben ausgeschieden ist, heben wir aktuell die absurde Situation, daß sich um jeden Patienten drei Ärzte balgen. Schon in einem Jahrzehnt werden es fünf sein…

  5. #5 Ponder
    15. September 2013

    @rolak:

    …um jeden Patienten drei Ärzte balgen. Schon in einem Jahrzehnt werden es fünf sein…

    Und die werden dann hauptsächlich russisch sprechen…

  6. #6 rolak
    15. September 2013

    schlimm, sooo schlimm…

  7. #7 Joseph Kuhn
    15. September 2013

    @ Roland: Dass es im “medizinisch-industriellen Komplex” auch Bestrebungen und Tendenzen gibt, die den Behandlungsbedarf unnötig erhöhen, z.B. durch die Senkung von Grenzwerten (Beispiel Adipositas), durch nutzlose Therapien bei Sterbenden oder durch regelrechtes “disease mongering”, dem Erfinden von Krankheiten, will ich gar nicht bestreiten. Aber solche Fehlentwicklungen sind bekannt und es gibt, z.B. mit der evidenzbasierten Medizin, Gegenkräfte. Die Choosing Wisely Initiative ist ein aktuelles Beispiel.

    Auch dass es angebotsinduzierte Nachfrage im Gesundheitswesen gibt, also dort, wo viele Ärzte sind, besonders viele Leistungen abgerechnet werden, ist nichts Neues.

    Bei der Frage nach der Weiterentwicklung des Krankenversicherungssystems spielt die Frage danach, was “solidarisch” von allen bezahlt werden soll, somit durchaus eine wichtige Rolle, aber es geht um mehr, z.B. darum, auch den privat Versicherten den Kassenwechsel zu ermöglichen, damit hier überhaupt nach Versicherungsabschluss Wettbewerb stattfinden kann, oder die Versicherungssysteme demografiefest zu machen, oder die Risikoselektion zwischen gesetzlicher und privater Versicherung nicht ausufern zu lassen usw.

  8. #8 Joseph Kuhn
    17. September 2013

    Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Harald Terpe, selbst Arzt, sieht in einem Interview mit der Ärztezeitung die PKV in ihrer gegenwärtigen Form als “Abwicklungsbehörde, die Rechnungen bezahlt”, für die die Mitwirkung an innovativen Modellen der Vertragsgestaltung und des Versorgungsmanagements “Neuland” sei:
    https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gp_specials/bundestagswahl-2013/default.aspx?sid=846103&cm_mmc=Newsletter-_-Newsletter-C-_-20130917-_-Bundestagswahl+2013