Am Mittwoch hat das bayerische Gesundheitsministerium einen Bericht zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Bayern veröffentlicht. Darin kann man unter anderem lesen, dass im Jahr 2014 etwa ein Viertel der Heranwachsenden eine ambulante Diagnose aus der ICD-Hauptgruppe F00-F99 „Psychische und Verhaltensstörungen“ hatte. Für Deutschland insgesamt kommt der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) des Robert Koch-Instituts in der Größenordnung zu vergleichbaren Zahlen: 20,2 % der Unter-18-Jährigen sind demnach „psychisch auffällig“. Grundlage bei KiGGS sind nicht ärztliche Diagnosen, sondern Selbstangaben der Eltern bzw. der Heranwachsenden im „Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ)“, einem bewährten Screening-Instrument für solche Zwecke.

Viele Leute sind ziemlich irritiert, wenn sie diese „hohen“ Zahlen zum ersten Mal hören. Sie denken vermutlich spontan an „Geisteskrankheiten“ und vielleicht hat mancher auch noch Bilder der alten „Irrenanstalten“ vor Augen. Aber natürlich ist nicht ein Fünftel bis ein Viertel der Heranwachsenden „geisteskrank“, „irre“ oder gehört in die „Anstalt“. Das könnte man schon daran sehen, dass die ICD-Hauptgruppe „Psychische und Verhaltensstörungen“ ein sehr breites Spektrum an Störungsbildern unterschiedlicher Schwere umfasst. Beispielsweise gehören die Entwicklungsstörungen (ICD: F80-F89) dazu, Sprachentwicklungsstörungen oder Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten etwa, ebenso wie Alkoholmissbrauch, ADHS, Zwänge oder Angststörungen. Dass noch viel mehr Heranwachsende im Laufe eines Jahres eine Diagnose aufgrund einer körperlichen Störung haben, reißt dagegen keinen aus dem Sofa. Zum einen weiß da jeder, dass es hier um viele unterschiedliche und mitunter auch vergleichsweise harmlose Beschwerden geht. Zum anderen sind – vielleicht von Krebs und Geschlechtskrankheiten abgesehen – körperliche Erkrankungen weniger tabubehaftet. Ein Kennzeichen der „psychischen Störungen“ ist nach wie vor ihre Tabuisierung, es sind in der öffentlichen Wahrnehmung „ausgrenzende Krankheiten“.

Von „psychischen Störungen“ spricht man übrigens seit längerem deswegen, weil der Begriff der „Krankheit“ in diesem Kontext so schwierig ist und oft nicht klar ist, ob man es wirklich mit ätiologisch klar abgrenzbaren „Krankheitsentitäten“ zu tun hat. Daher hat man sich auf Symptomkomplexe zurückgezogen.

Aber um was handelt es sich dann bei diesen seltsamen „psychischen Störungen“ eigentlich? Darauf kann man zwei Arten unbefriedigender Antworten geben, eine lapidare und eine sich ins Philosophische verflüchtigende.

1. Die lapidare Antwort
Sie besteht darin, festzustellen, dass es eben eine ICD-Hauptgruppe „Psychische und Verhaltensstörungen“ gibt, das „F-Kapitel“ in der ICD. Man darf dann nur nicht weiterfragen, sonst sticht das Unbefriedigende der Antwort sofort ins Auge. Nach dem F-Kapitel kommt nämlich das G-Kapitel, die „Krankheiten des Nervensystems“. Davon betreffen nicht wenige das Gehirn, also die „Hardware“ der Psyche und manche der bei den G-Diagnosen einsortierten Störungen beeinträchtigen die psychische Befindlichkeit ganz extrem. Andere Gehirnerkrankungen übrigens auch, z.B. der Schlaganfall. Der wird aber wiederum unter I 63 oder I 64 codiert, in der ICD-Hauptgruppe „Krankheiten des Kreislaufsystems“. Mit Blick auf die Ursache hat man das Gefühl, dass der Schlaganfall dort auch richtig einsortiert ist, aber ist es logisch, hier nach der Ursache, in anderen Fällen nach der Symptomatik zu klassifizieren? Nach der Logik könnte man dann die Tic-Störungen, z.B. das Tourette-Syndrom, unter die Krankheiten des Nervensystems subsumieren: Es handelt sich um sog. extrapyramidale Hyperkinesien, die sich in unwillkürlichen Muskelkontraktionen oder Lautäußerungen bemerkbar machen. Manche Kommentare in Blogs gehören vermutlich dazu. Tic-Störungen sind aber unter F95 klassifiziert, also unter den psychischen Störungen. Oder ein anderes Beispiel: Eine Hirnhautentzündung ordnet man intuitiv nicht als „psychische Störung“ ein, aber was ist z.B. mit klinisch eindeutigen Zwangsstörungen als Folge einer Streptokokken-Infektion (die sog. PANDAS)? Ist das eine Infektionskrankheit oder eine psychische Störung? Oder eine Infektionskrankheit mit einer psychischen Störung als Folge? Aber welche psychische Störung hat keine physiologische Grundlage? Die psychischen Störungen können ja nicht als diejenigen Störungen definiert werden, die keine körperlichen Ursachen haben, denn „Geisteskrankheiten“ in dem Sinne, dass da ein „Geist“ ohne biologisches Substrat erkrankt ist, gibt es nicht. Alle psychischen Störungen haben notwendigerweise physiologische Korrelate. In der ICD haben die PANDAS übrigens noch keinen Platz gefunden und die normale Streptokokkenmeningitis wird als G00.2 unter den „Krankheiten des Nervensystems“ geführt, nicht unter den Infektionskrankheiten. Nur noch am Rande sei angemerkt, dass die Gruppe „Psychische und Verhaltensstörungen“ natürlich auch nicht alle verhaltensbedingten Krankheiten umfasst, sonst müsste man z.B. den Typ-2-Diabetes bei den psychischen Störungen einsortieren. Was sich da in der ICD-F-Gruppe versammelt, beruht letztlich auf Konvention plus einer gewissen Plausibilität, nicht auf einer medizintheoretisch gesicherten Basis.

2. Die philosophische Antwort
Psychische Störungen imponieren dadurch, dass das „normale“ kognitive oder emotionale Verhältnis der Menschen zur Welt gestört ist. Aber solche Störungen sind bei vielen Menschen zu beobachten, die gemeinhin nicht als „psychisch gestört“ gelten. Im schlimmsten Fall werden unbequeme Störenfriede sogar zu Unrecht psychiatrisiert, man erinnere sich an die Frankfurter Steuerfahnder-Affäre. Und was ist schon „normal“? Euphorisierte Fußballfans außer Rand und Band wird man nicht gleich als „psychisch gestört“ bezeichnen, und wer beim Oktoberfest zu sehr über die Stränge geschlagen hat, wacht vielleicht mit der Diagnose F10.0 „Akute Alkoholintoxikation“ im Krankenhaus auf, aber ist er „psychisch gestört“, nur weil seine normalen psychischen Funktionen erheblich gestört sind? Das „normale Funktionieren“ ist möglicherweise ein gutes Kriterium für psychische Gesundheit, aber seltsamerweise ist nicht normales Funktionieren nicht unbedingt ein gutes Kriterium dafür, was wir intuitiv als „psychische Störung“ ansehen.

Ob man vielleicht in 100 Jahren gar nicht mehr von „psychischen Störungen“ spricht, weil man sie alle entsprechend ihrer physiologischen Basis einsortiert hat? Aus den Geisteskrankheiten wären dann Geisterkrankheiten geworden. Für die Entstigmatisierung dieser Störungen wäre das vielleicht nicht das Schlechteste. Oder wird man die psychischen Störungen doch eines Tages als wesensmäßige Beeinträchtigung dessen fassen, was den Kern des Menschseins ausmacht: Dass wir mit uns, unseren Mitmenschen und unserer Umwelt vernünftig umgehen können?

Zum Weiterlesen:
Schramme T (Hrsg.): Krankheitstheorien. Frankfurt 2012. Der Herausgeber ist Professor für Praktische Philosophie an der Uni Hamburg. Das Buch enthält zwei Beiträge über psychische Störungen und macht außerdem darauf aufmerksam, dass wir auch jenseits der psychischen Störungen nicht wirklich wissen, was wir mit „Krankheit“ meinen.
Heinz A: Der Begriff der psychischen Krankheit. Frankfurt 2014. Der Autor, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte in Berlin, kommt am Ende seines Buches ziemlich in die Nähe meiner Schlussfrage.

Kommentare (49)

  1. #1 Gefbo
    10. Juni 2016

    Kleine Anmerkung:
    Natürlich reicht ein Abweichen von der Norm nicht aus, um eine psychische Störung zu definieren. Es muss außerdem ein dadurch bedingter Leidensdruck (bei der betroffenen Person oder ihrem Umfeld) hinzukommen.
    Aber im konkreten Fall kann es natürlich trotzdem schwierig sein, zu entscheiden, ob etwas eine psychische Erkrankung ist oder nicht, das liegt wohl oder übel in der Natur der Sache.

    • #2 Joseph Kuhn
      10. Juni 2016

      Manche psychische Störungen sind zumindest für die Betroffenen nicht immer mit Leidensdruck verbunden, z.B. manische Phasen bei bipolaren Störungen, oft auch bei ADHS. Und ob “Leidensdruck” bei der Umgebung als Kriterium für eine psychische Störung des “Auslösers” wirklich tauglich ist? Oft genug wird der “Gestörte” gestörter als der Störer sein.

  2. #3 Ludger
    10. Juni 2016

    Mit einer F-Diagnose kann man gut dotierte Abrechnungsziffern abrechnen. Das können z.Teil auch Hausärzte und andere Nichtpsychiater (Gynaekologen). Da wäre es interessant, wie stark die Abrechnung von Praxis zu Praxis variiert. Die KV weiß das und rechnet es jedem Kassenarzt bei jeder Abrechnung vor. Aus den Daten kann man ggf.rückschließen, ob die KV-Zahlen wirklich für die Beurteilung der psychischen Gesundheit geeignet sind.

  3. #4 itza
    10. Juni 2016

    Für mich als F30er ein interessanter Text, danke dafür 🙂

  4. #5 Gefbo
    10. Juni 2016

    Und noch eine kleine Anmerkung (Tic?):
    Die Einteilung von Krankheiten in “organisch” und “nicht-organisch” bzw. “psychisch” ist natürlich eine künstliche. Sie ist eine reine Hilfskonstruktion und beruht auf ganz praktischen Gegebenheiten: für die nicht-organischen Erkrankungen findet man einfach kein (oder noch kein) Korrelat in Labor, Bildgebung o.ä.
    Ich persönlich bin der Meinung, dass es am hilfreichsten ist, sich bewusst zu machen, dass jegliche Klassifizierung mehr oder weniger Hilfskonstruktion ist und nie die vollständige Realität abbildet. Die Grenzen sind fließend, die Zusammenhänge komplex, aber ein ICD hat eben einfach eine praktische Relevanz.
    Sich und anderen das klar zu machen hilft vielleicht auch bei der Entstigmatisierung.

  5. #6 Laie
    10. Juni 2016

    Hier werden ja ganz gemeine und nicht leicht zu beantwortende Fragen gestellt! 🙂

    Bei den im obigen Text angesprochenen Fußballfans dachte ich mir auch immer, ob die nicht irgendwie – temporär – gestört sind. Aber das ist wohl alles eine Frage der Perspektive, vielleicht ist das meist männliche Hobby Fußballfan eine der wenigen Angebote an Männer, ihre emotionalen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, ohne in ein unmännliches Eck gestellt zu werden.

    Bei Hunden zeigt sich auch bei weiblichen Hunden eine enorme Begeisterungsfähigkeit für einen in Bewegung befindlichen runden Ball.

    Mich würden hier artübergreifende Studien und Ergebnisse köstlich amüsieren, nein viel mehr interessieren! 🙂

  6. #7 Gefbo
    10. Juni 2016

    @ Joseph Kuhn
    Auch eine manische Phase hat einen Leidensdruck zur Folge, wenn auch erst nach abklingen, und dann mitunter nicht unerheblich. Wenn man einfach nur konstant manisch wäre und sich auch nicht bspw. in den finanziellen Ruin deswegen treibt oder ähnliches, dann wär’s keine psychische Störung. Ist nur eben leider nicht so.
    Und was den Leidensdruck bei der Umgebung angeht: ich finde schon, dass es in den allermeisten Fällen möglich ist, herauszufinden, ob es am Gestörten oder am Störer liegt.
    Wie gesagt, es liegt in der Natur der Sache, dass man keine hunderprozentig wasserdichte Formel hat, die man anwenden kann, man wird sich mit Hilfskonstruktionen und Plausibiltätsüberlegungen behelfen müssen.

    • #8 Joseph Kuhn
      10. Juni 2016

      Was ist hier die “Natur der Sache”?

  7. #9 Gefbo
    10. Juni 2016

    Die Natur der Sache ist, dass wir die Vorgänge im Gehirn nicht in einem Ausmaß begreifen (können), um eine wasserdichte Formel für dessen Störungen zu formulieren.

  8. #10 Laie
    11. Juni 2016

    Weitere kurzfristige Nachforschungen über mehrheitlich männliche*) Fußballfans ergab, nicht nur in Bewegung versetzte Bälle wirken auf die Stimmung positiv, sondern auch in Bewegung versetzte Stühle, Flaschen, Bierdosen, Menschen, wie aus dem Bericht unter
    https://www.focus.de/sport/fussball/em-2016/krawalle-in-frankreich-traenengas-gegen-englische-fans-in-marseille-zentrum-zeitweise-gesperrt_id_5618139.html

    eindeutig hervorgeht.
    Zeitweise wird bei in Bewegung gesetzte Gegenstände die emotionale positive Stimmung mit Lauten aus dem Klangapparat klanglich unterstützt. Ist es Zufall, dass auch bei (nicht nur männlichen) Hunden bei geworfenen Gegenständen, die sie zurückbringen, akustische Laute der Freude von sich gegeben werden?

    Als doch bedeutender Unterschied zwischen (nicht nur männlichen) Hunden und Fußballfans ist mir aufgefallen, Hunde bringen geworfene Gegenstände meist wieder zurück, ein Verhalten das bei Fußballfans zur Gänze fehlt.

    Die interessante und von mir nicht beantwortbare Frage ist, sind diese Verhaltensweisen vererbt, oder angelernt? Im ersteren Falle bestünde wenig Hoffnung auf Besserung der Situation in absehbarer Zeit, da Evolution nicht sooo schnell funktioniert.

    *eine statistische Feststellung, völlig wertfrei gemeint.

  9. #11 Dr. Webbaer
    11. Juni 2016

    Die Symptomprävalenz von
    20,2% für psychische Auffälligkeiten insgesamt
    (Risikogruppe) in KiGGS Welle 1
    ordnet sich damit in Zahlen ein, die auch
    aus anderen internationalen Studien berichtet
    werden. (Quelle, Seite 10)

    Klingt in der Tat i.p. wissenschaftlicher Bemühung nicht gut bis übergriffig, es wird dann in der Folge und an anderer Stelle fleißig “herumgeknödelt”, aber zu reparieren schien nicht viel vorhanden.
    BTW:
    ‘Psychische Auffälligkeiten’ werden im webverwiesen Text zigfach genannt, mit ‘psychischen Störungen’ und ‘Verhaltensstörungen’ war man dort sparsam: ein Treffer.

    MFG
    Dr. Webbaer

  10. #12 Dr. Webbaer
    11. Juni 2016

    @ Gefbo :

    Ich persönlich bin der Meinung, dass es am hilfreichsten ist, sich bewusst zu machen, dass jegliche Klassifizierung mehr oder weniger Hilfskonstruktion ist und nie die vollständige Realität abbildet. Die Grenzen sind fließend, die Zusammenhänge komplex, aber ein ICD hat eben einfach eine praktische Relevanz. [Webverweis ergänzt: Dr. Webbaer]

    Es geht i.p. Erkenntnis immer um die Qualität von Konstrukt [1], mit ‘ein ICD hat eben einfach eine praktische Relevanz’ punkten Sie bei Ihrem Kommentatorenkollegen nicht, keinesfalls, insbesondere diese Behauptung betreffend:

    ‘hat eben einfach eine praktische Relevanz’.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    Für Konstruktivisten ist alles konstruiert.

  11. #13 Gefbo
    11. Juni 2016

    @ Dr. Webbaer

    Kein Problem. Es war nicht mein Anliegen, bei gewissen Kommmentatorenkollegen zu punkten.
    🙂

  12. #14 Anderer Michael
    12. Juni 2016

    Den ICD – Schlüssel sollte man nicht zu ernst nehmen. Er bildet die Medizin nicht ab und ist primär ein Verwaltungsinstrument und ein gutes Geschäft.
    Damit will ich Ihre kritischen Beiträge nicht entwerten, sie helfen eher sich der Natur des ICD bewusst zu werden.

  13. #15 Joseph Kuhn
    12. Juni 2016

    @ Anderer Michael:

    Dass man die ICD medizintheoretisch nicht zu ernst nehmen darf, ist sicher richtig und fällt unter die “lapidaren Antworten”. Die Frage, was psychische Störungen sind, bleibt trotzdem. Mich wundert, dass noch niemand mutig meine Schlussfrage bejaht hat und die These vertritt, dass in der Tat diejenigen, die sich grob unmenschlich verhalten, “psychisch gestört” seien. Bei Debatten zur Hirnforschung kommt dieses Argument regelmäßig, da wird sogar insgesamt die “Schuld” von Tätern infragegestellt und Konzepte wie “moralische Verantwortung”, “Einsichtsfähigkeit”, “Selbststeuerungsfähigkeit” etc. werden schnell zur Disposition gestellt.

  14. #16 Anderer Michael
    12. Juni 2016

    Haben Sie recht, Herr Kuhn.
    Ganz ehrlich, die Antwort überfordert mich !( bezogen auf Ihren Satz “…..Mich wundert, dass noch niemand mutig meine Schlussfrage bejaht hat und die These vertritt, dass in der Tat diejenigen, die sich grob unmenschlich verhalten, “psychisch gestört” seien…”).
    Nicht weil ich es für Unfug halte, ich könnte nichts sinnvolles beitragen, obwohl ich mich mit Forensik beschäftigt habe.
    Vor Jahren habe ich ein US-amerikanisches Buch über Evolutionsbiologie gelesen. In diesem wurde die Frage aufgeworfen, wieso es den “Soziopathen” gibt. Die sinngemäße Antwort war: Die Evolution fragt nicht nach gut und böse in unserem ethischen Sinn.Wenn es für den Soziopathen ein Überlebensvorteil darstellt, auf Kosten anderer oder eben unmenschlich brutal zu handeln, dann wird dieses bewährte Konzept von der Evolution beibehalten (weder Aktiv oder Passiv sind richtig, die Evolution ist nicht als handelnde Person zu verstehen).

  15. #17 Laie
    12. Juni 2016

    Inzwischen habe ich einen Fussballfan gefragt, warum man gerne im Stadion laut herumschreit, ob das an der Begeisterung über das Spiel zustande kommt.

    Die Antwort war verblüffend, es sei für ihn die einzige Möglichkeit seinen Frust sich von der Seele zu schreien und das könne man halt nur im Fußballstadion machen. Das Spiel wäre egal.

    Wortwörtlich war die Antwort: “Ich gehe manchmal ins Stadion, weil ich mir dort meinen Frust von der Seele schreien kann.”

    Ich verstehe es jetzt besser, weil laut Herumschreien als “psychisch gestört” gilt, ist es aber im Rahmen des Fussballstadion das nicht, daher ist das das Mittel, sich so auszudrücken, wenn man das braucht. Was ist die Meinung von psychologen dazu, kann das zutreffen?

    Weil halt laut Herumschreien, wie es im Blog steht, i.A. als eine psychische Störung gilt, und es vom “normalen” Verhalten abweicht.

    Der Blog-Meinung von Herrn Kuhn, psychische Störung sei alles an Handlungen, was anderen schade, kann ich mich anschließen. Wobei eines dabei fehlt, mit Handlungen, wo sich einer selbst schadet. (Aggressionen gegen einen selbst).

  16. #18 Dr. Webbaer
    13. Juni 2016

    @ Laie :

    Uniformiert auftretende und im Stadium herumbrüllende Fans ließen sich womöglich eher als (leichte) faschistische Tendenzen nachweisend zu verstehen, denn als ‘psychisch gestört’.
    >:->
    Dies hier – ‘Ich gehe manchmal ins Stadion, weil ich mir dort meinen Frust von der Seele schreien kann.’ – klingt übrigens, gerade auf bundesdeutsche Verhältnisse bezogen, dort wo die Freiheit der Meinungsäußerung (gerade für weniger Gebildete, die nicht mehr verstehen, was sie rechtlich zulässig sagen dürfen) doch sehr eingeschränkt ist, nachvollziehbar.

    MFG
    Dr. Webbaer

  17. #19 zimtspinne
    13. Juni 2016

    Ich weiß überhaupt nicht, weshalb eine Depression als “psychisch gestört” gilt, wenn das einfach eine Stoffwechselerkrankung des Gehirns ist, messbar, nachweisbar und nicht heilbar meist.
    Also nix anderes als Diabetes oder Arthrose.
    Denen sagt man ja auch nicht “menschmensch, du musst nur wollen und dir helfen lassen und dann kommst du auch wieder auf den rechten Pfad und bist topfit und leistungsfähig wie ein junges Füllen (Fohlen?)”

    Die Fußballcracker bleiben ja so gesehen unter sich. Beim Ausbrüllen und dergleichen. Schlimmer wäre, Männer hätten diesen Drang im Fitnesscenter und würden ihn dort ausleben.
    Bevor jemand Einspruch erhebt: Die schlimmsten Auswüchse bleiben unter sich!
    Das Getröte ist natürlich auch ein Ärgernis, fällt aber dann halt nicht bei jedem Pampaspielchen an.

  18. #20 Schmidts Katze
    13. Juni 2016

    @ zimtspinne, ich war wegen einer Depression in Behandlung, und ich kann dir versichern, die Ursache war meine Unzufriedenheit mit meiner Lebenssituation, die Symptome waren Verhaltensänderungen, und die Therapie bestand, neben Antidepressiva gegen die Symptome, aus (Einzel- und Gruppen-)gesprächen, Sport und Krea-Krams (Malen und Basteln).

    Auch wenn eine Depression sich im Gehirnstoffwechsel nachweisen lässt, bleibt sie trotzdem eine psychische Krankheit.

  19. #21 Dr. Webbaer
    13. Juni 2016

    @ Schmidts Katze :

    Depressionen sind sehr ernst zu nehmen, Mitgefühl und gute Besserung, [1]
    MFG
    Dr. Webbaer (der weiter oben nicht falsch verstanden werden wollte)

    [1]
    Aufheiterungen der Webbaerschen Art helfen hier nicht.

  20. #22 WolfgangM
    13. Juni 2016

    Danke für den blog Beitrag.

    Es ist zwar schon viele Jahre her, aber bei derTauglichkeitsprüfung zum Militärdienst gabs einen Fragebogen. Eine Frage lautete: “Sind ihre Eltern geisteskrank?”. Na und wenn dann ein 18 jähriger gedacht hat, mein Alter ist mir gestern aber ordentlich auf den Geist gegangen; dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit drastisch, wenn er ja ankreuzt.

  21. #23 zimtspinne
    13. Juni 2016

    Das sehe ich anders und das ist auch nicht der neueste medizinische Erkenntnisstand.
    Wären Unzufriedenheit und bestimmte Lebenssituationen Ursachen für Depressionen, wären wir bei 80% Depressiven in der Population (ok unserer, auf andere Kulturkreise trifft das möglicherweise nicht zu).
    Falls dir erzählt wurde, dass du nun geheilt bist (von deiner chronischen Unzufriedenheit, ähem), wurde dir genauso Murks erzählt wie einem Krebspatienten, der operiert und therapiert entlassen wird (ja, das kommt tatsächlich vor, wenn auch zum Glück selten).

    Wenn das psychisch sich allein auf alles bezieht, was seine Ursache im Gehirn hat und mit Verhaltensänderungen (was ist das überhaupt genau?) einher geht, wären auch Hirntumoren und sonstiges in der Region ‘psychische Störungen’.

    Außerdem geht auch nicht jede psychische Erkrankung mit (nach außen sichtbaren?) Verhaltensänderungen einher.
    Weshalb das Gehirn hier eine Sonderstellung einnimmt, verstehe ich nicht.
    Hat jemand zu hohen Blutdruck, der sogar behandlungsbedürftig ist und dessen Ursache in Überfressen und Bewegungsmangel liegt, wäre das genauso eine psychische Erkrankung und der hohe Blutdruck nur das Symptom.
    Genauso wäre Lungenkrebs eine psychische Erkrankung, wenn die wahrscheinliche Ursache in der Tabaksucht liegt. Eigentlich sind fast alle sogenannten Zivilisationskrankheiten dann quasi psychisch bedingt!
    Also ja, so gehts natürlich auch.

  22. #24 Schmidts Katze
    13. Juni 2016

    Danke, Dr. Webbaer, seit der Therapie lebe ich gut mit der Krankheit. Eine Depression ist vor allem dann gefährlich, wenn sie nicht behandelt wird.

    @ zimtspinne, mir hat niemand erzählt, daß er mich heilen würde, wie kommst du darauf?

    Ansonsten weiss ich nicht so richtig, was du mit dem Post sagen willst. Meinst du, daß alle psychischen Krankheiten als organische Erkrankung des Gehirns aufgefasst werden sollten?

  23. #25 zimtspinne
    13. Juni 2016

    Warum eigentlich nicht?
    Sind ja letztlich auch alles organische Erkrankungen.
    Die Zuordnung zu Geisteskrankheiten stammt doch aus einer Zeit, als auch noch an die Seele als außerkörperliches Etwas geglaubt wurde; als man es auch einfach noch nicht besser wusste.
    Das Herz war natürlich ebenfalls so ein besonderer Ort, dem besondere Eigenschaften zugedichtet wurden.

  24. #26 Schmidts Katze
    13. Juni 2016

    Und was wissen wir jetzt, zimtspinne?
    Daß es gar keine Seele gibt, oder daß das, was Seele genannt wurde, in Wirklichkeit das Produkt unserer Gehirntätigkeit ist?

  25. #27 Bettina Wurche
    13. Juni 2016

    Danke, Joseph , für den Beitrag und den Kommentatorinnen fürs Diskutieren. Das Thema geht mir gerade in den letzten 10 Tagen sehr stark im Kopf herum. Zurzeit arbeite ich mal wieder sehr viel mit Kindern und da fällt mir vieles auf. Zunächst denke ich, dass der Normbereich für Verhalten und die Grenzen zu “Störung” auch stark vom kulturellen und sozialen Umfeld abhängig sind. Dazu kommt, dass vieles, was heute als “Psychisch gestört” gilt, vor 30 Jahren vielleicht einfach “ungezogen” war. Außerdem frage ich mich bei ausgeprägt unsozialem Verhalten oft, wo da die Grenze zur Störung verläuft. Oder ob durch Erziehung oder Konditionierung ein sozialeres Verhalten erreicht werden könnte. Auch der Übergang zwischen mangelhafter Frustationstoleranz und Depression sind sicherlich nicht immer groß. Allerdings strahlt ein depressives Kind (wie auch Erwachsene) eine solche totale Düsterkeit und Verzweiflung aus, wie ich es sonst selten erlebe. Und zwar nicht im Angesicht einer Katastrophe, sondern bei einer ganz unkatastrophalen Alltagsbeschäftigung. Auch ein vollständiger Mangel an Distanz, Empathie, oder anderen Eigenschaften, die ein Zusammenleben bzw. -arbeiten von vielen Menschen auf engem Raum erst möglich machen, ist oft ein starker Hinweis auf eine solche Störung.
    Auch Hormonschübe wie ind er Pubertät sind stark verhaltensändernd und können echt Nerven kosten.
    Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich erwarte nicht, dass Kinder “brav” sind, sondern animiere sie zum Ausprobieren und Nachfragen, Toben und Entdecken.

  26. #28 Joseph Kuhn
    13. Juni 2016

    @ Schmidts Katze:

    Und vor allem stecken in vielen psychischen Vorgängen nicht nur autonome Hirnfunktionen, sondern auch die Welt, wie sie dem Subjekt gegeben ist. Das Gehirn ist in vielen Belangen ein “Beziehungsorgan”. Die psychische Störung kann daher von zwei Seiten kommen.

    Und ob man je mit dem Blick auf die Hirnfunktionen alleine sagen kann, dass ein Mensch gerade “psychisch gestört” ist? Oder braucht es dazu – nicht immer, aber oft – doch eine Vorstellung von einer ungestörten Beziehung zur Welt (oder zu sich selbst)? Das dürfte aber eher eine normative Perspektive als eine empirische sein. Ein aktuelles Beispiel: Gerade wird darüber spekuliert, ob der Täter von Orlando, der dort 50 Menschen erschossen hat, “psychisch gestört” sei oder ein islamistischer Terrorist. Wie genau begründet sich eigentlich diese Alternative?

    @ Bettina Wurche:

    “Zunächst denke ich, dass der Normbereich für Verhalten und die Grenzen zu “Störung” auch stark vom kulturellen und sozialen Umfeld abhängig sind.”

    Ja, siehe z.B. den alten Labeling-Ansatz, wobei das kein Spezifikum psychischer Störungen ist. Hirnwindungsverdrehend wird es, wenn man sich vergegenwärtigt, dass jedes als “gestört” gelabelte Verhalten auch physiologische Korrelate hat und man einen theoretischen Krankheitsbegriff (der “stark vom kulturellen und sozialen Umfeld abhängig” ist?) braucht, um zu entscheiden, ob diese physiologischen Korrelate eine Krankheit/Störung konstituieren oder nicht. Ich hatte das vor einiger Zeit mal versucht, das am Beispiel des Biotinidasemangels zu veranschaulichen, mit ADHS ginge das genauso.

  27. #29 zimtspinne
    13. Juni 2016

    @ Bettina

    Ich find diese Einschätzung:

    “Auch ein vollständiger Mangel an Distanz, Empathie, oder anderen Eigenschaften, die ein Zusammenleben bzw. -arbeiten von vielen Menschen auf engem Raum erst möglich machen, ist oft ein starker Hinweis auf eine solche Störung.”

    ganz schön heftig.
    “Vollständiger Mangel an Distanz und Empathie” gibts wohl selten bis nie, und falls doch, dann sind wir wieder bei konkreten Krankheitsbildern (oder Persönlichkeitsvariationen??) wie Autismus.

    Desweiteren ist es jetzt auch nicht soo verwunderlich, dass manche Kinder/Menschen Probleme mit distanzloser Nähe oder Menschenmengen auf engstem Raum haben – evolutionär betrachtet ist das relativ neu, wundert mich überhaupt nicht, wenn es da jede Menge anpassungsgestörte Individuen gibt, die mit Reizüberflutung dieser oder jener Art und anderen Belastungsfaktoren nicht klar kommen.
    Als Kind hat man keine Wahl und muss es aushalten; sobald man eine Wahl hat, sucht man sich eher Umfelder, die zur eigenen Persönlichkeit passen.
    je älter man wird, umso mehr kommen genetisch determinierte Züge durch, die ganze versuchte Anpassung an “falsch empfundene” Umwelten hat wohl doch nicht so gut funktioniert.
    Falls oder wenn Kinder sozial erwünschtes Verhalten nicht beibringen, sind se psychisch gestört. Oder ungezogen, was ich dann definitiv bevorzugen würde! ^^

  28. #30 Hans
    14. Juni 2016

    Wie Kinder und Jugendliche mit zweifelhaften Diagnosen behaftet und zu Patienten gemacht werden, beschreibt der Kinderarzt Michael Hauch in seinem Buch “Kindheit ist keine Krankheit”.

    Sehr lesenswert, vor allem für Eltern!

    Siehe auch die Rezension drüben beim Kinderdok:
    https://kinderdoc.wordpress.com/tag/kindheit-ist-keine-krankheit/

    • #31 Joseph Kuhn
      14. Juni 2016

      @ Hans:

      Ebenfalls im letzten Jahr ist das Buch “Die Kinderkrankmacher” von Beate Frenkel und Astrid Randerath erschienen, zwei FRONTAL-21-Redakteurinnen. Es übt vor allem Kritik am disease mongering der Pharmaindustrie. Zwischen den Polen Hysterisierung und Ignoranz muss die Suche nach der Normalität ihren Weg finden, in der Medizin wie bei den Eltern, Erziehern und Lehrern. Bei den psychischen Störungen im Kindesalter geht es einerseits darum, das Thema aus der Scham-Ecke herauszubringen, dafür zu sorgen, dass die betroffenen Kinder gesehen werden und mit ihren Nöten nicht alleine gelassen werden (“das wächst sich schon aus”), und andererseits darum, nicht alle Normvarianten mit Krankheitsdiagnosen und Behandlungsangeboten zu versehen.

  29. #32 Dr. Webbaer
    15. Juni 2016

    Beispiel: Gerade wird darüber spekuliert, ob der Täter von Orlando, der dort 50 Menschen erschossen hat, “psychisch gestört” sei oder ein islamistischer Terrorist. Wie genau begründet sich eigentlich diese Alternative?

    ‘Empirisch’ wird’s schwierig, wenn es um Individuen geht.
    Statt ‘oder’ ginge auch ‘und / oder’ und ‘normativ’ interessiert ganz primär das sogenannte Islamistische bei dieser Tat.
    Es sind gerade auch ‘psychisch auffällige’ (Auffälligkeit scheint das Fachwort zu sein) Individuen, die sich von den großen drei Kollektivismen in ihren radikalen Formen angezogen fühlen.

    MFG
    Dr. Webbaer

  30. #33 Laie
    16. Juni 2016

    @ Dr. Webbaer bei ca #18
    Sind denn nicht faschistische Tendenzen mit mindestens einer oder mehreren psychischen Störungen gleichzusetzen?

    Nach meiner intuitiven Wahrnehmung ja.
    Oder hat man Verhaltensweisen, die anderen schaden von “psychischen Störungen”, die ja zunehmend biologisch erklärt werden zu trennen, oder gibt es Mischformen?
    Muss darüber noch genauer nachdenken. Vielleicht lassen sich auch keine scharfen Grenzen ziehen, wie es in der Mathematik und allgemeinen in den technischen Naturwissenschaften möglich ist.

  31. #34 Laie
    16. Juni 2016

    Das nicht im ersten Satz ist nicht als verneinend, sondern als fragend gemeint.

  32. #35 Dr. Webbaer
    16. Juni 2016

    @ Laie :

    Erst einmal muss eine Rassismus-Definition her – wenn bspw. mit dieser gearbeitet wird, der Webbaer tut dies:

    Der Faschismus ist die politische Methode (vs. Herrschaftsform) mit Hilfe großflächig verwendeter handfester Symbolik (die Uniformierung hier an erster Stelle) Gruppen zu führen und so einen besonderen Zusammenhalt zu erreichen, der genutzt wird auf andere Gruppen herabzuschauen, diese als verachtenswert zu erkennen.

    … bietet sich Pathologisierung nicht direkt an.
    Dass psychisch auffällige bis gestörte Individuen sich hier angezogen fühlen, ähnlich wie auch bei den drei großen Kollektivismen, könnte klar sein.

    MFG
    Dr. Webbaer (der anregt insbesondere die Theoretisierung mit den psychisch Auffälligen locker zu sehen, auch als ein wenig semiwissenschaftlich)

  33. #36 Dr. Webbaer
    16. Juni 2016

    *
    Faschismus-Definition (natürlich gemeint)

  34. #37 itza
    16. Juni 2016

    Argh.. für mich als F31 Diagnostizierte meinte ich vorhin im zweiten Kommentar.

    Und natürlich verursacht eine Manische Phase einen Leidensdruck – nur halt hinterher. Bluthochdruck ist ja auch ne Krankheit und behandlungsbedürftig, auch wenn man nicht direkt tot umkippt.

    In der manischen Phase befürworte ich ausdrücklich eine Zwangsbehandlung, da die Folgen der Manie extrem schädingend sein können. Ich selbst hätte eine mehrjährige Partnerschaft zerstört wenn mein Partner mir nicht verziehen hätte.
    lg

  35. #38 demolog
    17. Juni 2016

    Soso, Konventionen entscheiden darüber, was eine psychische Störung sei? Dann wundert mich eigendlich nichts mehr. Wenn einem irgendwer nicht gefällt, biegt er es strategisch so hin, dass er psychiatrisch begutachtet wird, woraufhin der Gutachter sich schon eine Störung aussucht, die im “Weitesten” passt, denn irgendeine psychische Störung passt auf jeden Menschen…

  36. #39 Joseph Kuhn
    17. Juni 2016

    @ demolog:

    Bitte genau lesen: Zunächst einmal steht oben im Blogbeitrag nur, dass Konvention eine Rolle dabei spielt, was sich im F-Kapitel an Diagnosen versammelt.

    Sie fragen dagegen etwas ganz anderes, nämlich ob man Menschen qua Konvention zu Unrecht als psychisch gestört erklären kann. Das ist leider so, aber das ist nichts Neues. Schon vor fast 50 Jahren hat David Rosenhan in einem berühmten Experiment mit gesunden Menschen in psychiatrischen Anstalten gezeigt: Wer einmal als psychisch krank eingestuft ist, kann sich so normal benehmen wie er will, es ist schwer, wieder als normal (an)erkannt zu werden.

  37. #40 demolog
    17. Juni 2016

    @ Joseph Kuhn
    17. Juni 2016 #39

    @ demolog:

    “… Das ist leider so, aber das ist nichts Neues. …”

    -> Aber was folgt daraus, das es nichts neues ist? Nichts? Warum nicht? Wie war das noch mit der schönen Freiheit in dieser Welt?

    Ich habe leider das aufdringliche Gefühl, das mir genau das passiert ist. Und wenn man sich darüber aufregt, heisst es gleich, man sei psychotisch und das verlangt ja eine Zwangsbehandlung. Und da wieder rauszukommen, scheint eine Unmöglichkeit.

    In meinen Augen relativieren sie mit ihrem Beitrag oben die ganze F-Liste der ICD 10. Leider gibt es da ja die Möglichkeit, sich einen leidensdruck einreden zu lassen. Woraufhin es dann nämlich auch Menschen geben wird, die mit einer Diagnose aus der F00-F99 Liste hochzufrieden sind – woraufhin wenigstens ein Sinn in der ganzen Veranstaltung zu erkennen ist.

  38. #41 Joseph Kuhn
    17. Juni 2016

    @ demolog:

    Meine erste Formulierung in der Antwort #39 auf Ihren Kommentar war etwas nachlässig, weil ich von Ihnen einfach das mit der Konvention übernommen habe.

    Was aus Konvention geschieht (weil ein Verhalten allgemein als pathologisch gilt) und was irrtümlich, muss man aber unterscheiden, und eine dritte Kategorie sind die im Blogbeitrag unter Hinweis auf die Frankfurter Steuerfahnder angesprochenen seltenen Fälle bewusst falscher Psychiatrisierung.

    Ihre persönliche Situation können wir hier nicht diskutieren, wir kennen Sie nicht, ich bin weder Psychiater noch Jurist und ein Blog ist dazu auch ganz einfach nicht der richtige Ort. Wenn Sie glauben, Ihnen sei Unrecht widerfahren, werden Sie sich einen Anwalt nehmen müssen, mehr lässt sich dazu hier nicht sagen.

    • #42 demolog
      17. Juni 2016

      Joseph Kuhn
      17. Juni 2016 #41

      @ demolog:

      “…mehr lässt sich dazu hier nicht sagen.”

      -> Versuchen sie bitte nicht, solche Thementendenz zu unterdrücken. Das wäre der erste Schritt dahin, das auch eben solche Situationen, wie von ihnen erklärt, verdrängt werden und somit quasi-legalisiert, weil gesellschaftlich nicht geächtet genug. Wir wollen doch auch hier in den Kommentaren einen Spiegel der Gesellschaft zulassen/abbilden, nicht wahr?

      Denn ein Grund, warum Menschen, die einmal psychiatrisch diagnostiziert, nie wieder von diesem “Makel” loskommen. … weil totgeschwiegen und somit zu keiner Veränderung gezwungen. Erinnern sie sich noch an den “Patienten” Molat oder Mollat? Der Molat, der 7 Jahre zwangsuntergebracht wurde. Vermutlich und obskurerweise, weil er wohl “zwanghaft” Ungerechtigkeit aufdecken wollte.

      Man kann sich über solches nur wundern, wie hartnäckig ein System sein kann. Und wie ignorant eine Gesellschaft sich in solchen Situationen abwendet.
      Es ist keine moralisch integre Ausrede, dass sie erklären, man kann in ihrem Blog gewisse Probleme nicht lösen. Sie wissen schon, das Öffentlichkeit Probleme lösen kann, nicht wahr? Diese Öffentlichkeit muß nur zugelassen werden. Das wäre der erste Schritt.

      • #43 Joseph Kuhn
        17. Juni 2016

        “Es ist keine moralisch integre Ausrede, dass sie erklären, man kann in ihrem Blog gewisse Probleme nicht lösen.”

        Es ist überhaupt keine Ausrede, es ist die schlichte Wahrheit. Hier kann weder eine therapeutische noch eine juristische Beratung konkreter Fälle erfolgen, das wäre fahrlässig und rechtswidrig. Zu Gustl Mollath hatten wir hier übrigens eine lange Diskussion, an der Sie selbst teilgenommen haben. Hier wird nichts “unterdrückt”, aber was Thema in meinem Blog ist, möchte ich doch gerne noch selbst bestimmen dürfen.

        • #44 demolog
          17. Juni 2016

          Also wollen sie doch keine weiteren Details hier lesen. Genau, was ich sagte. Sie haben wohl Angst wegen den absurden Einzelheiten, die dabei auftreten können?

          Anyway, ich habe nicht vor, mehr Details hier hinzuschreiben. Keine Angst Herr Dings.

          • #45 Joseph Kuhn
            17. Juni 2016

            “Also wollen sie doch keine weiteren Details hier lesen.”

            So ist es. Nicht aus Angst vor den absurden Einzelheiten, die dabei auftreten können und von denen sicher jeder hier ein paar aus seinem eigenen Leben beisteuern könnte, sondern weil ich nicht in die Diskussion Ihres Einzelfalls einsteigen will. Wenn Sie Beratung brauchen, dann suchen Sie sie dort, wo man sie leisten kann und darf.

          • #46 demolog
            23. Oktober 2016

            Mein Anwalt, den ich mir konsultierte, hat neulich nach kurzer und nahezu sinnloser Aktivität sein Mandat niedergelegt. Er berichtete, das er aus gesundheitlichen Gründen mich nicht mehr vertreten könne.

            Tja, was für ein Ergebnis.

            Vielleicht meinte er, er önne mich nicht mehr vertreten, weil ich zu krank dazu sei? Denn bei unserem ersten und einzigsten Treffen kam mir der Anwalt absolut gesund und rüstig vor, sodass ein Krankheitsfall kaum zu erwarten war.

            Soviel jedenfalls dazu, dass sich psychisch Diagnostizierte tatsächlich irgendwie selbst aus ihrer Zwangslage (der Diagnose einer schweren psychischen Krankheit) befreien könnten. Stattdessen werden diese immer weiter durch die Belastungen durch Kooperationsverweigerung in echte psychische Störungen getrieben, bis eines Tages die derart verarschte Menschen plötzlich ausrasten und Amok laufen. Dann wundert sich die Welt, wieso niemand vorher was getan hat…

            Absurd und erbärmlich.

  39. #47 Joseph Kuhn
    24. Oktober 2016

    @ demolog:

    “dass sich psychisch Diagnostizierte tatsächlich irgendwie selbst aus ihrer Zwangslage (der Diagnose einer schweren psychischen Krankheit) befreien könnten.”

    Sie haben völlig recht, das geht in der Regel nicht und es ist daher auch keine Schande, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie hatten nebenan ja geschrieben, dass Sie das auch tun, aktuell auch gerade getan haben und dass kein Behandlungsbedarf bestünde.

    Unabhängig von Ihrem Fall: Wie Sie sicher wissen, gibt es als “erste Hilfe” in Krisensituationen bundesweit und rund um die Uhr z.B. das Angebot der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 · 0800/111 0 222, auch online: https://www.telefonseelsorge.de/

    • #48 demolog
      24. Oktober 2016

      Ach, die Telefonseelsorge hat bei mir den Vogel abgeschossen. Als die halbe stunde rum war, wollte die Stimme das Gespräch beenden. Als ich sagte, wenn sie jetzt auflegen würde, brächte ich mich um, hat die Stimme nur gelacht und mich verhöhnt.
      Ausserdem ist die Telefonseelsorge das letzte, wo man echte Hilfe erlangen könnte. Die verweisen letztlich auch nur an die üblichen Institutionen.

      Unglaublich und erbärmlich, was in dieser Welt mit Hilfesuchenden getan wird. Echte Not wird verharmlost und verhöhnt und absolut nicht ernst genommen.

      Um noch mal auf den Wahrheitsgehalt meiner Aussagen dieser Art zurück zu kommen: Ich habe absolut keine Not zu lügen, all das, was ich erzähle ist nicht gelogen und wirklich so passiert. Mein Leben ist voller solcher Absurditäten. Und ich habe hier noch nicht mal alles erzählt. Das könnte noch viele viele Zeilen so weitergehen. mit den Absurditäten.

  40. […] den psychischen Störungen gibt es seit langem Diskussionen darüber, was noch „normal“ ist und was nicht und – teils weil diese Grenzziehung schwierig ist, teils unabhängig davon – dass das […]