Die Pfunde, die wir zu viel auf die Waage bringen, sind ein spannendes Thema. Das fängt schon damit an, dass ziemlich unklar ist, wie viel „zu viel“ ist. Die Weltgesundheitsorganisation hat eine Einteilung anhand des Body Mass Index (BMI) vorgenommen, also eines Körpermaßes, das unser Gewicht (in kg) ins Verhältnis zur quadrierten Körpergröße (in m) setzt. Demnach beginnt ab einem BMI von 25 das Übergewicht, ab einem BMI von 30 die Adipositas, das starke Übergewicht, manchmal recht diskriminierend auch Fettsucht genannt. Darüber, wie vernünftig diese BMI-Grenzen sind und ob man nicht ohnehin besser zu einem anderen Körpermaß übergehen sollte, etwa dem Hip-Waist-Ratio oder einfach dem Bauchumfang, darüber streiten sich die Fachleute seit Jahren mit großer Inbrunst und wenig Konsens.

Seltsam auch, dass Übergewicht eigentlich ein Wohlstandsproblem ist, aber trotzdem am häufigsten in Gruppen mit niedrigem Sozialstatus auftritt, eigentlich die Gesundheit gefährdet, aber manchmal auch schützend wirkt, eigentlich aus unserem Verhalten resultiert, aber doch hartnäckig unseren Bemühungen um einen Waschbrettbauch widerstrebt. Ärgerlich, wo unser Selbstbild doch ganz anders ist, uns eher so schlank und rank aussehen lässt, wie wir in jungen Jahren vielleicht einmal waren.

Dieses Selbstbild beeinflusst auch die Angaben, die Befragte in Studien machen, wenn es um ihre Körpermaße geht: sie machen sich gerne etwas größer (vor allem Männer) und etwas leichter (vor allem Frauen). Diese Diskrepanz zwischen unseren gewünschten Körpermaßen und dem, was sich messen lässt, ist seit langem Gegenstand von Methodendiskussionen in der Epidemiologie. Es gibt Vergleichsstudien und sogar Korrekturfaktoren, um BMI-Werte aus Studien mit Selbstangaben zu Körpergröße und Gewicht mit solchen aus Studien mit gemessenen Werten vergleichen zu können.

Immer wieder beeindruckend ist das Ausmaß dieses Wunschdenkens und sein Einfluss darauf, wie hoch z.B. die Adipositasraten der Bevölkerung ausfallen, je nachdem, auf welche Daten man zurückgreift. Das sei im Folgenden anhand zweier aktueller Studien demonstriert, die beide vom Robert Koch-Institut durchgeführt wurden, der DEGS-Studie mit gemessenen Körpermaßen und der GEDA-Studie mit erfragten Körpermaßen:

Adipositas_Männer

Adipositas_Frauen

Insgesamt hat man es bei DEGS mit ca. 24 % Adipösen zu tun, bei GEDA mit ca. 16 %. Die Diskrepanz ist bei Männern und Frauen in den einzelnen Altersgruppen, von den 70-79-Jährigen einmal abgesehen, recht ähnlich und bei beiden Geschlechtern bei den Über-60-Jährigen deutlich größer als bei den Unter-60-Jährigen. Eigentlich sollte man ausgeprägte Eitelkeit eher bei den Jüngeren vermuten, aber vielleicht hat die Sache bei den Älteren ja auch ganz andere Ursachen. Interessant wäre auch, wie stabil solche Unterschiede zwischen gemessenen und erfragten Werten über die Jahre hin sind. Die künftigen Erhebungen des Robert Koch-Instituts werden es zeigen.

Leider ist es ziemlich aufwändig, Messdaten für größere Populationen und standardisiert zu erheben, das geht im Grunde nur über Studienzentren, in die die Leute eingeladen werden. Befragungen sind viel einfacher zu realisieren. Aber Körpermaße lassen sich eben nur mit Qualitätseinbußen erfragen. Die GEDA-Studie unterschätzt die Adipositas in Deutschland, ebenso übrigens der Mikrozensus. Immerhin: Wichtige Strukturmerkmale, z.B. wie die Adipositas mit dem Alter, dem Sozialstatus oder anderem zusammenhängt, wie sie sich regional verteilt oder im zeitlichen Trend entwickelt, spiegeln sich auch in Befragungsdaten einigermaßen verlässlich wider. Und bei Angaben zur Häufigkeit der Adipositas muss man eben genau hinsehen, was die Datenbasis ist, insbesondere bei internationalen Vergleichen.

Nachtrag: In der DEGS-Studie wurden Gewicht und Größe übrigens auch noch erfragt, aber diese Daten, mit denen man Befragung und Messung an der gleichen Stichprobe vergleichen kann, liegen m.W. noch nicht vor.

Kommentare (14)

  1. #1 es_ist_zum_heulen
    8. März 2014

    der eigene Bericht dazu: im Jahr 2012 kam ich wegen unklarer Herzprobleme ins Krankenhaus (2 Tage später war ich Träger eines Stent) und wurde nach dem Gewicht gefragt. Meine “Heimwaage” hatte immer so um 105 Kg. angezeigt (mal mehr mal weniger). Auf der “offiziellen” Waage im Krankenhaus waren es dann 117 🙂 D.h. ich habe mich, meine Frau und den Arzt ungewollt angelogen….

  2. #2 Joseph Kuhn
    8. März 2014

    “Meine ‘Heimwaage’ hatte immer so um 105 Kg. angezeigt”

    Eine echt nette Heimwaage, wenn sie das Flunkern übernommen hat 😉

    Und ein schönes Beispiel. Messen alleine ist noch nicht unbedingt besser als Fragen. Nötig sind auch geeichte Waagen, standardisierte Untersuchungsbedingungen (wg. Kleidung etc.) usw. – und dann gibt es auch noch die schönen Rundungseffekte, von denen auch Messdaten nicht immer ganz frei sind.

  3. #3 es_ist_zum_heulen
    8. März 2014

    drum 🙂 Story addon: ich gehe einmal die Woche ins Fitness-Studio (neben fast täglich 10km Walking… ) und ratet mal, was die dortige Waage immer angezeigt hat? Richtig! Die hat immer mehr angezeigt (logisch – du sollst ja abnehmen…) Und was ist eigentlich aktueller Stand?
    1. Gewicht 99,5 Tendenz sinkend
    2. Nichtraucher seit fast 2 Jahren
    3. wie gesagt fast täglich 10,5 Km Walking bei 6,8 – 7,0 Km/h
    4. Blutdruck / Puls im Ideal-Bereich
    Traurig, dass man erst einen solchen Anlass haben muss, um sich umzukrempeln 🙂

  4. #4 ania
    10. März 2014

    Das letzte Mal, das meine Körpergröße offiziell gemessen worden ist, war mit 15 Jahren, da war ich ausgewachsen (weiblich). Meine Mutter war damals ca. 5cm kleiner als ich.
    Mittlerweile geht sie mir knapp bis zur Nase und flott auf die 80 zu.
    Wenn man mich in 30 Jahren fragt, wie groß ich bin, werde ich vermutlich die selbe Angabe machen, wie schon die letzten 33 Jahre, und wie sie seitdem in allen Ausweisen auftaucht.
    Nur stimmen wird sie dann nicht mehr. Ist aber keine böse Absicht sondern nur der Mangel an Meßgelegenheiten.

  5. #5 Joseph Kuhn
    10. März 2014

    @ ania: Dass Ältere oft ihre Körpermaße nicht mehr messen, spielt sicher eine Rolle. Oder genauer: manche Ältere. Und da fangen auch schon wieder die interessanten Fragen an: Wer wiegt sich noch mit 80, wer schaut, ob er im Alter nicht sogar etwas kleiner geworden ist? Gibt es da soziale Unterschiede, Geschlechterunterschiede?

  6. #6 miesepeter3
    10. März 2014

    Jaaaa, wir wüßten alle gerne, welches Gewicht nun denn auch das einzig richtige für uns ist. Ich fürchte, das gibt es nicht. Der wissenschaftliche Ausschließlichkeitsanspruch – dieses und kein anderes – ist im Zusammenhang mit Lebewesen (hier der Mensch) offensichtlich nicht zielführend. Wir wissen, dass der menschliche Körper wichtigere Fürsprecher haben sollte, als nur die Mode. Ebenso kann man nicht sagen, dass möglichst schlanksein das Beste sei. Schwere Krankheiten zehren und da hätte der Dicke mehr Chancen, die Krankheit zu überstehen. Zu Rubens Zeiten waren die Leute nicht nur dick, weil das schön war, sondern es war schön, weil es auch gesund (notwendig) war. Im Winter gabe es weniger Nahrungsmittel, da konnte man schon mal viel abnehmen. Es wurden auch die Häuser nicht so warm geheizt, wie heutzutage. Es war kalt und Dünne frieren schneller als Dicke und bekamen dann schneller z.B. eine Lungenentzündung. Dünnsein war also zum Teil lebensgefährlich. Dünn oder dick kann also auch vom Ausgleich von Lebensumständen und zur Gefahrenabwehr dienen. Das heißt, dünn oder dick sind mal gesund und mal ungesund. Was gesund ist, wird auch als schön empfunden.
    Das gilt nicht nur für unseren Kulturkreis. Auch in Afrika und Asien gilt dick als “Lebensversicherung” gegen Hunger und Krankheit und gilt dementsprechend als schön.
    Von ungesund kann man nur sprechen, wenn man die Lebensumstände bei der Beurteilung mit einbezieht. Wenn es genug zu essen gibt und auch genug Wärme, ist Dicksein überflüssig und damit unschön. So gesehen haben so manche Ärzte recht, wenn sie zum Abnehmen auffordern, Dicksein kann auch viele andere Übel als Verhungern oder Erfrieren nach sich ziehen. Heutzutage gilt ein erhebliches Übergewicht genau so als Auslöser für Krebs wie bisher Rauchen.
    Mein Schönheitsideal bei Frauen ist jedenfalls die Möglichkeitauf den ersten Blick zu erkennen, wo hinten und vorne ist.

  7. #7 Wolf
    11. März 2014

    Der BMI sollte durchaus auch kritisch betrachtet werden, da ausschließlich das Verhältnis Körperoberfläche / Gewicht berücksichtigt wird. Eine Aussage über den Körperfettgehalt und (tragende) Muskelmasse ist damit nicht zu treffen.

    Kleines Beispiel:

    https://rawmultimedia.files.wordpress.com/2014/02/dwayne-johnson-the-rock-4.jpg

    Körpergröße 1,96 m
    Gewicht 120 kg
    BMI 31,23

    Wer würde sich trauen dem zu sagen, dass er offiziell als adipös gilt? 😉

  8. #8 Wolf
    11. März 2014

    Ups, gesehen, wird ja schon im ersten Absatz gesagt. Sorry.

  9. #9 Petra
    12. März 2014

    @Joseph 8.3.2014
    “schöne Rundungseffekte” ist in diesem Fall hübsch formuliert 😉

  10. #10 RolB
    13. März 2014

    @ Joseph Kuhn
    “streiten sich die Fachleute seit Jahren mit großer Inbrunst und wenig Konsens.”
    Zumindest in unseren ÖGD-Fachkreisen wird der BMI schon lange nicht mehr als einzig sinnvoller Parameter eingestuft. Hierzu ist auch auf den aktuellen Artikel zu verweisen:
    A Pooled Analysis of Waist Circumference and Mortality in 650,000 Adults
    https://www.mayoclinicproceedings.org/article/S0025-6196%2813%2901040-9/abstract

  11. #12 isa
    frankfurt
    30. März 2014

    Ist schon der Wahnsinn, wie sehr manche unter Ihrem Aussehen leiden, und desto mehr Werbung für diese ganzen Schönheitsop´s gemahct werden umso mehr unzufriedene gibt es.. Seltsam! Hatte gerade gestern von einer Frau gehört, die extra hierfür einen Kleinkredit aufgenommen hatte.

    Werbelink entfernt, JK

  12. […] und Körpergröße, die Ausgangsdaten des BMI. Befragungsdaten führen, auch darüber haben wir hier schon diskutiert, zu einer Unterschätzung der wahren Gewichtswerte. Hier sind die Withings-Daten immerhin erwartungskonform, sie liegen über den Mikrozensusdaten und […]

  13. #14 Anja
    München
    2. Februar 2015

    Der BMI sollte kritisch betrachtet werden und man sollte eher vom Spiegelbild und dem eigenen Wohlbefinden ausgehen und nicht von Zahlen die keinen Unterschied zwischen dem Gewebe machen.
    Schönheitsoperationen können, jedoch eine Alternative sein die aber wohl überlegt sein sollte.
    Viele Informationen zum natürlich abnehmen habe ich unter XXX/abnehmen-traumgewicht/ gefunden.
    Die Seite bietet aber auch Informationen über gewisse Schönheitsoperationen und sollte für jeden Leser des Artikels interessant sein.

    Kommentar editiert: Werbelinks bitte unterlassen. Danke. JK.