Vor einem Jahr hatten wir hier auf Gesundheits-Check über die „Quantified Self“-Bewegung diskutiert. Beim „Quantifed Self“ geht es um die Selbstbeobachtung und Selbstoptimierung anhand von Self-Tracking-Daten, die man z.B. durch Puls- oder Schrittzähler erhebt und über Netzwerke in einer Community austauscht. Um diese Bewegung ist ein munterer Markt von Anbietern entstanden, die immer neue Anwendungen entwickeln.
Heute hat mich die Mitteilung einer Firma namens „Withings“ erreicht. Withings ist nach eigenen Angaben „der führende Produzent der Connected Health Bewegung“. In der Mitteilung geht es darum, dass die Deutschen die Dicksten in Europa seien, wo in Deutschland die meisten Dicken leben und dass man das in einer aktuellen Studie (!) mit eigenen Messdaten gerade herausgefunden habe:
„PARIS/BERLIN: 14.08.2014 – Trauriger Rekord: In Deutschland wohnen die fülligsten Menschen Europas. Das bestätigt eine aktuelle Studie von Withings, dem Pionier der Connected Health Bewegung, für die 25.000 anonymisierte Datensätze der smarten Gesundheitsprodukte von Withings ausgewertet wurden. Grundlage sind die erhobenen Messdaten der Withings Waage Smart Body Analyzer und des Activity Trackers Pulse von Nutzern aus zehn europäischen Ländern. (….) Selbst unter den deutschen Bundesländern gibt es ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. In Schleswig-Holstein (83,9 kg), Niedersachsen (83,7 kg) und Mecklenburg-Vorpommern (83,3 kg) leben die fülligsten Bundesbürger. Im Süden ist man hingegen trotz Weißwurst, Bier und Brezeln deutlich schlanker. Die Bayern bringen durchschnittlich 80,7 kg auf die Waage, in Baden-Württemberg sind es nur knapp 200 g mehr. (…)“
Man könnte jetzt natürlich fragen, ob das Körpergewicht unter standardisierten Bedingungen gemessen wurde oder z.B. mal mit, mal ohne Schuhe, wie verlässlich die Messgeräte sind, wie repräsentativ die Personen sind, deren Daten hier genutzt werden, wie viele Personen eine europaweit mit 25.000 Datensätzen gefütterte „Stichprobe“ für kleine Länder wie Bremen oder das Saarland enthält, ob gesichert ist, dass nicht manche Personen mehrere „Datensätze“ produziert haben, aus welchem Zeitraum die Daten stammen, ob die „Stichproben“ der Länder z.B. nach Alter und Geschlecht vergleichbar sind oder ob man für die Aussage, wo die „Fülligsten“ leben, nicht auch die Körpergröße der Leute mitberücksichtigen müsste. Viele Fragen. Zu viele.
Ich habe einmal geschaut, wie gut die Daten der „Withings-Studie“ zu Befunden aus anderen Quellen passen. Daten zum Körpergewicht nach Bundesländern gibt es auch aus dem Mikrozensus, einer repräsentativen Erhebung des Statistischen Bundesamts bei ca. 1 % der Bevölkerung in Deutschland. Zwar ist die letzte Erhebung der Körpermaße im Mikrozensus aus dem Jahr 2009, aber vermutlich hat sich das durchschnittliche Körpergewicht in den Länderrelationen seit 2009 nicht dramatisch verändert. Die Daten aus der Erhebung 2013 werden übrigens in Kürze vom Statistischen Bundesamt ebenfalls veröffentlicht.
Korreliert man die Mikrozensusdaten zum Körpergewicht nach Ländern mit den Withings-Daten, kommt eine Korrelation von 0,44 heraus. Das ist nicht sehr viel. Gutmütig interpretiert, könnte man vielleicht sagen, die Gewichtsrelationen zwischen den Ländern sind so robust, dass sich das auch noch in den Withing-Daten niederschlägt. Aus dem Mikrozensus lässt sich außerdem der Anteil der Menschen ermitteln, die einen Body Mass Index (BMI) von 30 und mehr haben, also nach gängigen Kriterien als adipös gelten. Korreliert man die BMI-Werte mit den Withings-Daten, so kommt eine Korrelation von 0,03 (!) heraus, also praktisch kein Zusammenhang. Für die von Withings verbreitete Botschaft, wo die „fülligsten Menschen“ leben, keine gute Nachricht.
Der Mikrozensus erfragt Körpergewicht und Körpergröße, die Ausgangsdaten des BMI. Befragungsdaten führen, auch darüber haben wir hier schon diskutiert, zu einer Unterschätzung der wahren Gewichtswerte. Hier sind die Withings-Daten immerhin erwartungskonform, sie liegen über den Mikrozensusdaten und das dürfte nicht nur darauf zurückzuführen sein, dass die Mikrozensusdaten aus etwas „schlankeren Zeiten“ stammen. Aber es könnte natürlich auch sein, dass die Withings-Daten von Personen stammen, die gewichtsmäßig nicht repräsentativ sind. Wie auch immer.
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