Es gibt Themen, über die kann man sich endlos unterhalten, ohne je zu einem Ende zu kommen oder sich zu langweilen, auch wenn man wieder da ankommt, wo man angefangen hat. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist so ein Thema. Sind Frauen kommunikativ geschickter oder kommunizieren sie nur anders? Sind Männer durchsetzungsfähiger oder bedienen sie nur andere Seilschaften? Sind Frauen friedfertiger oder in ihren Aggressionen nur subtiler? Haben Männer ein Fussballgen und sind Frauen biologisch aufs Schminken getrimmt? Sind Frauen zu doof für Physik und Männer können nicht einparken, oder war’s umgekehrt?
Im letzten Jahr hat sich Winfried Köppelle, Redakteur beim Laborjournal, in Heft 10/2015 mit einem Beitrag unter dem Titel „Glauben statt Wissen“ für Ulrich Kutschera ins Zeug gelegt. Der, einer der Wortführer der Evolutionsbiologie in Deutschland, hatte vorher wiederholt über die „Gender-Studies“ und ihre Vertreterinnen in einer Weise hergezogen, für die er – wie ich finde zu Recht – heftige Kritik einstecken musste. Köppelle sah das anders, wie Kutschera sieht auch er mit dem „Genderismus“ den Untergang des Abendlandes heraufziehen. Sein Kommentar endet mit der Feststellung: „Nach Medienangaben existieren in Deutschland fast 200 Professuren für ‚Gender-Studies‘. Wo bleibt der breite, energische Widerstand der Biologieprofessoren?“
Nun könnte man fragen, ob das mit den 200 Professuren wirklich stimmt, oder warum es Aufgabe gerade der Biologieprofessoren sein soll, dagegen in den Widerstand zu gehen. Schließlich werden nicht alle Professuren für Gender-Studies die Biologie unterminieren. Manche forschen z.B. zu weiblichen Karrieremustern, zu gesellschaftlichen Männer- und Frauenbildern oder Unterschieden bei der Lohngestaltung zwischen den Geschlechtern. Keine Fragestellungen, die die Biologie als akademische Disziplin bedrohen. Sicher gibt es auch seltsame Blüten im Dschungel der Gender-Studies, bei denen man sich fragt, wie sie ihren Weg an die Hochschulen gefunden haben. Aber das gibt es in anderen Bereichen auch. Man könnte auch fragen, wo der „breite, energische Widerstand der Biologieprofessoren“ gegen Björn Höckes rassistischen Unfug geblieben ist, aber das ist eine andere Geschichte.
Wie gesagt, über das Verhältnis der Geschlechter kann man endlos diskutieren. Dass da alles biologisch determiniert ist, wird man wohl guten Gewissens bestreiten dürfen. Dass Frauen beispielsweise für gleiche Arbeit weniger verdienen – aus welchen ökonomischen Gründen auch immer – ist nicht biologisch determiniert, sondern gesellschaftlich. Und selbst Sachverhalte, die eine biologische Fundierung haben, von mir aus die Vorliebe des weiblichen Geschlechts für die Farbe Rosa, müssen in entwickelten Gesellschaften nicht auf diesen biologisch angelegten Pfaden ausagiert werden. Wir jagen unsere Kühe ja auch nicht mehr in der Savanne, obwohl unsere Biologie uns durchaus eher dazu als zum Bloggen bestimmt.
Auf Köppelles Beitrag haben Emanuel Wyler, Max-Delbrück-Centrum Berlin (Heft 12/21015) und Hans Zauner, gelernter Biologe und freier Journalist (Laborjournal online, 29.9.2015) kritisch geantwortet und – kurz gesagt – angemahnt, nicht alles, was man an Geschlechterunterschieden sieht, gleich als biologisch bedingt zu interpretieren und sich sachlich mit den Gender Studies auseinanderzusetzen. Eigentlich eine Banalität.
In der aktuellen Ausgabe 3/2016 des Laborjournals gibt es nun eine Fortsetzung dieser Geschichte: Ein Leserbriefschreiber, der anonym bleiben will, „weil er bei Bekanntwerden seiner Identität Nachteile für sich und seinen Arbeitsgruppenleiter von Seiten der Klinikumsleitung“ befürchtet, kritisiert wiederum Wyler und Zauner und steht am Ende wieder da, wo Köppelle und Kutschera auch schon waren – und sicher noch sind. Da kann man z.B. lesen, dass sich die Menschheit nicht von ihrem “genetischen Erbe” lösen könne, dass Biologie und Psychologie mit ihrer „naturwissenschaftlichen Herangehensweise bestens geeignet [seien], die wahre Natur des Menschen zu untersuchen“ und auch andere Weisheiten, die in ihrer Allgemeinheit und gedankenlosen Geschwätzigkeit genauso viel Wahres wie Falsches auf ihrer Seite haben: Der ganze technisch-zivilisatorische Fortschritt ist eine einzige Ablösung der Menschheit von ihrem biologischen Erbe – und gerade Biologen arbeiten daran, dass sie eines Tages auch das genetische Erbe hinter sich lässt. Und ob man das Wesen des Menschen allein naturwissenschaftlich erforschen kann? Daran hat nicht erst Nietzsche, sicher kein Protagonist der Gender Studies, mit seiner Bestimmung des Menschen als dem nichtfestgestellten Tier treffenden Widerspruch angemeldet.
Der schönste Passus in dem verängstigten Leserbrief ist aber einer, der die wissenschaftliche Moral der Naturwissenschaften anspricht. Nachdem den Gender Studies pauschal die Fähigkeit zur Selbstkritik abgesprochen wurde, heißt es: „Wer hingegen selbstkritisch ist, sind die Naturwissenschaftler. Das zeigt sich zum Beispiel an den Fälschungs- und Plagiats-Skandalen der letzten Jahre. So wurde in Japan eine Arbeitsgruppe beim Betrügen ertappt, die behauptete, sie könne mit Zitronensäure (oder ähnlichem) Stammzellen erzeugen. Die verantwortliche Experimentatorin wurde zur Verantwortung gezogen. Ihr Chef beging sogar Selbstmord. Von den ‚Wissenschaftlern‘ aus den genderbegeisterten Fächern wie der Soziologie oder Pädagogik ist so etwas nicht bekannt.“
Wer solche Sätze schreibt, der tut in der Tat gut daran, sie anonym zu schreiben. Dieser Absatz hat das Potential, einen Preis für die größte Menge an Dummheit in sechs Sätzen zu gewinnen und ich kann nur hoffen, dass das keine Rückschlüsse auf eine biologisch festgelegte Beschränktheit männlicher Denkfähigkeit zulässt. Oder ist der (rationale) Autor am Ende gar eine (hormongesteuerte) Autorin?
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