Vor kurzem erst hatten wir hier auf Gesundheits-Check eine Diskussion über einen Leserbrief zu den „Gender Studies“ im Laborjournal, der zum Widerstand gegen die Gender Studies aufrief – faktenarm, aber meinungsstark. In der aktuellen NZZ vom Sonntag hat Hans Peter Klein, Professor für Didaktik der Biologie in Frankfurt/Main, unter der Überschrift „Die Wissenschaft leidet unter dem Diktat der Gender-Studies“ nun ebenfalls einen Artikel geschrieben, der wenig belegt, aber viel fordert.
Klein beginnt mit den immer wieder angeführten 200 Lehrstühlen für Gender Studies, bei ihm sind es 190, davon 180 für Frauen:
„Die klammen Hochschulen nehmen diese Angebote mit den zusätzlichen Stellen im akademischen Bereich und der üppigen Drittmittelausstattung gerne an.”
Durchgezählt hat er demnach, aber weder erfährt man Näheres darüber, was diese 190 Lehrstühle machen, ob es da wirklich überall um den von Klein & Co. verteufelten Sozialkonstruktivismus in der Biologie geht, oder womöglich um wirtschaftswissenschaftliche und medizinische Forschung zu Geschlechterfragen, noch erfährt man mehr über die „üppige Drittmittelausstattung“. Aber die Duftmarke ist schon mal gesetzt. Eine Flut von Genderprofessuren bricht über Deutschland herein und schwimmt im Geld.
Halt, etwas erfährt man schon über die 190 Lehrstühle:
„Längst geht es nicht mehr um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen oder um die Akzeptanz sexueller Vielfalt, die in der Gesellschaft weitgehend unbestritten sind. Vielmehr sollen etwa Kinder im Rahmen des sogenannten doing gender ihr Geschlecht im Unterricht hinterfragen und möglicherweise neu bestimmen.“
Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte weder alles für gut und richtig, was manche Vertreter/innen sozialkonstruktivistischer Gendertheorien von sich geben und vielleicht ist auch nicht jede Unterrichtsanleitung ganz glücklich formuliert. Aber wie viele der 190 Lehrstühle halten wohl tatsächlich Kinder dazu an, ihr Geschlecht im Unterricht zu hinterfragen? Für Klein vermutlich egal, es sind ja die Gender Studies, die nur Behauptungen aufstellen, ohne etwas zu belegen:
Schließlich „(…) beruhen die Vorstellungen der feministisch geprägten Gender-Studies von der sozialen Konstruktion des Geschlechts keineswegs auf empirischen Forschungsergebnissen, sondern auf einer sozialwissenschaftlichen Deutung, für die bis anhin jegliche Beweise fehlen.“
Ist das so? Hat er das geprüft? Worauf bezieht er sich mit „der sozialen Konstruktion des Geschlechts“ eigentlich? Auf Geschlechterrollen? Oder auf sozialkonstruktivistische Extrempositionen zum biologischen Geschlecht? Wie viele der 190 Lehrstühle vertreten solche Positionen? Und zuspitzend geht es weiter:
„Ihren Höhepunkt finden diese Thesen in der Behauptung, die Biologie sei keine objektive, exakte Naturwissenschaft, sondern ein «gesellschaftliches Unternehmen» und somit ein «gesellschaftlich-kulturell geprägtes Produkt».“
Ich vermute einmal, der Satz ist bewusst so kunstvoll konstruiert, dass die Anführungszeichen in Kleins Beitrag den ersten Teil des Satzes nicht einschließen, aber der Eindruck erweckt wird, als sei das alles ein Zitat. Gibt es dafür eine Quelle? Oder hat er irgendwo gelesen, dass die Biologie nicht nur als Naturwissenschaft zu sehen ist, sondern auch als gesellschaftliches Unternehmen? Das wäre dann in etwa so aufregend wie die Feststellung, dass Biologieprofessoren Beamte sind und vom Staat bezahlt werden. Manche sollen sogar über „üppige Drittmittel“ verfügen.
Dass „die Biologie“ auch ein „gesellschaftliches Unternehmen“ ist, belegt Klein dann gleich selbst, insofern ist sein Beitrag doch nicht ganz evidenzfrei. Er beklagt, dass jüngst Ulrich Kutschera einen Vortrag im studium generale in Marburg nicht halten konnte und dass das Folgen haben müsse:
„Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang an einer deutschen Universität. Es wäre längst überfällig, dass nach dem Vorbild von Norwegen auch Deutschland der mit Steuergeldern finanzierten Genderforschung den Geldhahn zudrehte.“
Man mag Herrn Klein zugute halten, dass sein Beitrag in einer Zeitung erschienen ist, noch dazu im Meinungsteil. Da darf auch polemisch formuliert werden. Aber muss es derart faktenfrei und pauschalisierend zugehen? Gute Wissenschaftskommunikation sieht anders aus.
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