Etwa ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland ist konfessionslos. An was sie glauben, weiß man nicht. Die anderen gehören einer der großen Konfessionen an. An was sie glauben, weiß man aber auch nicht so genau. Es gibt nicht „den“ Katholizismus und auch nicht „den“ Islam. Woran glauben also die Leute und wie begründen sie ihren Glauben? Diese Frage vereint zwei Bücher, so unterschiedlich sie ansonsten sind. Beide wurden von „gelernten Ungläubigen“ geschrieben.
Das erste Buch ist von Kurt Flasch: „Warum ich kein Christ bin“. Der Titel erinnert nicht zufällig an Bertrand Russells gleichnamiges Buch. Kurt Flasch nimmt explizit Bezug darauf. Anders als Russell beschäftigt er sich allerdings nicht damit, ob Religion unfrei macht. Ihm geht es darum, wie Christen ihre Glaubensinhalte begründen und was historische Dokumente dazu sagen. Kurt Flasch ist emeritierter Philosophieprofessor, Mitte 80, Mittelalterspezialist. In der breiteren Öffentlichkeit ist er erst in den letzten Jahren etwas bekannter geworden, ein „Medienphilosoph“, der Talkshows mit seinen Einsichten beglückt, ist er nicht. Kurt Flasch sagt, er hätte eigentlich keine schlechten Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Er kritisiert in seinem Buch auch nicht den Zustand der Kirche und ihre Skandale. Er beschreibt, philologisch vorgehend, das historische Quellenmaterial und kommt zu dem Ergebnis, dass das, was sich belegen lässt, nicht stützt, was Christen heute glauben. Das beginnt von der Gottesvorstellung, oder besser gesagt, den verschiedenen Vorstellungen von Gott und geht über die Entwicklung des Auferstehungsglaubens, der im Frühchristentum anders war als heute bis zu kuriosen Geschichten wie der, dass sich der Glaube an die Jungfrauengeburt einem einfachen Übersetzungsfehler verdankt. In der ursprünglichen Referenz sei es schlicht um eine junge Frau gegangen. Da fällt der Glaube in der Tat schwer. „Mein Glaube verflog sich, nicht durch schlagartige Bekehrung, nicht durch ein Außenereignis, sondern durch jahrzehntelanges Anhören untauglicher Argumente, fauler Ausreden und Vertröstungen. So ist mir Stück für Stück abhanden gekommen. (…) Am Ende stand das ruhig gewonnene Resultat: Ich war kein Christ mehr.“
Das Buch von Kurt Flasch argumentiert sehr quellenbezogen, sehr systematisch, ist lehrreich. Zwar gut lesbar geschrieben und nicht als Fachbuch angelegt, aber es ist auch keine kurzweilige Unterhaltungslektüre. Ganz anders das zweite Buch, oder zumindest dessen erste Hälfte, die Autobiographie „Nazis, Nadeln und Intrigen“ von Edzard Ernst. Ihn werden schon mehr Scienceblogs-Leser kennen, Edzard Ernst ist ja in Skeptikerkreisen recht prominent. Auch er ist emeritiert, war Medizinprofessor in halb Europa – mit Stationen in München, Wien, Hannover und London. Sein Buch kann man prima als Urlaubslektüre oder am Wochenende im Garten lesen. Sehr persönlich, auch mit der einen oder anderen traurigen Geschichte, vor allem aber mit umwerfend komischen Szenen. So erfährt man beispielsweise, dass der Student Edzard Ernst von einem als Hausmeister verkleideten Professor als Vorlesungsschwänzer enttarnt wurde, oder wie ihn ein Sheriff in Amerika traute: „Er schloss zwei Zellen auf und verdonnerte die Insassen als Trauzeugen.“ Ab 1993 war Edzard Ernst mit einer bis dahin „normalen“ Medizinerkarriere Professor für Komplementärmedizin in Exeter. Sein Ziel: wissenschaftlich zu untersuchen, an welchen komplementärmedizinischen Methoden etwas dran ist und an welchen nicht. Man kann sich denken, dass er damit nicht überall auf Gegenliebe stieß. Ähnlich wie Kurt Flasch war auch Edzard Ernst nicht von Anfang an „ungläubig“, er wurde es wie dieser zunehmend durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema: „Je tiefer ich in diese Welt der Alternativmedizin eintauchte, desto desillusionierter wurde ich, weil mir klar wurde, dass kaum einer dieser Ansätze wirkliches therapeutisches Potential besaß.“ Mit dieser Sache ist Edzard Ernst sichtlich nicht fertig. Er liefert dazu im 6. Kapitel seines Buches zwar eine gute Zusammenstellung von gängigen Pro&Contra-Argumentationsmustern rund um die Alternativmedizin, aber dabei ist ihm regelrecht der Humor vergangen. Hier kämpft er mit den Argumenten der Alternativmedizinszene. Hier wird er auch stellenweise an den falschen Stellen parteiisch, etwa wenn er sagt, anders als in der Alternativmedizin würden in der konventionellen Medizin ungeprüfte Verfahren in der Praxis nicht angewandt, bis Ergebnisse vorliegen. Das ist vermutlich unbedacht hingeschrieben, er wird es kaum wirklich glauben und wer es glaubt, dem sei z.B. die Lektüre von Peter Gøtzsches „Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität“ ans Herz gelegt.
Warum Edzard Ernst beim Thema Alternativmedizin so humorlos ist, ahnt man, wenn man das Kapitel seiner Auseinandersetzung mit Prinz Charles liest, der bekanntlich zu denen gehört, die keine Evidenznachweise brauchen, weil sie wissen, dass sie recht haben. Die Geschichte wirkt wie das alternativmedizinische Gegenstück zum Fall Sawicki. Ernst bezeichnet diese Auseinandersetzung als „die unangenehmste Zeit meines ganzen Berufslebens“ – und sie hat letztlich zu einem bitteren Ende seiner Laufbahn in Exeter geführt, auch wenn er seine Biografie nicht so bitter ausklingen lässt: „Heute blicke ich von der friedvollen Warte meines Ruhestandes mit einer Mischung aus Zufriedenheit und Ungläubigkeit auf eine oft stürmische Vergangenheit zurück. Der Arzt und Wissenschaftler in mir mag noch immer voller Fragen sein, aber der Musiker [Edzard Ernst wollte ursprünglich Jazz-Musiker werden, JK] atmet erleichtert auf: Die Darbietung mit ihren höllischen Schwierigkeitsgraden und den vielen teuflisch-schweren Passagen ist endlich gut überstanden.“ Möge es so sein.
Zwei Bücher, die Glaubensbekenntnisse infrage stellen. Was man glaubt, kommt durch kulturelle Traditionen, Erziehung, Erlebnisse oder Zufall zustande. Rechtfertigungen sind das nicht. Rechtfertigungen erfordern gute Gründe. Die Frage danach, wie etwas tragfähig begründet werden kann, macht auch Wissenschaft aus. Wer sich darauf beruft, dass es daneben andere Wirklichkeiten gibt und diese in seinem Leben wichtiger seien, der mag dies tun, aber er kann nicht verlangen, dass man ihm folgt. Warum sollte man?
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