Dass die Lebenserwartung auch in den entwickelten Ländern in hohem Maße von der sozialen Lage abhängt, ist eine sozialepidemiologische Binsenweisheit und durch zahlreiche Studien gut belegt. Trotzdem gibt es noch immer interessante Neuigkeiten zu diesem Thema, auf drei davon sei hier kurz hingewiesen:
1. Vor etwa zwei Jahren ging eine Meldung durch die Medien, dass die Lebenserwartung der sozial Benachteiligten in Deutschland sinken würde. Grundlage war eine Auswertung von Rentenversicherungsdaten. Vor dem Hintergrund der Diskussion um das Auseinandergehen der sozialen Schere in Deutschland war das eine ausgesprochen brisante Nachricht. Zwar war ziemlich schnell klar, dass die Daten diese Meldung nicht decken, aber belastbare Auswertungen der Rentenversicherungsdaten zum Trend der Sterblichkeit in verschiedenen sozialen Schichten gab es auch nicht.
Diese Datenlücke haben nun Wissenschaftler/innen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock geschlossen. Demnach nimmt die Lebenserwartung auch bei den Rentnern mit geringem Einkommen zu. Allerdings wächst die Differenz der Lebenserwartung bei Rentnern mit hohem und niedrigem Einkommen. Nachzulesen online im Infodienst Demografische Forschung 3/2013.
2. Die Diskussion um den Zusammenhang zwischen sozialen Rahmenbedingungen und Lebenserwartung in den entwickelten Ländern dreht sich meist um Faktoren, die vermittelt über die soziale Lage eher langfristig wirken: das Rauchen, die Ernährung, die Wohn- und Arbeitssituation. Es gibt aber auch kurzfristige Effekte. Die Wirtschaftskrise 2008 ließ z.B. die Suizidraten steigen. Das ist an sich wenig überraschend. Das Ausmaß der zusätzlichen Suizide dagegen vielleicht schon: Eine kürzlich veröffentlichte Studie im British Medical Journal kam zu dem Befund, dass infolge der Krise 2008 im Jahr 2009 in den 54 untersuchten Ländern ca. 5.000 zusätzliche Suizide aufgetreten sind. Auch in Deutschland kam der langjährige Trend zum Rückgang der Suizide damals zum Stillstand.
3. Mehr Suizide infolge von Wirtschaftskrisen wirken sich negativ auf die durchschnittliche Lebenserwartung aus. Umso überraschender sind die Ergebnisse einer Studie im Journal of Epidemiology and Community Health, nach der in Krisenzeiten die Gesamtsterblichkeit sogar abnehme, in Wachstumsphasen dagegen steige. Ausgeschlossen ist eine solche Überlagerung des langfristigen Zusammenhangs von höherem Wohlstand und höherer Lebenserwartung durch kurzfristige Gegentrends nicht, z.B. nehmen in Wachstumsphasen die Arbeitsunfälle zu, aber genauer ansehen sollte man sich diese Sache wohl schon erst einmal.
Wie man sieht, hat die altbekannte Geschichte, dass soziale Kontextfaktoren die Sterblichkeit beeinflussen, immer noch mit ein paar neuen Facetten aufzuwarten. Die Grundregel, dass Armut tödlich ist, wird davon allerdings nicht tangiert.
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